Krisheena - Tor zum Abyss. Andreas Nass
Читать онлайн книгу.Stimmen lenkten meine Gedanken ab. In der Luft erklang ein Auf und Ab von Lauten, die ich nicht deuten konnte. Mein Blick verzerrte sich. Wurde der Himmel dunkler, von intensiverem Rot, oder war das nur eine Täuschung? Welcher Streich wurde mir hier gespielt? Ich verfluchte alle unsichtbaren Beobachter und meine Unaufmerksamkeit. Irgendein Detail musste ich übersehen haben. Genervt und von sanfter Furcht erfüllt drehte ich mich langsam um meine Achse und durchdrang mit geschärftem Blick die aufgezogene Dunkelheit.
»Krisheena«
Mein Kopf flog herum, versuchte die Herkunft des Sprechers zu erahnen. Mein Herz erstarrte. Ein leichtes Vibrieren blieb im Nichts hängen, ergriff mich. Ich spürte eine Berührung am Arm, doch niemand war dort. Wie Ungeziefer versuchte ich, das Gefühl wegzuwischen, aber es wurde nur stärker, beständiger.
»Krisheena«
Lauter, näher, fordernder klang mein Name. In meinem Magen drehte sich alles. Ein Wirbel bildete sich über mir, rote und schwarze Schlieren mischten sich, drehten sich. Mein Kopf schmerzte. Immer wieder hörte ich meinen Namen und einen Gesang, der mein Trommelfell betäubte. Mit beiden Händen versuchte ich, die Stimmen abzuhalten. Erfolglos. Sie hatten ihren Weg in meine Gedanken gefunden, ein An- und Abschwellen, dem Rauschen eines gigantischen Ozeans gleich.
Dann erkannte ich einige Worte, beschwörend, fordernd, voller Bestimmung.
Und ich war das Ziel der Beschwörung.
Wer hatte meinen Namen verraten? Hass kam in mir auf, verdrängte den Schmerz, verhinderte aber nicht, dass mich der Strudel einhüllte. Nun konnte ich nur noch die Schlieren sehen. Sie waren überall. Boden und Himmel verschwammen, ich kämpfte gegen eine Ohnmacht, die drohte, von mir Besitz zu ergreifen.
Die Stimmen waren nun zum Greifen nahe. Es wurde kühler. Geruch von Rauch und Wachs, getrocknetem Blut und lieblichem Wein.
Unter meinen Füßen bildeten sich langsam rote Steine heraus, sauber angeordnet und geschliffen. Ich schwankte, benommen von den Wirbeln. Nur langsam klärte sich mein Blick und das Rauschen in den Ohren ebbte ab. Eine Handvoll junger Frauen kniete kreisförmig um mich herum. Sie trugen rötliche, leicht durchscheinende Gewänder. Eine reifere Frau dominierte diesen Kreis, senkte langsam die Arme und lächelte.
»Wo bin ich hier?«, wollte ich wissen, obwohl die Antwort mir schon bekannt war. Ich war wütend und funkelte die Priesterin an.
»Ich habe Euch gerufen«, offenbarte sie mir, »um dem Tempel der Scharlachroten Königin eine Gunst zu erweisen.«
Soweit mir bekannt war, befand sich der Tempel im Osten der Verlorenen Reiche, auf der Welt der Sterblichen, der materiellen Welt. Es hatte mich demnach ins Reich Bregantier verschlagen, wo die Anhänger des Gottes Odimorr, dem Schlächter, herrschten, ein Umstand, der interessant werden könnte.
Hier residierte also die Scharlachrote Königin. Ein Tempel der Lust und Vergnügungen, aber vor mir stand nur eine Hohepriesterin, wo war die Königin selbst? Oder hatte sie es nicht für nötig befunden, die Beschwörung selbst durchzuführen?
»Wer seid Ihr und was ist Euer Wunsch?« Meine Stimme war eisig. »Wem soll ich dienen? Macht schnell, damit wir es hinter uns bringen. Ist es ein reicher Kaufmann, der einige angenehme Stunden der Lust verleben will?«
»Hebt das ungestüme Wesen in Eurem Herzen für die Mission auf, die ich Euch auferlege. Die Herrscher der östlichen Reiche haben sich zu einer dunklen Allianz zusammengeschlossen, um unsere Feinde im Westen auszulöschen. Und der Scharlachrote Tempel wird die Allianz unterstützen.« Sie hob befehligend ihre Stimme. »Ihr werdet den Anweisungen Landrus Folge leisten und ihn auf seine Reise begleiten.« Während sie sprach, machte sie eine Bewegung zur Seite und hob deutend ihren rechten Arm.
