Der Page des Herzogs von Savoyen. Александр Дюма
Читать онлайн книгу.in den Kerker, ohne daß die Gräfin ihre Angst durch ein Wort, einen Laut oder eine Geberde verrieth, obwohl sie hinter den Eintretenden draußen eine noch schauerlichere Gruppe bemerkte. Der Thür gegenüber stand ein halb schwarz halb roth gekleideter Mann, welcher beide Hände auf den Griff eines langen, breiten, geraden Schwertes stützte; hinter ihm sah man die sechs barmherzigen Brüder mit den schwarzen Capuzen, welche auf ihren Achseln einen Sarg trugen, und über Alles hinweg blitzten die Gewehre eines Dutzend Soldaten, die an der Wand aufgestellt waren. Die beiden Männer mit den Fackeln, der Mann mit dem Pergament, der Maskirte und der Geistliche traten, wie gesagt, in den Kerker ein, worauf die Thür geschlossen wurde, so daß der Henker, die barmherzigen Brüder und die Soldaten draußen blieben. Der Graf stand an der dicken Gefängnißwand, an der sein bleiches Gesicht abstach; sein Blick suchte hinter dem Gitter den Blick der angstvollen Augen zwar vergebens zu erkennen, aber er errieth, daß sie da waren. So unerwartet und stumm die Erscheinung war, welche sich in seinem Kerker einfand, ließ sie ihm doch keinen Zweifel über sein Schicksal. Wäre er auch so glücklich gewesen zu zweifeln, so würde der Zweifel nicht lange gedauert haben: die beiden Männer mit den Fackeln stellten sich rechts und links auf; der Maskirte und der Geistliche blieben an der Thür, der Mann mit dem Pergamente aber trat vor und fragte:
»Graf, glaubt Ihr mit eurem Gott gut zu stehen?«
»So gut wie ein Mensch mit ihm stehen kann, der sich nichts vorzuwerfen hat,« antwortete der Graf mit ruhiger Stimme.
»Um so besser.« entgegnete der Mann mit dem Pergamente, »denn Ihr seyd verurtheilt und ich habe den Auftrag Euch das Todesurtheil vorzulesen.«
»Von welchem Gerichtshofe ist es gesprochen?« fragte der Graf ironisch.
»Durch die alles vermögende Justiz des Herzogs.«
»Und auf welche Anklage?«
»Auf die des Kaisers Carl V. Majestät.«
»Ich bin bereit, das Urtheil anzuhören.«
»So kniet nieder, denn es ziemt sich, daß ein Mann in der Nähe des Todes sein Urtheil kniend anhöre.«
»Ja, wenn er schuldig ist, aber nicht wenn er unschuldig ist.«
»Graf, Ihr steht nicht außerhalb des Gesetzes, kniet also nieder, damit wir nicht genöthigt sind, Gewalt zu brauchen.«
»Versucht es,« sagte der Graf.
»Lasset ihn stehen,« fiel der Maskirte ein, »er möge sich nur bekreuzigen, um sich unter den Schutz des Herrn zu stellen.«
»Der Graf erbebte bei dem Klange dieser Stimme.«
»Herzog Sforza?« sagte er, indem er sich nach dem Maskirten umdrehte, »ich danke Dir.«
»Ach, wenn es der Herzog ist, könnte man vielleicht Gnade von ihm erlangen,« flüsterte die Gräfin.
»Still, wenn Euch das Leben eures Kindes lieb ist,« sagte der Schließer leise.
»Die Gräfin seufzte so stark, daß es der Graf hörte und erbebte. Er machte eine Bewegung der Hand, welche sagen sollte: Muth! dann sagte er laut, wie ihn der Maskirte aufgefordert hatte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«
»Amen!« fielen alle Anwesenden leise ein.
»Dann begann der Mann mit dem Pergamente das Urtheil zu lesen; es war im Namen des Herzogs Francesco Maria Sforza auf Ansuchen des Kaisers Carl V. erlassen und verurtheilte Francesco Maraviglia, den Gesandten des Königs von Frankreich, in der Nacht in seinem Kerker enthauptet zu werden als Verräther, Spion und Verbreiter von Staatsgeheimnissen. Ein tiefer Seufzer drang wiederum zu dem Ohre des Grafen, aber er war so leise, daß nur er ihn zu vernehmen und zu verstehen vermochte. Er wendete den Blick dahin, von wo der schmerzliche Seufzer kam und sagte ohne Unruhe und ohne Zorn:
»So ungerecht das Urtheil des Herzogs ist, so unterwerfe ich mich ihm doch; aber der Mann, der sein Leben nicht mehr vertheidigen kann, muß noch immer seine Ehre vertheidigen, und so appelliere ich von dem Spruche des Herzogs.«
»An wen?« fragte der Mann mit der Maske.
