Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt. Fritz Krafft

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Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt - Fritz Krafft


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Die Ursachenkette kann unendlich sein, Gott braucht nicht die erste Ursache zu sein / nicht jede Bewegung bedarf eines Bewegers / Gottes Einheit und Unendlichkeit ist nicht nachweisbar / eine Mehrheit von Welten verschiedener Urheber ist denkbar usw.

       Diese nominalistische Skepsis, welche die vertrauten aristotelischen Grundsätze auch der Theologie als in der Tat ›fragwürdig‹ bloßlegte, eröffnete allerdings der Naturerkenntnis ganz neue Wege. Diese wurden zwar vorerst rein spekulativ als Diskussion verschiedener Möglichkeiten beschritten, wurden dann aber teilweise im 16. und 17. Jahrhundert als der Realität entsprechende erkannt oder gesetzt und führten so zur Überwindung des Weltbildes und der Naturwissenschaft des Aristoteles. Ansätze in dieser Richtung bei Wilhelm von Ockham wurden besonders an der Universität Paris weiter gebildet. Stieß hier jedoch die theologische Ausrichtung des Ockhamismus auf harte Kritik seitens der Kurie, so blieben die vorwiegend naturphilosophisch orientierten Anhänger unbehelligt. Unter ihnen ragte neben Nicole Oresme besonders Johannes Buridanus hervor.

      Johannes Buridanus war angesehener Lehrer und mehrmals Rektor der Pariser Universität, in deren Kollegium von Navarra auch Nicole Oresme 1348 zum Studium der Theologie eintrat. Nach Erwerb des Doktortitels wurde Oresme 1356 Großmeister des Kollegiums, welches Amt er bis 1362 bekleidete; er scheint seine Lehrtätigkeit darüber hinaus auch nach der Übertragung verschiedener kirchlicher Ämter weiter ausgeübt zu haben, bevor er 1377 zum Bischof von Lisieux gewählt wurde und im Herbst 1380 dorthin übersiedelte. Die große Wirkung, die Oresme mit seinem naturphilosophischen Nominalismus ockhamistischer Prägung in Paris, meist im Zusammenhang mit Kommentaren zu Schriften des Aristoteles, entfalten konnte, hing sicherlich zum Teil auch damit zusammen, dass er seine wichtigsten Schriften nicht nur in der damaligen Gelehrtensprache des Lateinischen abfasste, sondern auf Befehl des Königs erstmals auch in seine Landessprache übertrug. Durch die Prägung einer großen Anzahl neuer Ausdrücke legte er so den Grundstein für den wissenschaftlichen Wortschatz des Französischen.

      In verstärktem Maße beschränkten Buridanus und Oresme sich in der Naturphilosophie auf die Frage nach dem ›wie‹ eines Vorganges. Hierzu entwickelte Oresme unter dem Einfluss platonischer Ideen eine geometrisch-graphische Methode zur Fixierung aller Arten von Veränderungen in Abhängigkeit von der Zeit. In seiner mehrteiligen Abhandlung ›De difformitate qualitatum‹, auch ›De latitudinibus formarum‹ (›Breite der Formen‹, Eigenschaften) genannt, stellte er diese erste graphische Darstellungsweise von Bewegungen und Veränderungen dar, eine Art Koordinatensystem mit der Zeit als ›Länge‹ und dem jeweiligen Grad oder der ›Intensität‹ einer Eigenschaft oder Bewegung (Wärme, Geschwindigkeit, aber auch Frömmigkeit und ähnliches) als ›Breite‹. Er weitet damit den Anwendungsbereich einer aus der Astronomie und Geographie seit der Antike gebräuchlichen punktuellen Bestimmungsmethode auf Prozesse qualitativer, quantitativer und kinematischer Veränderungen aus und führt den späteren Begriff der Funktion ein, der heute wieder eine ähnlich breite Anwendung über Mathematik und Physik hinaus wie bei Oresme erfahren hat. Nur ein Fall unter anderen war für ihn die Anwendung dieser Vorform der analytischen Geometrie René Descartes’ auch auf die gleichförmig ungleichförmige, das ist die gleichförmig beschleunigte Fallbewegung. Damit wurde er zum Wegbereiter der Entdeckung des Fallgesetzes durch Galileo Galilei, indem er aufzeigte, dass das die Bewegung nach dieser Methode graphisch wiedergebende Dreieck in ein gleichgroßes Rechteck verwandelt werden kann, das die mittlere Geschwindigkeit über denselben Zeitraum bestimmt. Für die Entwicklung der abendländischen Physik bestand seine Bedeutung daneben im wesentlichen in der Übernahme und Ausweitung der Impetustheorie von Johannes Buridanus.

