Tokeah. Charles Sealsfield
Читать онлайн книгу.Miko der Oconees weiß die Wasserschlange zu treffen; aber,« fügte sie gleichgültig hinzu, »sie war noch jung und bereits erstarrt, denn das Wasser beginnt kühl zu werden. Canondah ist bloß ein schwaches Mädchen; aber sie könnte den weißen Jüngling lehren, die Wasserschlange zu töten.«
Als sie die letzten Worte sprach, fiel ihr Blick auf einen Zypressenbaum, der wenige Schritte vom Rande des Wassers in der Untiefe stand.
»Der Weiße Jüngling?« fragte Rosa.
Die Indianerin legte ihren Zeigefinger bedeutsam auf den Mund, wusch das Blut von Messer und Händen und trat dann unter den Baum. Mit der linken Hand bog sie die herabhängenden Zweige auseinander, während sie ihre flache Rechte vorstreckte, als Friedens- und Freundschaftszeichen, und dann auf das Ufer hinwies, auf das sie langsam, ihren Blick auf die Zypresse gerichtet, zuschritt. Die Zweige öffneten sich jetzt, und ein junger Mann näherte sich vorsichtig dem Rande des Wassers, während seine Hände nach dem zunächststehenden Rohre langten.
»Wie kam dieser hierher?« fragte leise Rosa die Indianerin, ihre Augen auf den Jüngling gerichtet.
Die Indianerin wies schweigend auf ein Boot, das zwischen dem Rohre steckengeblieben und das der Jüngling offenbar hindurchzuzwängen bemüht gewesen war.
Dieser hatte sich bereits dem Ufer bis auf wenige Schritte genähert, als er zu schwanken und dann zu sinken anfing. Canondah kam noch gerade zu rechter Zeit, um seinen Fall ins Wasser zu verhüten. Sie fing ihn in ihren Armen auf und zog ihn dem Ufer zu, an dessen Bank sie ihn lehnte. Die Ursache der Schwäche des Fremdlings zeigte sich nun in dem Blutstrome, der seinem Schenkel entquoll. Der Alligator hatte ihn in der Mitte desselben mit seinem Rachen angefaßt und ihm eine tiefe Wunde beigebracht. Kaum war die Indianerin derselben ansichtig geworden, als sie auf das Ufer an die Seite Rosas sprang und ihr mit den Worten: »Dein weißer Bruder ist von der Wasserschlange gebissen, und du siehst, Canondah hat bloß ihr Kleid an«, das seidene Tuch vom Halse löste, dann mit eben der Schnelle unter den Kräutern auf der Erde herumsuchte, ein Büschel ausriß, eine junge Palma Christi über ihrem Knie brach, und das zarte Fleisch, das unmittelbar unter der Rinde dieses Baumes liegt, ablöste. Hierauf sprang sie hinab in den Fluß an die Seite des Fremdlings, verstopfte zuerst die Wunde mit den weichen Fasern, belegte sie mit den Kräutern und verband sie dann mit dem Halstuche. Das Ganze war das Werk eines Augenblicks, und so schnell und bestimmt waren alle ihre Bewegungen gewesen, daß Rosa mit Erröten sich ihres Busentuches verlustig fand, nachdem dieses bereits um den Schenkel des Fremdlings gewunden war.
»Und nun deine Hände, liebe Schwester«; sprach die Indianerin zu Rosa, die noch immer auf der Uferbank stand, mit ihren Händen den Busen bedeckend, dessen leichtes Beben eine kleine Bewegung zu verraten schien. Die Indianerin war ein wenig ungeduldig geworden. Sie deutete schweigend auf den jungen Mann, faßte ihn selbst um den Leib herum, und, unterstützt von ihrer Freundin, hoben sie ihn beide auf das Ufer.
So schnell und bestimmt alle Schritte der Indianerin bisher gewesen, so sorgsam und ernst schien sie nun auf einmal zu werden. Sie hatte kaum den Jüngling ans Ufer gebracht, als sie nochmals in den Fluß hinabstieg und das Boot sorgfältig untersuchte, dann kopfschüttelnd zu dem Fremdling trat, einen durchdringenden Blick auf ihn warf und wieder dem Boote zurannte. Plötzlich wandte sie sich zu Rosa und flüsterte dieser einige Worte zu, die eine Totenblässe über die Wangen des Mädchens brachten. Auch diese näherte sich dem Jünglinge. Ihr Blick hing forschend an seinen leidenden Zügen und seinen gebrochenen Augen, die den höchsten Grad von Erschöpfung verrieten. Er schien seiner Auflösung nahe zu sein. Seine erdfahle Gesichtsfarbe, seine eingefallenen Wangen und Augen verrieten vielleicht wochenlange Entbehrungen. Er glich mehr einer von den Wogen ans Meeresufer geworfenen Leiche, als einem Lebenden. Seine Haare waren vom Seewasser gebleicht, hingen in Flechten um Stirne und Nacken, die Farbe seiner Kleider war kaum mehr zu erkennen, übrigens schien er noch sehr jung; seine Züge, so viel sich entnehmen ließ, waren nichts weniger als unangenehm und ungeachtet der äußersten Erschöpfung noch immer anziehend.
Sie hatten sein Haupt an den Stamm einer Zypresse gelehnt, durch deren Zweige die Strahlen der Sonne auf seinem Gesichte spielten, seine leidenden Züge gleichsam verklärend.