»An meinen König und Herrn, Franz I., zuerst, dann an die Zukunft und an Gott, an Gott, unter dem alle Menschen stehen, namentlich die Fürsten, die Könige und Kaiser.«
»Das ist allein das Tribunal, dem Du Dich empfiehlst?« fragte der Mann mit der Maske.
»Ja,« antwortete der Graf, »und ich berufe Dich, Herzog Francesco Maria Sforza, vor diesem Tribunale zu erscheinen.«
»Wann?« fragte der Maskirte.
»Zu derselben Zeit, welche Jacob von Molay, der Großmeister der Tempelritter, seinem Richter bestimmte, d.h. nach einem Jahre und einem Tage. Wir haben heute den 15. November 1534, also am 16. November 1535, verstehst Du, Herzog Francesco Maria Sforza?«
Er streckte dabei die Hand nach dem Maskierten aus, zum Zeichen der Berufung und der Drohung. Wäre der Herzog nicht maskiert gewesen, man hätte gewiß ihn erbleichen sehen können, denn er war es wirklich, der so mit der Maske dem Tode seines Opfers beiwohnen wollte. So triumphirte der Verurtheilte einen Augenblick vor dem Richter, der vor ihm zitterte.
»Schon gut,« antwortete der Herzog, »Du hast eine Viertelstunde Zeit, Dich mit dem frommen Manne da – er deutete auf den Geistlichen – vorzubereiten; sorge dafür, daß Du nach einer Viertelstunde bereit bist, denn es wird Dir keine Minute mehr gewährt.«
Dann wendete er sich an den Mann Gottes und sagte: »Herr Pater, thut eure Schuldigkeit.«
Er ging hinaus und nahm die beiden Fackelträger und den Mann mit dem Pergamente mit sich; aber er ließ die Thür weit offen, damit er wie die Soldaten in den Kerker hineinsehen und jede Bewegung des Gefangenen beobachten könnte, von dem er sich aus Ehrfurcht vor der Beichte entfernt hatte, damit er nichts hören könne. Nochmals drang ein Seufzer von dem Gitter her zu dem Ohr und dem Herzen des Verurtheilten. Die Gräfin hatte gehofft, daß die Thür sich schließen werde und wer weiß? der Mann Gottes hätte vielleicht durch Bitten und Thränen einer knienden Frau und eines knienden Kindes sich bewegen lassen den Kopf abzuwenden und den Grafen fliehen zu lassen.
Es war die letzte Hoffnung meiner armen Mutter und sie entging ihr.«
Emanuel Philibert erbebte; bisweilen vergaß er, daß ihm ein Sohn die letzten Augenblicke seines Vaters beschrieb, und es war ihm als lese er eine schreckliche Legende.
Ein Wort erinnerte ihn endlich an die Wirklichkeit und ließ ihn erkennen, daß die Erzählung nicht aus der Feder eines unbetheiligten Geschichtschreibers, sondern aus dem Munde eines Sohnes komme.
»Es war die letzte Hoffnung meiner Mutter und sie entging ihr,« sagte Odoardo nochmals, welcher seine Erzählung einen Augenblick unterbrochen hatte, »denn,« fuhr er fort, »an der andern Seite der offenen Thür blieben die Vorbereitungen zum Tode und die Zuschauer. Der Geistliche allein war bei dem Verurtheilten geblieben, wie ich sagte; der Graf kniete vor ihm nieder, ohne zu beachten, wer ihn gesandt hatte, und nun begann die Beichte, eine seltsame Beichte, bei welcher der, welcher sterben sollte, an sich selbst gar nicht zu denken schien und sich nur mit Andern beschäftigte, bei welcher die Worte, welche scheinbar an den Geistlichen gerichtet wurden, eigentlich der Frau und dem Kinde galten und zu Gott erst hinaufstiegen, nachdem sie durch das Herz einer Mutter und einer Tochter gegangen waren. Nur meine Schwester, wenn sie noch lebte, könnte die Thränen beschreiben, unter welchen sie vernommen wurden, denn ich selbst war nicht dabei, ich wußte nicht was dreihundert Stunden von mir vorging, ich spielte, ich lachte, ich sang vielleicht gerade in dem Augenblicke als mein Vater an der Pforte des Todes mit meiner weinenden Mutter und Schwester von mir, dem Abwesenden, sprach.«
Odoardo mußte, von dieser Erinnerung überwältigt, sich einen Augenblick unterbrechen, dann fuhr er mit einem unterdrückten Seufzer fort:
»Die Viertelstunde war bald vorüber. Der Maskirte folgte mit einer Uhr in der Hand dem Gange der Beichte auf dem Gesichte des Priesters und des Verurtheilten und als die Minuten abgelaufen waren, sagte er:
»Graf, die Zeit, die Dir gegeben war, noch unter den Lebenden zu seyn, ist vorüber; der Geistliche hat gethan, was seines Amtes ist, jetzt kommt die Reihe an den Nachrichter.«
Der