Tokeah. Charles Sealsfield

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Tokeah - Charles  Sealsfield


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und dem Fremden zueilend. Die Indianerin, ohne auch nur einen Augenblick zu verweilen, schob ihre Linke unter den beiden Schenkeln des Verwundeten hindurch und winkte Rosen, ihre Hand zu fassen, während ihre Rechte dem Verwundeten zur Lehne diente. Rosa errötete.

      »Scheut sich die weiße Rose, ihren Bruder zu berühren, um dessen Leben sie ja eben gebeten?« sprach sie mit einem sanften Vorwurfe.

      Das Mädchen, statt aller Antwort, faßte die Hand der Indianerin, und die beiden hoben ihre Bürde auf die soeben angezeigte Weise mit verschlungenen Händen und trugen sie der Baumhöhle zu, in welcher sie sie niederließen. Die Indianerin bog sich über ihn herab und wisperte: »Wenn die Erde in Dunkel gehüllt ist, wird Canondah zu ihrem Bruder kommen, und dann wird sie Balsam in seine Wunden gießen.«

      Ihre Worte jedoch waren, wie zu erwarten stand, ungehört verschollen, und, ein leises Atmen ausgenommen, gab der Fremdling kaum mehr ein Zeichen des Lebens. Noch waren die Baumgipfel in glänzendem Purpur gerötet, während über die Tiefen das Dunkel heranzog, als die beiden Mädchen wieder an den Ort kamen, wo sie die Trauben eingesammelt hatten. Hastig ihren Vorrat aufraffend, schlugen sie den engen Pfad ein, den sie gekommen waren und auf welchem wir ihnen nun vorzueilen gedenken, um unsere Leser in eine neue Welt einzuführen.

      Viertes Kapitel

      Nicht fern von dem Schauplatze des soeben erzählten Abenteuers öffnete sich eine weite Lichtung, die etwa drei Meilen längs dem Ufer sich erstreckend, eine halbe Meile vom Flusse gegen den Wald zulief. Diese Lichtung war Palmettofeld gewesen, das, wie bereits erwähnt, sich längs dem rechten Ufer des Flusses ungefähr eine halbe Meile gegen den Wald hinziehend, von den kolossalen Stämmen dieser Urwälder gleich einem Rahmen eingefaßt wird. Augenscheinlich hatte man diese Lichtung durch Verbrennen des Rohres bewirkt, an dessen Stelle ein Teppich des üppigsten Wiesengrundes mit prachtvollen Baumgruppen getreten war, zwischen welchen irreguläre Hecken von Myrten, Mangroven, Palmen und Tulpenbäumen sich hindurchschlängelten, das Ganze einem Parke mit seinen Baumgruppen und Pflanzungen ähnelnd. Hie und da ließen sich Rauchwölkchen sehen, die sich durch die silbergrünlichen Äste der Sykomore und Kottonbäume hinaufschlängelten und auf das Dasein menschlicher Wesen schließen ließen, und bei näherer Besichtigung fand man unter den Baumgruppen eine oder mehrere Hütten friedlich an einen Baum gelehnt und von kleinen Welschkorn- und Tabakpflanzungen eingesäumt. Weiter hinauf nahm ihre Anzahl allmählich zu, so daß ihrer nicht weniger denn fünfzig sein mochten.

      Es war keine besondere Ordnung in ihrer Aufstellung oder Bauart bemerklich. Man schien bei ihrer Errichtung weniger den Geschmack als einen gewissen Hang zur Indolenz berücksichtigt und sich beim Aufbau nichts weniger als hart angestrengt zu haben. Man hatte sich die einfachsten Baumaterialien genügen lassen, roh, wie sie die Natur darbietet. Sie waren aus den kleinen Ästen von Kottonbäumen gezimmert und aufgerichtet, die Lücken ausgefüllt mit Tillandsea oder spanischem Moose. Statt der Dachdauben, mit denen westlich von dem Alleghaniegebirge häufig die Wohnungen ärmerer Landleute gedeckt sind, hatte man hier das Palmettorohr genommen: eine Wahl, die dem Ganzen einen ungemein zarten Anstrich von Ländlichkeit und Einfachheit gab. Die Wohnungen selbst waren größtenteils ohne Fenster und erhielten ihr Licht durch die Kaminöffnung oder die Türe, statt welcher eine Wildbüffelhaut vom Türpfosten herabhing, die während des Tages auf das niedrige Dach zurückgeworfen wurde. Der Hauptreiz dieses Dörfchens lag jedoch nicht sowohl in seiner Bauart, als den vielen Baumgruppen, unter welchen die niedlichen Hütten zu nisten schienen: eine Maßregel, die wahrscheinlich die große Hitze während der Sommermonate in einer Gegend nötig machte, die bekanntlich der Scheidepunkt zwischen der nördlichen und südlichen Hälfte der westlichen Welt bildet. Die außerordentliche Reinlichkeit des Dörfchens war nicht weniger bemerkenswert und trug viel dazu bei, den günstigen Eindruck zu vermehren. Es war wirklich ein liebliches Plätzchen, wie noch aus seinen Ruinen zu ersehen ist. Der Wasserspiegel des Natchez, der hier gewaltig der See zuschwillt, der Rahmen von dunkeln Zypressen und Mangroven, mit denen beide Ufer eingefaßt und deren kolossale Schatten sich auf dem Wasser vertausendfachen, die zahlreichen Baumgruppen, unter denen die Wohnungen gleich so vielen Einsiedeleien hingezaubert, und endlich der breite Gürtel selbst, begrenzt auf beiden Seiten durch die prachtvoll wogenden Palmettofelder, auf der dritten durch einen Wall riesiger Urbäume, gaben dem Ganzen einen Anstrich entzückender Abgeschiedenheit.

