Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

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Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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dir nichts in die weite Welt gehen, er hatte ja nicht Weib und Kind wie mein Major –«

      Der Hüttenmeister war während der letzten Mitteilung des Alten an eines der Fenster getreten und hatte die Vorhänge auseinandergeschlagen – ein berauschender Blumenduft strömte sofort in das Zimmer. Auf dem Fenstersims blühten in Töpfen Veilchen, Maiblumen und Tazetten. Der junge Mann schnitt erbarmungslos die schönsten Blüten ab und schob sie vorsichtig in eine weiße Papiertüte. Bei Sieverts letzten Worten bog er den Kopf ins Zimmer zurück: Ein rascher Seitenblick streifte die gespannten Gesichtszüge seines Bruders, wobei ihm eine helle Röte über Gesicht und Wangen flog.

      »Aber nun lassen Sie die alten Geschichten ruhen, Sievert!« rief er, die Rede des alten Soldaten rasch abschneidend, hinüber. »Sie selbst machen ja vieles gut, was andere verschuldet haben. Sie sind der getreue Eckart –«

      »Wider Willen, ganz wider meinen Willen, Hüttenmeister!« fuhr Sievert grimmig auf, indem er sich erhob und hastig seine Sachen zusammenpackte. »Hat einer seinen Herrn lieb gehabt, so bin ich's gewesen; ich wär' für ihn durchs Feuer gelaufen in der Zeit, wo er noch gut und strenge und ein rechter Kavalier war. Aber nachher wurde er der Gräfin ihr Narr, er spielte und trank mit dem Baron Fleury und dergleichen Gelichter die Nächte durch und machte alle ihre ›noblen Nichtsnutzigkeiten‹ mit; er mißhandelte seine Frau – die Frau, die ihr Herzblut tropfenweise für ihn hingegeben hätte –, und da kam mir der Grimm, ich hab' ihn gehaßt und verachtet, und es war sein und mein Glück, daß er mich fortschickte... Ja, ja, da heißt's: ›Er ist auf dem Felde der Ehre gestorben!‹ Das klingt gar gewaltig und löscht alle Sünden aus; wenn aber einer Bankrott macht und geht in der Verzweiflung sich selbst ans Leben, da ist er verurteilt für alle Zeiten. Herr, es war alles fort und verjubelt bis auf die elende Baracke, das Waldhaus; die Frau Gräfin wollte mit dem Bettler auch nichts mehr zu schaffen haben, und da ging der letzte Zweiflingen nach Schleswig-Holstein, stürzte sich in den dichtesten Kugelregen und ließ sich niederschießen. Aber das ist beileibe kein Selbstmord – sollte mal einer sich unterstehen, das Ding so zu nennen! Die Kavalier-Ehre ist gerettet, und nun sieh zu, Witwe, wie du zurechtkommst! Seine adligen Hände konnten wohl Geld ausgeben, aber rechtschaffen arbeiten und das gutmachen, was sie gesündigt hatten, das durften sie nicht – dazu waren sie zu vornehm!«

      Er warf den Mantelzipfel über die Schulter und griff nach der Laterne. »So, nun hab' ich einmal meinem Herzen Luft gemacht!« sagte er nach einem tiefen Atemzug. »Hätten Sie den Namen ›Eschebach‹ nicht genannt, wär's nicht geschehen... Und nun gehe ich heim und schleppe mein Joch weiter!... Aber noch eins, Hüttenmeister: Nennen Sie mich nie wieder den getreuen Eckart! Zu dem Posten gehört ein Herz voll Liebe und Geduld, und das hab' ich nicht, absolut nicht... Der Major hätte mir zehn solcher Briefe hinterlassen können, wie sie nach der Schlacht bei Idstedt einen bei ihm gefunden haben, ich wär' deshalb noch lange nicht zu seiner Frau und Tochter gegangen, denn die Liebe war ausgelöscht; aber es war einmal eine Zeit, wo mein Vater sein Bauerngütchen durch einen nichtsnutzigen Prozeß verlieren sollte; da nahm der Major den besten Advokaten im Lande an und bezahlte ihn, und mein Alter blieb auf seinem rechtmäßig ererbten Eigentum. An die Zeit dachte ich, packte meine sieben Sachen zusammen und wurde wohlbestallter Haushofmeister, das heißt Küchenmagd, Holzlieferant, Scheuerfrau und so weiter bei Frau von Zweiflingen.«

      Der Ausdruck beißenden Hohnes in der Stimme des alten Soldaten wurde noch verstärkt durch die ironische Würde in Haltung und Gebärden, die er bei Aufzählung seiner Funktionen einnahm. Auf den Hüttenmeister aber wirkte diese Art und Weise peinlich und verletzend. Er kniff die Lippen unter dem Vollbart fest aufeinander, seine Brauen falteten sich noch düsterer als zuvor, und stillschweigend legte er die Papiertüte, die er bis dahin in der Hand gehalten hatte, auf einen Seitentisch. Sievert trat jedoch mit zwei raschen Schritten zu ihm.

      »Geben Sie nur her!« sagte er, indem er die Tüte ergriff und auf das Brot in seinem Korbe legte. »Den Gefallen tu' ich Ihnen schon... Ändern kann ich doch nichts mehr, und die armen Dinger da sollen nicht umsonst abgeschnitten sein... Will's schon ausrichten, weshalb Sie heute nicht zur ›Teegesellschaft‹ kommen können. Und nun gute Nacht und gute Besserung für den Herrn Studenten!«

      Damit verließ er das Zimmer und trat wieder hinaus in den stürmischen Abend.

