Krisheena - Tor zum Abyss. Andreas Nass
Читать онлайн книгу.ein Tunichtgut eine höhere Stellung innehatte. Ein leichter Schauer lief meinen Rücken hinunter. Meiner Ansicht nach hatte der das Sagen, der mehr Macht in sich vereinte, doch das behielt ich für mich.
»Dann sind wir beide ein gutes Stück von der Heimat entfernt.« Unter einem Lächeln verbarg ich die Doppeldeutigkeit in meiner Aussage.
»Ich bin gespannt«, fügte ich mehr an mich selbst gewandt hinzu, »welche Überraschungen noch auf uns warten.«
Ein Schluck Met spülte meine Kehle, gab mir eine Pause und die Möglichkeit, meinen Blick schweifen zu lassen.
»Auch was wollen trinken!« Krächzend zupften dreckig grüne Finger an den Schnüren meiner Lederhose. Über der spitz zu laufenden Schnauze samt seiner Reihe gelblich angelaufener Zähne gruben sich zwei schwarze Punkte in den von Warzen übersäten Schädel. Auch im Sitzen sah ich auf den jämmerlichen Goblin hinab.
»Verschwinde!«, knurrte ich. Er zuckte kurz zusammen und wirkte noch erbärmlicher. Vor Schreck hatte er von mir abgelassen, sank nun auf seine Knie und rutschte unterwürfig mit erhobenen Händen über den schmierigen Boden.
»Durst«, weinerlich schrill heulte er seine Bitte. »Nur Schluck.«
Ohne großen Schwung knallte ich ihm meine Rückhand gegen sein freches Maul. Das Vieh rollte über den Boden, direkt vor Moi’ra. Über ihre Füße gebeugt hustete das Wesen Blut und Galle.
»Weg!«, schnaufte der Mönch und schleuderte mit einem Tritt die weinerliche Kreatur von sich.
Langsam füllte sich die Taverne mit Gesindel. Ein ganzer Schwarm von Goblins strömte hinein, es wurde sehr laut.
»Lass uns aufs Zimmer gehen, da haben wir mehr Ruhe«, schlug ich vor und erntete ein bestätigendes Nicken. Moi’ra hatte noch weniger dabei als ich. Ausgesprochen geschickt schritt sie die knarrende Treppe hinauf. Unser Zimmer war wie erwartet muffig und sehr spartanisch eingerichtet. Ich vermisste duftende Kissen und einen flauschigen Teppich.
»Ziemlich armselig hier, nicht wahr, Crish?«, fragte Moi’ra, während sie zu den Strohmatten ging. Ich nickte bestätigend und bekam große Augen, als sie die Felldecke vom flachen Bett riss und nach kurzer Prüfung der Unterlage ihre Decke auf dem Fußboden ausbreitete.
»Ich werde auf dem Boden schlafen. So ein Luxus! Weiche Betten.« Sie schüttelte dabei mitleidig den Kopf. »Ein Zeichen dafür, wie verkommen und verwöhnt die Einwohner hier sind.«
»Äh, brauchst du die Felldecke noch?«, deutete ich mit einem Fingerzeig fragend an.
»Nein, nein, bediene dich.«
Sie kommentierte meine Entscheidung, das Bett zusätzlich zu polstern, nicht. Stattdessen widmete sie sich einer etwa anderthalb Schritt langen Kette und prüfte sie anscheinend wie andere ihre Waffen auf Fehler untersuchten.
»Kämpfst du damit?«, wollte ich auf das Metall deutend wissen.
»Wir lernen eine Kampfkunst, die für viele Augen ungewöhnliche Waffen einbezieht. Von Kindesbeinen an habe ich gelernt, mich mit dieser Kette zur Wehr zu setzten. Bislang hat das auch immer gut funktioniert.«
Ihr Grinsen verwischte jeden Zweifel an der Wahrheit. Fast war mir, als würde sie mit den Ketten reden, auf eine ihr eigene Art. Vom Zusehen wurde ich langsam müde. Das Stroh und die Decken reichten bei weitem nicht, um mir als angenehme Unterlage zu dienen. Innerlich rief ich mich zur Besonnenheit, nicht so verwöhnt zu sein, und eiferte in Gedanken den Momenten hinterher, wo weiche Daunen meinen strapazierten Körper einlullten.
»Nanu?« Ihr überraschter Ausruf weckte mich aus den Träumen. Meine Mitbewohnerin hielt ein Ende der Kette in der Hand. Nichts rührte sich. Das andere Ende lag ausgebreitet auf dem Boden. Ich runzelte die Stirn.
»Stimmt was nicht? Ist etwas mit der Kette?«, erkundigte ich mich und unterdrückte ein Lachen.