Aus der Dunkelheit verborgener Schatten schälte sich eine dunkle Robe, deren Saum über den Boden zu schweben schien. Es war keine besonders sorgfältige Kleidung, sie wirkte alt und verschlissen. Noch bevor ich Einzelheiten erkennen konnte, roch ich Moder und Fäulnis. Tod näherte sich mir. Nicht nur die Robe musste von einem Alter sein, das weit über normal sterbliche Maße hinaus ging, auch ihr Besitzer war kein Lebender mehr. Übelkeit kam in mir hoch. Wütend kniff ich die Augen zusammen. Mich einem untoten, knochigen und übel riechenden Wesen anzuvertrauen, das seit wer weiß wann oder sogar noch nie die Freuden des Lebens genossen hat, war die größte Beleidigung, die ich mir vorstellen konnte.
»Das ist ein Scherz, oder?«
Sowohl meine helle Stimme wie auch die raue, knorrige Stimme des Todes vor mir vermischten sich in diesem Satz. Mein zukünftiger Gebieter hatte wohl ebenso mit etwas anderem gerechnet.
Aus dem rechten Ärmel ragte nun eine Skeletthand, deren schlanker Zeigefingerknochen leicht gekrümmt auf mich deutete. War das ein rotes Glimmen unter der Kapuze, direkt auf die Hohepriesterin gerichtet? Jetzt wurde es wieder amüsanter. Meine Abscheu blieb.
»Als ich hierher kam«, und der Salmagur brachte es sogar fertig, eine all umfassende Geste zu vollbringen, »und um Unterstützung bat in einer wichtigen Angelegenheit, bin ich davon ausgegangen, dass ich mehr geboten bekomme, als einen tändelnden Sukkubus.« Abfällig betonte er meine dämonische Natur.
»Meister Landru«, besänftigte die Hohepriesterin, »sicherlich werdet Ihr verstehen, dass wir entsprechend unseren Möglichkeiten handeln.«
Sie bauschte geschickt ihr weit geschnittenes Gewand auf und machte es sich auf einen gemütlich wirkenden, sehr breiten Stuhl bequem. Ihre schlanken Finger unterstrichen galant ihre Worte, deuteten mal auf mich, nur um danach kaum nachzuvollziehende Muster in die Luft zu ziehen.
»So lange die Scharlachrote Königin nicht im Tempel verweilt, müsst Ihr mit meinen Entscheidungen Vorlieb nehmen. Euer geschulter Blick sollte schon längst das Potential erkannt haben, dass ich Euch an die Hand gebe. Sie wird unserer Sache dienlich sein, darin bin ich mir sicher.«
Irgendetwas an ihren letzten Worten erzeugte ein Klingeln in meinen Gedanken. Ihr Blick verblieb einige Sekunden zu lange auf mich gerichtet. Mir blieb sowieso keine Wahl, ich musste ihr gehorchen, das war der Haken an einer Beschwörung, zumindest, wenn man der Beschworene war.
Mehrere Male ausschnaufend wendete ich mich Landru zu. Feine Silberfäden in dem faserigen Gewand deuteten auf magische Fähigkeiten hin. Die Präsenz, die er ausstrahlte, führte bei mir zu dem Schluss, dass er ein Hexer war. Verbunden mit der Zeitspanne, die er offensichtlich hinter sich hatte, mussten seine Fähigkeiten immens sein. Es war besser, den Anschein zu erwecken, eine gefolgsame Beschworene zu sein. Was natürlich nicht bedeutete, mit bissigen Bemerkungen zurückzuhalten.
Mit gespielter Liebenswürdigkeit fragte ich: »Womit kann ich Euch dienlich sein, Meister Landru?«
»Haltet den Mund und folgt mir!«
Er schickte noch einen verächtlich schnaufenden Laut hinterher und marschierte zum Torbogen hinaus. Mühelos holte ich auf, mied es aber, ihm zu nahe zu sein, um den Würgereiz leichter unterdrücken zu können, den sein süßlicher Fäulnisgeruch bei mir erzeugte. Ich war angewidert.
Mitten im Gang blieb er stehen und richtete seinen Finger erneut auf mich. Sein raues Krächzen fügte mir eine Gänsehaut zu. Ich fröstelte.
»Hör mir gut zu, nutzloses Ding, ich weiß auch nicht, was in die Hohepriesterin gefahren ist, aber ich habe keine Zeit für noch unnützere Worte.«
Da mein Blick nun auf die verfaulten Fleischreste in seinem Gesicht fiel, musste mein Gesichtsausdruck sämtliche auf mich einströmende Gefühle der Abscheu, des Ekels und des Schreckens widerspiegeln. Sein Mund war ein Loch, in dem einige schwarzbraune Zahnreste hingen. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich behauptet, er lächelte vor Freude, mir solche Angst einjagen zu können.
»Nimm meine Hand. Na los!«
Galle stieg in mir auf, ich würgte und streckte zittrig meine weichen, geschmeidigen Finger der losen Ansammlung von Knochen und Streifen madigen Fleisches entgegen. Ein widerliches Gefühl, Kälte schüttelte mich durch. Landrus faulig gelbe Fingernägel lagen nun neben meinen rosigen, perfekt geformten langen Nägeln.
Er