      2

      Er schlug denselben Weg ein wie die Pfarrerin – nach dem Dorfe Neuenfeld, das ungefähr einen Büchsenschuß weit vom Hüttenwerk lag. Aber der Weg war unterdessen ein sehr mühseliger geworden; der Sturm hatte fußhohe Schneewälle zusammengefegt und quer über die Landstraße geworfen, und der Flockenwirbel erfüllte die Luft so dicht und undurchdringlich, daß auch nicht eine Spur der Ebereschenbäume zu beiden Seiten der Straße sichtbar war.

      Der alte Soldat stampfte mit Todesverachtung im förmlichen Sturmschritt vorwärts; ihm wurde wohl inmitten des Tumultes. Er schob die wohlbefestigte Mütze nach dem Hinterkopf zurück und ließ sich von dem kalten Schnee die Stirn bestäuben, hinter der die plötzlich wachgerüttelten alten, bösen Erinnerungen brannten. Das Knirschen und Krachen unter seinen Füßen erfüllte ihn mit einer fast kindischen Befriedigung; er trat noch einmal so fest auf und dachte an seinen Lebensweg, den er mit Mißbehagen und tiefem Widerwillen ging, da durfte er ja nie auftreten, wie er wollte, und wurde unter der Einlösung alter Verpflichtungen grau, verbittert und menschenfeindlich.

      Neuenfeld, eines jener armseligen Gebirgsdörfer, wie der Thüringer Wald deren genug auf seinem Rücken trägt, lag in lautloser Stille vor ihm; es sah aus, als habe es sich geduldig und willenlos ergeben in die kleine Talsenkung hingestreckt, um sich nun bis an seine Schindeldächer einschneien und einsargen zu lassen. Am Tage erschienen die elenden, unregelmäßig durcheinander gestreuten Häuser mit den verwahrlosten Gärtchen an ihrer Seite nichts weniger als einladend; in diesem Augenblick jedoch, wo Schnee und Nacht die Lehmwände und grauen Schindeln deckten, fiel der matte Lichtschein der kleinen Fenster gastlich und anmutend in das Schneewetter draußen. Die Glasscheiben bedurften keiner Läden oder verhüllenden Vorhänge – das besorgte der wohlgeheizte Ofen, der ja tröstlicherweise selbst im ärmsten Hause nicht fehlt; er behauchte sie mit einer dicken Dunstschicht, und so konnte kein Nachbar bei dem anderen sehen, ob er seine Abendkartoffeln einfach in das Salzfaß tunke oder sich den Luxus einiger Lot Butter auf seinem ungedeckten Tisch erlaube.

      Sievert durchmaß das Dorf mit verdoppeltem Eilschritt. Die erleuchteten Fenster erinnerten ihn, daß daheim das letzte Stümpfchen Licht auf dem Leuchter steckte; es hatte bereits sieben Uhr geschlagen, eine ziemliche Strecke Weges lag noch vor ihm, und die Bewohner des Waldhauses waren auf das Abendbrot angewiesen, das er im Korbe heimbrachte. Am Ende des Dorfes verließ er die Landstraße, die auf der Talsohle noch ein Stück fast schnurgerade in die weite Welt hineinlief, und betrat, links abbiegend, einen jener vernachlässigten Holzfahrwege, die nach einem aufweichenden Regen bodenlos, bei frosthartem, trockenen Wetter aber durch die fußtiefen Geleise geradezu halsbrechend werden.

      Das Waldhaus führte seinen Namen mit Recht. Vor Jahrhunderten von einem Herrn von Zweiflingen lediglich zu Jagdzwecken erbaut, lag es wie verloren im Walde. Bewohnt hatten es seine Besitzer niemals; das eigentliche Haus bildete eine einzige ungeheure Halle, und nur die zwei ziemlich umfangreichen Türme, die zu beiden Seiten der Vorderfront emporstiegen, enthielten einige Gemächer, in denen ehemals die Teilnehmer an den großen Jagden übernachtet hatten. Nach dem Tode des Majors von Zweiflingen war dessen Witwe in eine kleine Stadt Thüringens übergesiedelt. Ihr ganzes Einkommen bestand in einer sehr schmalen Pfründe, die ihr infolge einer uralten Zweiflingenschen Stiftung zufiel – eine kleine Pension, die ihr der Minister, Baron Fleury, beim Fürsten von A. ausgewirkt, hatte sie zurückgewiesen. Den Luxus, irgendwelche Dienerschaft zu halten, schloß der kleine Etat selbstverständlich aus; Sievert mußte demnach selbst für seinen Unterhalt sorgen, und er konnte es; er hatte das von seinem Vater ererbte Bauerngütchen verkauft, und die Zinsen des Kapitals reichten vollkommen aus für seine geringen Bedürfnisse. Vor zwei Jahren nun war ein Rückenmarkleiden bei Frau von Zweiflingen zum Ausbruch gekommen; sie hatte sich damals bereits dem Tode nahe gewähnt und mit fieberhafter Heftigkeit verlangt, auf Zweiflingenschem Grund und Boden zu sterben. Unter unsäglichen Mühen war sie nach dem Waldhaus, dem letzten Rest ehemaligen glänzenden


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