Mir fielen noch einige witzige, aber unpassende Bemerkungen ein, worauf eine Kette denn gehorchen sollte, und schreckte zurück, als Bewegung in die Kette kam. So überrascht kippte ich beinahe mit dem Kopf gegen die Steinwand, stützte mich aber gerade noch mit einer Hand ab.
»Die lebt! Die Kette hat sich bewegt!«, rief ich erschrocken.
Von dem weiblichen Mönch kam keine Erklärung. Sie wirkte sehr konzentriert. Eine Schweißperle bildete sich auf ihrer Stirn.
»Warum …?«
Ihre Frage stand im Raum, dann wurde sie förmlich von der Kette nach vorne gezogen und musste loslassen, um nicht mit dem Gesicht voran auf dem Boden zu landen. Eine zweite Kette schlängelte der ersten hinterher, riss einige Splitter aus der hölzernen Zimmertüre und verschwand darunter. Mit großen Augen glotzte ich ihnen nach.
Moi’ra drückte sich vom Boden ab und drehte sich mit ihrem Schwung in eine aufrechte Position. Wäre ich nicht so bestürzt, hätte ich bei der artistischen Darbietung geklatscht. Mit zwei Schritten war sie bei der Türe und riss sie auf. Ich kramte mich aus den Decken heraus und ging ihr nach. Vom Flur hörte ich Kettenrasseln und sah gerade noch, wie die beiden Ketten auf ein Geländer zu krochen und dann Anstalten machten, in den darunter liegenden Schankraum zu fallen. Kurz vor dem Rand verknoteten sich beide: eine wickelte sich um einen Pfosten, der Rest verschwand aus meiner Sicht. Hatte ich mich getäuscht, oder waren die Ketten länger, als noch in unserer Unterkunft?
Unter dem Stimmengewirr waren die ärgerlichen, hell krächzenden Laute einer nicht besonders großen Person zu hören, die durch ein Gurgeln abgeschnitten wurden. Kaum einer schien sich darum zu kümmern, als zunächst der Oberkörper und dann die ganze Gestalt eines Goblins von den Ketten über das Geländer gezogen wurde. Er zappelte, zerrte und biss, aber das Eisen war unnachgiebig. Das belebte Metall brachte seine Beute in unser Zimmer.
Interessiert ging ich hinterher und sah zu, wie die Ketten den Gefangenen vor einem Stuhl festhielten und ihre Enden Widerhaken ausbildeten, um sich in der Decke und am Boden zu befestigten. Entlang der Gliedmaße ringelte sich das Eisen und zog den Körper langsam auseinander. Haut spannte sich, Knochen knackten, Sehnen rissen.
Das schrille Kreischen des Goblins übertönte das dumpfe Klatschen seiner zu Boden fallenden Organe und Gedärme, als die Ketten seinen Körper zerteilten, und endete jäh. Gespenstische Stille nahm von dem Raum Besitz. Ich wagte nicht zu atmen und sah gebannt auf die straff gespannte Haut zwischen den eingehakten Ketten.
Langsam, gegen den Widerstand ankämpfend, wuchsen Gesichtszüge aus der grünlich fleckigen Haut – Stirn, Nase, Mund, geschlossene Augen und kantige Wangen. Lippen bewegten sich und muteten der nun hauchdünnen Gewebeschicht den letzten Rest ihrer Zähigkeit zu. Sie rissen ein schmales Loch und bildeten so einen Rachen, der in die Dunkelheit des Zimmers führte.
All meine Haare knisterten, als der Mund zu sprechen begann. Wer auch immer dieser Unbekannte war, seine Stimme vibrierte in meinem Körper, mein Magen verkrampfte. Mir wurde flau. Geschockt von der auf mich einströmenden Macht konnte mein Verstand die ersten Worte nicht verarbeiten. Ich war auch nicht die angesprochene.
»… Tochter. Der Bote darf die Stadt nicht wieder verlassen. Was er bei sich führt, müsst ihr in eure Gewalt bringen. Er wird nicht auf direktem Wege reisen, aber aus Talor starten. Findet ihn!« Dröhnend wallte der Befehl durch das kleine Zimmer.
Meine Blase drohte, sich zu entleeren. Ich drückte meine Beine zusammen, lächelte verkniffen und biss mir dabei auf die Unterlippe.
Langsam zog sich das Gesicht zurück, die Haut erschlaffte. Von ihrer Mitte aus verbreitete sich eine Vibration, dann schleuderten die Ketten in alle Richtungen davon und zerrissen dabei das strapazierte Gewebe.
»Das war mein Vater«, konstatierte Moi’ra und rief auf eine mir unbekannte Weise die Ketten wieder zu sich heran. Wie rasselnde Schlangen schmiegten sie sich über den Boden und um ihre Arme.
Noch ergriffen von der Begegnung nickte ich kurz.
»Wer könnte uns eine Auskunft geben über Boten, die diese Stadt betreten?«, rätselte der Mönch laut vor sich hin.
Ich