»Unser weißer Bruder«, sprach die Indianerin im leisen, beinahe scheuen Tone, »ist im Kanu des Häuptlings der Salzsee angekommen; aber er ist keiner seiner Krieger.«
»Er ist vielleicht, was sie einen Matrosen nennen«, bemerkte Rosa.
»Nein«; sprach die Indianerin im bestimmten Tone. »Sieh nur einmal seine Hände, sie sind kaum stärker als die meinigen, und zart, wie die eines Mädchens; das Salzwasser hat sie bloß gelb gefärbt.«
»Vielleicht ist er ein Bote«, wisperte Rosa, auf eine Weise, die jedoch Zweifel auszudrücken schien.
Die Indianerin schüttelte wieder den Kopf. »Sieh, er kommt von der Salzsee durch den großen See, der das Wasser unsers Stromes trinkt; aber er weiß nicht einmal ein Boot durch das dicke Gras zu bringen. Er wähnte, die große Wasserschlange sei ein fauler Baum, und trat auf sie, und sie begrub ihre Zähne in seinem Fleische. Dein weißer Bruder ist dem Häuptling der Salzsee entflohen.« Sie sprach diese Worte mit einer Bestimmtheit und Zuversicht, als wenn sie den Fremdling auf seinem abenteuerlichen Zug begleitet hätte.
»Und würde Canondah zugeben, daß ihr Bruder in der kalten Nacht erstarre, oder daß das Fieber ihm sein Leben raube, ihm, der ihr und den Ihrigen nie etwas zuleide getan hat?«
»Meine Schwester spricht wie eine Weiße, Canondah ist aber die Tochter des Miko«; entgegnete die Indianerin ein bißchen trotzig; doch erfaßte sie Rosas Hand, ihre Züge hellten sich auf, und sie fügte im leisern Tone hinzu: »Canondah will die Stimme ihrer Schwester zugunsten ihres weißen Bruders hören. Wir müssen ihn aber in den hohlen Baum bringen.«
Beide Mädchen hoben nun den Jüngling, und jede einen seiner Arme erfassend, schleppten sie ihn durch das dichte Rohr. Während die voranschreitende Rosa ihn durch das Palmetto hindurchzuziehen versuchte, bemühte sich die Indianerin, vorzüglich seinen Fall zu verhüten. Es war ein langsamer und mühsamer Zug. Blutverlust und frühere Erschöpfung hatten die Kräfte des jungen Menschen so ganz aufgerieben, daß sie ihn kaum mit Anstrengung aller ihrer Kräfte aufrechterhalten konnten.
»Rosa!« schrie die Indianerin plötzlich, »denke an die Squaws, an den Miko; die Spuren werden noch nach Monden zu sehen sein.«
Rosa hätte wohl mit ihrer ätherischen Gestalt durch die zahllosen dicht aneinandergereihten Stämmchen dringen können; allein der seitwärts nachgeschleppte Fremdling brach mit jedem Schritte einige Rohre. Sie waren noch nicht zur Hälfte des Palmettofeldes gelangt, als seine gänzliche Auflösung nahe schien. Alle Kraft war von ihm gewichen, und beide Mädchen vermochten nur mit äußerster Anstrengung, ihn den Rest des Feldes hindurchzuschleppen.
Keuchend und stöhnend waren sie endlich am Rande angelangt, Rosa war im Innern niedergeschlagen, unfähig sich zu erheben; die Indianerin hatte noch so viel Kraft, ihre Last aus dem Palmetto zu schleppen, und sank dann gleichfalls erschöpft auf den Rasen hin.
Die letzten Strahlen der Sonne vergoldeten noch die Gipfel der höheren Bäume, die untern Zweige schwanden bereits in das mattere Zwielicht, als Rosa zur Indianerin trat und sie mit den Worten: »Die Sonne steht tief«, aus ihrer Bewußtlosigkeit aufregte. Die Indianerin sprang auf, und beide Mädchen trippelten tiefer in den Wald, da wo der Boden sich gegen den Sabine zu senkt. Vor einem ungeheuern Kottonbaume hielten sie. Mehrere riesenstämmige Weinreben, in deren gewaltiger Umarmung dieser kolossale Stamm abgestorben war, umwanden noch immer mit ihren glänzendroten Ranken den herrlichen Koloß, dessen Inneres mit seinen modernden Zacken, ausgehöhlt vom Zahne der Zeit, in tausend phantastischen Gestalten sich darstellte, und, einer gotischen Kapelle nicht unähnlich, so geräumig war, daß zwanzig Menschen darin Platz fanden. Die Sorgfalt, mit der diese Höhle gereinigt war, und eine nachbarliche Salzquelle, verrieten, daß sie den zur Nachtzeit jagenden Indianern als Anstandspunkt diente. Canondah näherte sich vorsichtig der Öffnung, trat behutsam ins Innere und kehrte mit der Nachricht zurück, daß es leer sei. Beide Mädchen eilten nun einer Zypresse zu, von deren Ästen sie ein Bündel spanischen Mooses rissen, und das sie in der Höhle zum weichen Lager bereiteten. Die Indianerin rollte noch mehrere morsche Blöcke vor den Eingang, wahrscheinlich um ihn