Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt. Fritz Krafft

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Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt - Fritz Krafft


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Qualitätenlehre entwickelte Humoralpathologie mit einer besonderen Pneumalehre. Er unterschied dazu drei Arten von ›Pneumata‹, die in den wichtigsten Organen säßen: 1. in der Leber das natürliche Pneuma (pneuma physikon), das die Funktion der Ernährung, des Wachstums und der Fortpflanzung steuere; 2. im Herzen das Lebenspneuma (pneuma zōtikon), das die Lebensfunktionen reguliere, indem es Wärme und Leben durch die Arterien verteile; 3. im Gehirn das psychische Pneuma (pneuma psychikon), das Herz, Nerven und somit Gefühle steuere. Auf diesen drei ›Pneumata‹ basierte das physiologische System des Menschen letztlich bis hin zu William Harvey. Für Galenos müssen dann auch die drei Hauptorgane eines jeden Lebewesens, und zwar in dieser nach ihrer Lebenswichtigkeit geordneten Reihenfolge, als erstes gebildet werden: zuerst die Leber mit den Venen, dann das Herz mit den Arterien und endlich das Gehirn. Galenos stellte fest, dass auch die linke Herzkammer und die Arterien Blut enthalten, und nahm daraufhin an (von der Erkenntnis eines Blutkreislaufes war man noch weit entfernt), dass das Blut durch das ›Septum‹, die Herztrennwand, hindurch sickere; denn es sollte in der Leber ständig neu gebildet und im Körper verbraucht werden.

      Am nachhaltigsten wirkte Galenos jedoch durch seine wissenschaftlich fundierte Krankheitslehre, in der die Ursachen der Krankheiten und die Fülle der Symptome sowie die Zustände der Leiden sorgfältig untersucht werden, und seine ebenso systematisch humoralpathologisch ausgerichtete Arzneimittellehre. Hiernach werden die in einer Mischung latent erhalten bleibenden Primärqualitäten der Elemente in den aus ihnen zusammengesetzten Pharmaka zu wahrnehmbaren Sekundärqualitäten vereint, aus denen man auf das Verhältnis unter jenen Primärqualitäten rückschließen kann. Die Primärqualitäten würden aber erst wieder im gesamten Körper oder in einem bestimmten Organ, zu dem das Arzneimittel als Vehikel sie trage, wirksam – etwa als hochgradig ›warmer‹ und damit wärmender Pfeffer. Da jegliche Krankheit auf einer für das entsprechende Individuum oder eines seiner Organe ›nicht naturgemäßen‹ (das ist: nicht gesunden) Mischung der Säfte und ihren Qualitäten (›Dyskrasis‹) beruhen soll, werden die Mittel mit ihren erwärmenden oder erkaltenden, erweichenden und verflüssigenden oder trocknend-festigenden Wirkungen vom Arzt ausgleichend eingesetzt (in der Regel als ›reinigende‹, zum Ausscheiden anregende Mittel, sogenannte ›Purgantien‹), bis im Organ oder Körper wieder der ›naturgemäße‹ Mischungszustand (›Eukrasis‹), das richtige ›temperamentum‹ erreicht wird (Theophrastos hatte ja nach dem Übermaß eines der vier Säfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – im ›Temperament‹ vier verschiedene Charaktere des Menschen unterschieden: Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker). Galenos hat dazu die Wirkeigenschaften der einfachen Mittel (Simplicia) und der aus ihnen zusammengesetzten Mittel (Composita) für jede der vier Primäreigenschaften in vier Grade mit (später) bis zu drei Zwischengraden unterteilt, um sie bei den ebenso in Grade unterteilten Eigenschaften der krankhaften Dyskrasien entsprechend einsetzen zu können. Aufgabe des Arztes oder seines Arzneibereiters (der erst im Mittelalter ein vom Arzt unabhängiger ›Apotheker‹ wurde) war es, durch entsprechende Verfahren (die spätere ›Apothekerkunst‹) die höchstgradigen oder falschgradigen Simplicia im Compositum entsprechend dem Bedarf zu ›korrigieren‹, »lege artis« zu bearbeiten. – Die Medizin und Pharmazie des Galenos wurde im Mittelalter vor allem in der schematisierten Form tradiert, die ihr der Iraner Avicenna (eigentlich Abu Ali al-Husalin Ibn Abd Allah Ibn Sina) in seinem enzyklopädischen ›Canon medicinae‹ gegeben hatte, der bis ins 20. Jahrhundert die arabische und bis ins 17. als maßgebliches Lehr- und Handbuch auch die europäi­sche Medizin beherrschte, bis hier der echte, griechische Galenos an die Stelle des ›arabischen Galen‹ gesetzt wurde.

      Alhazen

      (eigentlich Abu ‚Ali al-Hasan Ibn al-Hasan

       Ibn al-Haitham)

      (* um 965 Basra, † 1039 oder später Kairo)

      Ibn al-Haitham, im lateinischen Mittelalter kurz Alhazen genannt, war in bereits reiferem Alter nach Ägypten übergesiedelt, wo er einige Jahre im Dienste des Fatimiden-Kalifen al-Hakim stand. Nach dessen Tod oder vielmehr Verschwinden im Jahre 1021 sah Alhazen sich dann gezwungen, seinen Lebensunterhalt in Kairo als Abschreiber mathematischer und anderer Bücher zu erwerben. Er selbst verfasste insgesamt fast 200 Werke mathematischen, physikalischen, naturphilosophischen und medizinischen Inhalts.