      Um Fall- und Wurfbewegung nach Aristoteles im Sinne von Gottes Allmacht christlich umformen zu können, hatte letzterer den Bewegungsantrieb der Einfachen Körper nach ihrer Erschaffung ihnen von Gott als (immerwährenden) Impuls, ›impetus‹, einpflanzen lassen, so auch die Rotationsbewegung den Äthersphären, für die es somit keines separaten Bewegers (Gott als Erster unbewegter Beweger oder die Geistseelen der Sphären, ›intelligentiae‹) mehr bedurfte. – Dank dieser Impetustheorie, die schon einmal im 6. Jahrhundert von Ioannes Philoponos aufgrund ähnlicher Überlegungen als Christianisierung aristotelischer Lehren erstellt worden war, ohne dass Buridanus davon gewusst zu haben scheint, brauchte die Astronomie (und ›Astrophysik‹) bis einschließlich N. Copernicus die Frage nach dem Beweger erst wieder zu stellen, als die Äthersphären als Träger und Beweger der Gestirne wegfielen.

      Ohne direkte Einwirkung auf das spätere Weltbild scheinen dagegen Buridanus’ und Oresmes äußerst scharfsinnigen Bemerkungen zu den physikalischen und astronomischen Konsequenzen einer durchaus möglichen anderen Welt, etwa mit rotierender Erde und ruhender Fixsternsphäre, gewesen zu sein. Die These, für unsere Welt seit dem ausgehenden fünften vorchristlichen Jahrhundert immer wieder einmal diskutiert – auch Ptolemaios setzte sich ausführlich mit ihren physikalischen Konsequenzen auseinander wie später die Copernicaner, allerdings mit gegenteiligem Schluss –, ist auch keine Vorwegnahme der heliozentrischen Theorie des Nicolaus Copernicus, da sie nur spekulativ erörtert wurde, wenn auch scharfsinniger als durch Copernicus selbst. Veranlasst durch die Verbote (1277) naturphilosophisch-deterministischer Sätze, welche die Allmacht Gottes eingeschränkt hätten – wie: dass Gott nur eine Welt hätte erschaffen können, dass Gott die Welt nicht geradlinig bewegen könne usw. – werden aus Erfahrungen und Beobachtungen der Erscheinungen am Himmel (gemäß der ›Optik‹ des Eukleides ohne Unterscheidungskriterien für scheinbare oder tatsächliche Bewegungen) zahlreiche Argumente für die Existenz einer heliozen­trischen Welt (der Achsendrehung usw.) in extenso dargelegt, so dass der Schluss auf die Richtigkeit dieses Weltbildes unumgänglich schien, bis er, für spätere Zeiten überraschend, schloss: »Da die Vorstellungen unseres Verstandes von unseren Sinnen abhängen, können wir den unkörperlichen Raum jenseits der Himmel weder begreifen noch erfassen. Verstand und Glaube sagen uns aber, dass er existiert. Deshalb folgere ich, dass Gott in seiner Allmacht eine andere Welt neben dieser oder mehrere, gleiche oder andersartige, schaffen kann und könnte. Weder Aris-

       toteles noch irgendjemand anderes wird in der Lage sein, das Gegenteil zu beweisen. – Aber es hat natürlich nie noch wird es je mehr als diese eine körperliche Welt [in dieser geozentrischen Anordnung] geben«, wie die Bibel und Aristoteles bezeugten. Ähnlich wird lang und breit – und mit demselben Schluss – beispielsweise für eine Achsendrehung argumentiert, wobei die Impetustheorie gute Erklärungsargumente für das später berühmte Beispiel des von dem Mast eines fahrenden Schiffes senkrecht herabfallenden Steines liefert, nur dass das 17. Jahrhundert (G. Galilei, I. Newton) dann nicht mehr von einem ›impetus‹ sprechen sollte, sondern von der durch Gott den Körpern eingeprägte Kraft (›vis impressa‹), während ein Tycho Brahe hieraus noch ein Argument gegen die Achsendrehung hatte ableiten sollen.

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