Die Heirath im Omnibus. Уилки Коллинз
Читать онлайн книгу.während sie diese Bewegung machte. Trotz ihres Schleiers glaubte ich zu sehen, daß dieses leichte Zucken der Lippen in, ein Lächeln ausging.
Aber wenn auch ihr Schleier herabgezogen war, so gab es doch noch eine Menge andere Dinge, welche meinen Blick gefesselt hielten.
Ich bewunderte den kleinen gestickten Spitzenkragen, welcher ihren anbetungswürdigen Hals umschloß, ihre da, wo ihr Shawl herabgefallen war, sichtbare schlanke, aber schon gut entwickelte Büste verrieth ein bewunderungswürdiges Ebenmaß des Baues. Ihr Wuchs war anmuthig und die kleinen Schmucksachen, die sie trug und die an und für sich sehr gewöhnlich waren, erhielten doch eben durch ihren Besitz die Bedeutung werthvoller Schätze.
Alles Dies konnte ich trotz des Schleiers betrachten, alles Dies konnte ich mit den Augen verschlingen.
Der Schleier! Gelingt es ihm wohl, dem Manne, der ein weibliches Wesen wirklich liebt, viel von diesem zu verbergen?
Wir waren beinahe an der äußersten Grenze der Omnibuslinie angelangt, als die beiden Damen halten ließen und ausstiegen. Ich folgte ihnen klüglich, indem ich mich in einiger Entfernung hinter ihnen hielt.
Der Weg, den wir eingeschlagen, war nicht sehr besucht; aber wenn er es auch in höherem Grade gewesen wäre, so würde ich doch trotz der Entfernung, in welcher ich mich hielt, sie niemals aus den Augen verloren haben und nicht in Gefahr gewesen sein, eine andere Person für sie zu halten. Schon fühlte ich, so fremd sie für mich auch noch war, daß ich selbst von Weitem im Stande sein würde, sie bloß an ihrem Gange zu erkennen.
Die beiden Damen gingen immer weiter, bis wir eine Vorstadt erreichten, die aus noch ganz neuen Häusern bestand, zwischen welchen sich hier und da noch wüste Stellen mit aufgehäuften Baumaterialien befanden. Wir sahen um uns herum Nichts als Entwürfe zu Straßen, zu Rundtheilen, zu freien Plätzen, zu Kaufläden, zu Gärten.
Endlich blieben die beiden Damen auf einem dieser neuen Plätze stehen und zogen an der Thür eines der neuesten dieser neuen Häuser die Klingel.
Die Thür öffnete sich und meine Angebetete verschwand mit ihrer Begleiterin. Dieses Haus stand beinahe ganz allein. Es hatte keine Nummer, trüg aber die Inschrift: »Nordvilla«. Der Platz, der unvollendet war, wie alles Uebrige in dieser Gegend, hieß Hollyoak Square.
Dies war Alles, was sich für dieses Mal wahrnahm. Der öde, wüste Anblick in dieser Umgebung berührte mich unangenehm. Ich war sicher, das Haus wiederzufinden, und wußte, daß es ihre Wohnung war; denn als die Thür sich öffnete, hatte ich mich genugsam genähert, um sie fragen zu hören, ob Jemand in ihrer Abwesenheit dagewesen wäre.
Für den Augenblick mußte mir dies genügen. Ich fühlte das Bedürfniß mich von meiner Aufregung zu erholen und meine Gedanken zu sammeln. Ich verließ daher Hollyoak Square sofort und ging, einen Spaziergang in Regents Park zu machen, dessen nördlicher Theil sehr nahe war.
War ich verliebt? Wirklich und aufrichtig verliebt in ein junges Mädchen, dem ich zufällig in einem Omnibus begegnet war? Oder gehorchte ich bloß einer augenblicklichen Laune? War es nur jugendliches Feuer und übereilte Bewunderung eines schönen Gesichts?
Dies waren die Fragen, welche ich damals nicht beantworten konnte, denn ich fühlte, daß meine Ideen verworren und meine Geisteskräfte in ihrer Ausübung gestört waren. Ich begann weiter zu gehen und träumte am hellen Tage, denn ich hatte keine deutliche Wahrnehmung außer der Erinnerung an die schöne Unbekannte.
Je mehr ich mich bemühen, zu überlegen, jene Gleichheit des Temperaments, jene Freiheit des Geistes wiederzugewinnen, die ich besaß, als ich an diesem Morgen unser Haus verlassen, desto weniger erlangte ich meine Selbstbeherrschung wieder.
Es giebt zwei Umstände, in welchen der klügste und weiseste Mann sich von seinen ersten Regungen hinreißen läßt, ehe er überlegt.
Der eine dieser Umstände ist, wenn er sich zum ersten Male von einem Weibe beherrscht fühlt, und der andere, wenn zum ersten Male ein Weib ihn beleidigt hat.