      Alhazens mathematisches und naturwissenschaftliches Wissen basierte wie das seiner Zeitgenossen im arabisch-muslimischen Kulturkreis auf dem der Griechen, deren Schriften über die syrischen Christen in den Osten vermittelt und schließlich ins Arabische, die Kultur- und Religionssprache des gesamten Islam, übersetzt worden waren. Einer der wirksamsten Vermittler des griechischen mathematischen Schrifttums war der syrische Arzt, Mathematiker und Philosoph Abul Hasan Thabit Ibn Kurra gewesen, der, als Angehöriger der Christentum und Islam trotzenden Sekte der Sabier im seit dem Hellenismus stark von griechischem Denken und griechischer Kultur geprägten Harran, dem griechischen Hellenopolis, durch verschiedene Kulturen geprägt, sich nach einem gründlichen mathematisch-philosophischen Studium in Bagdad mit seinen griechischen, syrischen und arabischen Sprachkenntnissen den sogenannten ›Drei Brüdern‹, den Söhnen des Musa Ibn Schakir, zur Verfügung stellte, die in Bagdad eine Übersetzerschule unterhielten. Thabit ibn Kurra übersetzte hier die Werke griechischer Mathematiker, verfasste aber auch eigene Werke zu Medizin, Mathematik und Astronomie auf der Grundlage der selbst übersetzten und noch nicht übersetzter griechischer Schriften.

      Alhazen ging dann in seinen Schriften erstmals verstärkt kritisch mit diesem Wissen um und gab den physikalischen Wissenschaften damit neue Impulse. In starkem Maße führte er auch das (qualitative) Experiment in seine Physik ein und bewies mittels genial erdachter und durchgeführter Versuche, dass die Erklärungen des Aristoteles nicht immer mit den Naturerscheinungen selbst übereinstimmten. Sein Hauptinteresse galt der Optik: Er hatte eine bessere Kenntnis vom Bau des Auges und vom Sehvorgang als seine Vorgänger, kannte die vergrößernde Wirkung von Linsen, untersuchte die sphärische Aberration und versuchte erstmals, aus der Dauer der Dämmerung, also aus dem Stand der Sonne unter dem Horizont während der letzten Dämmerungserscheinung, die Höhe der lichtbrechenden Lufthülle, später von Willebrord Snellius ›Atmosphäre‹ genannt, zu berechnen. Seine ›Große Optik‹, in der seine neuen Erkenntnisse mit dem antiken Wissen zu einem Handbuch vereint waren, wurde zusammen mit dem Werk über die Dämmerungsdauer, dem ›Liber de crepusculis et nubium ascensionibus‹, gegen Ende des 12. Jahrhunderts in Spanien, wahrscheinlich von Gerhard von Cremona an der Übersetzerschule von Toledo, ins Lateinische übersetzt und 1572 unter dem Titel ›Opticae thesaurus Alhazeni‹ von Friedrich Risner auch gedruckt herausgegeben. Besonders in der Bearbeitung von Roger Bacon und dem schlesischen Optiker Witelo beeinflusste sie stark die abendländische Optik bis hin zu Johannes Kepler.

      Einen ähnlich nachhaltigen Einfluss übten die kosmologischen Ansichten Alhazens aus, denen zufolge die Planetenbewegungen durch das Zusammenwirken mehrerer fester, undurchdringlicher Äthersphären entstehen, wozu er Vorstellungen, die Ptolemaios abweichend von dem System homozentrischer Äthersphären des Aristoteles für ein mechanisches ›Planetarium‹ entwickelt und Thabit Ibn Kurra ausgearbeitet hatte, zu physischen umformte. Diese nicht, wie bei Aristoteles, konzentrisch, sondern entsprechend den mathematischen Modellen unterschiedlich begrenzten Äthersphären gingen dann als ›physikalische‹ Erklärung der Elemente der mathematischen Astronomie in die ›Theoricae planetarum‹ des lateinischen Mittelalters ein, die, parallel zur mathematischen Astronomie der Sphärik tradiert, die astronomischen Vorstellungen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts mit prägten. Verständlich wird daraufhin, dass Alhazen die ptolemaiische ›Ausgleichsbewegung‹ als unphysikalisch ablehnte und darin eine ungebrochene, aber kaum konsequent bedachte Tradition begründete, die letztlich zwar auf die Kritik von Ptolemaios’ Zeitgenossen Sosigenes zurückgriff, aber bis hin zu Nicolaus Copernicus fortlebte, dessen Ziel ja eine Astronomie ohne dieses Manko ptolemaiischer Astronomie war.

      Averroës

      (eigentlich Abu-l Walid Muhammad Ibn Ahmad Ibn ­Muhammad Ibn Roschd)

      (* 1126 Córdoba, † 10. 12. 1198 Marrakesch [Marokko])

      Ibn Roschd, im lateinischen Mittelalter lateinisiert zu Averroës, studierte


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