      Die Bewohner dieses abgeschiedenen Fleckchens dürften vielleicht, mit einigen Ausnahmen, weniger reizend, im ganzen genommen jedoch kaum minder interessant gewesen sein. Vor den äußersten Hütten war eine Gruppe glänzend dunkelfarbiger Wesen zu ersehen, die man auf den ersten Anblick ohne Zweifel für eine Herde Affen gehalten haben würde, so drollig waren ihre Bewegungen. Bald hüpften sie über Hecken und Stauden, gleich einer Herde dieser Tiere, wanden sich dann gleich Schlangen und rollten den Abhang zum Flusse hinab, mit einer Behendigkeit und Schwungkraft, der kein menschliches Auge zu folgen schnell genug gewesen wäre. Weiter ins Dörfchen hinein sah man Züge von erwachseneren Jungen in ihren kriegerischen Übungen begriffen. Sie stellten den Spähertanz dar. Während eine Anzahl auf dem Rasen gleich einem Schlangenknäuel fortkroch, hatten sich andere in weiter Ferne in horchender Stellung zur Erde geworfen, die, ihre Köpfe tief in den Boden eingedrückt, lauschend auf die Bewegungen ihrer Gegner, denen sie sich windend zuletzt näherten, plötzlich aufsprangen und über sie herfielen. Als dieses kriegerische und die Sinne äußerst schärfende Spiel einige Male wiederholt worden war, formten sie sich in die sogenannte indianische Reihe und rückten zum wirklichen Kampfe mit drohenden Gebärden aufeinander los. Ihre stumpfen hölzernen Tomahawks schwingend und schreckliche Hiebe einander zumessend, bewegten sie sich, flohen, prallten an, krümmten sich unter den Hieben oder wichen ihnen aus mit den plumpesten, ungeschlachtesten und hinwieder graziösesten Wendungen.

      Nicht die mindeste Neugierde oder Teilnahme der übrigen Bewohner des Dörfchens. Die größte Apathie und die größte Kraftäußerung bildeten hier durch ihre Ungezwungenheit nur um so größere Kontraste. Vor den offenen Hütten saßen einige Squaws mit ihren Töchtern, Welschkorn aushülsend, Hanf brechend oder Tabakpflanzen schichtend; die Kinder hingen an den Außenwänden auf einem langen, hohlen, trogartigen Brettchen oder einer Rinde ausgestreckt, ihre Hände und Füße mit Wildbüffelriemen an das hohle Brett geschnallt, mit keiner andern Bekleidung als einem Streifen Kaliko um die Hüften: die gewöhnliche Art dieser Indianer, ihre Kinder das ganze Leben hindurch in der aufrechten Stellung zu erhalten, die sie und ihre Besieger so sehr charakterisiert.

      Nicht ferne vom obern Ende der Niederlassung standen zwei größere Hütten, die man auf den ersten Anblick für hölzerne Schulgebäude oder religiöse Versammlungsplätze in unsern Hinterwäldern hätte nehmen können.

      Beide waren gleich den übrigen an Sykomorebäume gelehnt, zeichneten sich jedoch sowohl durch ihren großem Umfang, als ihre gesuchtere Bauart aus und waren von Lauben von Palmen und Mangroven umgeben, mit ziemlich großen Rasenplätzen vor den Türen. Vor einem dieser kleineren Häuser und mitten auf dem freien Rasenplätze kauerte eine Gruppe von etwa fünfzig Männern am Boden, in dichte Rauchwolken gehüllt, die Tabakspfeifen von drei bis fünf Fuß Länge entstiegen, mit denen alle versehen waren. Ihre Kleidung bestand in einem Jagdhemde von Kaliko, das, vorn offen, die nackte Brust bis zum Wampumgürtel sehen ließ. Ihre Lendenhemden, am Wampumgürtel befestigt, reichten bis an die Knie und an einem Riemen, der quer über die Schultern hing, war ihr Tabaksbeutel befestigt. Sie trugen ihr volles Haar, und keiner hatte den sogenannten Skalpierzopf. Obgleich die Versammlung bloß zufällig und die Unterhaltung mehr eine vertrauliche schien, so hatten die Männer doch augenscheinlich ihre Plätze nach ihrem Range eingenommen. Der innere Halbzirkel nämlich war von den Ältern besetzt, während die Jüngern einen zweiten und dritten Halbkreis bildeten. In der Mitte dieses Bogens saß ein alter Mann, auf den die Blicke der Versammlung mit einem besondern Ausdruck von Vertrauen und Ehrfurcht gerichtet waren und dessen merkwürdiges Äußere, verbunden mit dieser ausgezeichneten Achtung, das Oberhaupt des Völkchens andeutete.

      Es ließ sich nicht leicht etwas Interessanteres denken als diesen Mann, dessen Körper aus nichts als Haut und Knochen zu bestehen schien. Alle fleischigen, gröbern Teile waren aufgetrocknet und nichts war übriggelassen als Sehnen und Adern. Sein offenes Jagdhemde ließ eine Brust erblicken, die, viel breiter als die der übrigen, einem verhackten Brette glich und ein gräßliches Hautrelief von Narben und Wunden darbot. Auf dem Gesichte


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