Ich weiß nicht, seit wie lange ich in dem Park umher spazierte und meinen Träumen nachhing, als es endlich auf der Uhr einer benachbarten Kirche Drei schlug.
Nun fiel mir ein, daß ich meiner Schwester versprochen hatte, sie um zwei Uhr zu unserem Spazierritte abzuholen; ich brauchte aber wenigstens eine halbe Stunde, um unser Haus zu erreichen.
Zum ersten Male war ich einem meiner Schwester gegebenen Versprechen untreu geworden.
Die Liebe hatte mich noch nicht egoistisch gemacht, wie sie mehr oder weniger mit allen Männern und Frauen thut. Aergerlich über die Nachlässigkeit, deren ich mich so nach schuldig gemacht, beschleunigte ich doch meinen Schritt. Der Groom führte mißlaunig und mürrisch mein Pferd noch vor dem Hause hin und her. Clara’s Pferd war wieder in den Stall zurückgeführt worden.
Ich trat in das Haus und erfuhr, daß Clara, nachdem sie eine Stunde auf mich gewartet, mit einer Freundin ausgegangen sei und erst zur Stunde des Diners zurückkehren werde.
Es war kein Mensch weiter im Hause als die Dienerin. Alles erschien mir öde, leer und abschreckend. Das ferne Rollen der Wagen in den benachbarten Straßen schlug düster und unheimlich an mein Ohr. Ich fuhr zusammen und ward ärgerlich über eine Thür, die in den Dienerstuben unter mir mehrmals nach einander geöffnet und wieder zugeschlagen ward.
Niemals war mir die Luft von London so schwer zu athmen erschienen als an diesem Tage.
Krampfhaft aufgeregt ging ich im Zimmer auf und ab.
Ein Mal lenkte ich meine Schritte nach meinem Arbeitscabinet, kehrte aber wieder um, noch ehe ich es betreten hatte.
An Lesen oder Schreiben war für den Augenblick nicht zu denken. Der Wunsch, nach Hollyoak Square zurückzukehren, erwachte jede Minute mit neuer Kraft in mir. Warum? Ich wollte versuchen, die junge Dame wiederzusehen oder wenigstens zu erfahren, wer sie wäre. Ich kämpfte – ja ich gestehe es offen und redlich – ich kämpfte gegen diesen Wunsch.
Ich versuchte, mich selbst zu verhöhnen, mich einfältig und lächerlich zu finden. Dann bemühte ich mich, an meine Schwester zu denken, an das Buch, welches ich schrieb – mit Einem Worte, an alles Andere, nur nicht an meine Begegnung von diesem Nachmittage.«
Je mehr ich aber diese Erinnerung entfernen wollte, desto mehr beherrschte sie mich und verknüpfte alle meine anderen Ideen. Die Sirene lockte mich; jeder Kampf war vergeblich.
Ich verließ das Haus, indem ich mich heuchlerischer Weise selbst überredete, ich wolle bloß eine phantastische Neugier befriedigen, einen launenhaften Wunsch, den Namen der jungen Dame zu erfahren, und daß ich sodann, anstatt mir den« Kopf zu zerbrechen, wie ich seit einigen Stunden that, über meinen Leichtsinn und diese frivole Idee lachend wieder nach Hause zurückkommen würde.
Ich kam vor dem Hause wieder an. Die Marquisen waren der großen Hitze wegen vor allen Fenstern der Facade herabgelassen. Der erst halb angelegte Garten war enge und die Sonne versengte ihn.
Auf dem Square herrschte dieselbe Einsamkeit, aber jene schwere, lastende Einsamkeit, wie man sie nur aus dem Square oder freien Platze einer Vorstadt findet.
Ich ging den Platz hinauf und hinab und fühlte mich entschlossen, ihn nicht zu verlassen, bevor ich ihren Namen erfahren hatte.
Während ich mir den Kopf– zersann, um ein Mittel zur Befriedigung dieses Wunsches zu finden, bewog ein gellender Pfiff, der in dem Schweigen dieser Umgegend doppelt hell klang, mich, die Augen aufzuheben.
Ein Laufbursche, eine jener Verkörperungen der frühreifen Schlauheit, der eingefleischten Unverschämtheit und witzigen Frechheit, welche nur in großen Städten heranwachsen können, kam mit einem leeren Korbe am Arme auf mich zu.
Ich sagte ihm, er solle sich nähern und mit mir sprechen. Augenscheinlich war er aus der Nachbarschaft und konnte mir vielleicht von Nutzen sein.
Seine ersten Antworten, die er in ziemlich schleppendem, zögerndem Tone gab, unterrichteten mich, daß sein Herr einer der Lieferanten für die »Nordvilla« war.
Jetzt gab ihm nun einen Schilling, um ihn zu bestimmen, auf die wichtigeren Fragen zu antworten, die ich ihm zu stellen hatte.
Er