Die neue Magdalena. Уилки Коллинз

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Die neue Magdalena - Уилки Коллинз


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werden Sie wohl selbst wissen!« rief Lady Janet aus.

      »Nein, ich weiß es nicht. Sagen Sie mir, warum.«

      »Horace wird es Ihnen sagen.«

      Diese letzte Andeutung war denn doch zu deutlich, um missverstanden zu werden. Mercy ließ den Kopf sinken. Sie begann wieder zu zittern. Lady Janet blickte sie in maßlosem Erstaunen an.

      »Ist zwischen Horace und Ihnen etwas vorgefallen?« fragte sie.

      »Nein.«

      »Sie kennen doch Ihr Herz, liebes Kind? Sie haben doch sicherlich Horace nicht ermutigt, ohne ihn zu lieben?«

      »O nein!«

      »Und doch —«

      Zum erstenmale, seit sie sich kannten, wagte Mercy, ihre Wohltäterin zu unterbrechen. »Teure Lady Janet«, schalt sie sanft ein, »mich drängt es gar nicht, bald zu heiraten. Wir werden in der Zukunft noch viel Gelegenheit haben, davon zu reden. Sie sollten mir aber ja etwas sagen. Was ist das – ich bitte?«

      Es war keine leichte Sache, Lady Janet Roy aus der Fassung zu bringen. Diese letzte Frage jedoch raubte ihr die Sprache. Nach allem, was eben vorgefallen war, hatte ihre junge Freundin, da neben ihr, doch nicht die leiseste Ahnung, welcher Gegenstand zwischen ihnen jetzt verhandelt werden sollte. »Sonderbar, wie die jungen Mädchen heutzutage sind«, dachte die alte Dame, in großer Verlegenheit, was sie eigentlich sagen sollte. Mercy harrte mit unerschöpflicher Geduld, dass Lady Janet das Gespräch wieder aufnehmen sollte. Die schwierige Lage wurde dadurch noch peinlicher, und die Stille drohte bedenklich das Ende der Unterredung plötzlich und vor der Zeit herbeizuführen, als sich die Tür des Bibliothekszimmers öffnete, und ein Bedienter, mit einem silbernen Präsentierteller in der Hand, in das Zimmer trat.

      Lady Janets wachsender Verdruss entlud sich sogleich über dem schuldlosen Haupt des Dieners. »Was wollen Sie?« fragte sie scharf. »Ich habe nicht geklingelt.«

      »Ein Brief, gnädige Frau. Der Bote wartet auf Antwort.«

      Der Bediente hielt den Präsentierteller mit dem Brief darauf hin und zog sich zurück.

      Lady Janet erkannte, höchlichst überrascht, die Schrift auf der Adresse. »Entschuldigen Sie, liebe Grace«, sagte sie und hielt mit altmodischer Höflichkeit inne, bevor sie das Couvert öffnete. Mercy machte das übliche Zeichen der Zustimmung und schritt an das andere Ende des Zimmers; sie dachte wohl nicht, dass mit der Ankunft dieses Briefes ihr Leben eine neue Wendung erhalten sollte. Lady Janet setzte ihre Brille auf. »Sonderbar, dass er schon wieder zurück sein soll!« sagte sie zu sich selbst und warf dabei das leere Couvert auf den Tisch.

      Der Brief, dessen Schreiber niemand anderer war als der Prediger in der Kapelle des Besserungshauses, enthielt folgende Zeilen:

      »Liebe Tante!

      Ich bin wieder zurück in London, früher als ich gedacht. Mein Freund, der Pfarrer, hat seine Ferien abgekürzt und seine Verpflichtungen auf dem Lande wieder selbst übernommen. Ich fürchte, Sie werden mich tadeln, wenn Sie die Gründe hören, welche ihn bewogen haben, seine Rückkehr zu beschleunigen. Je früher ich Ihnen meine Schuld bekennen darf, desto lieber wird es mir sein. Überdies habe ich noch ein besonderes Motiv, um Sie sobald als möglich zu sehen. Darf ich meinem Brief nach Mablethorpe-House persönlich folgen? Und darf ich Ihnen eine Dame – sie ist hier ganz fremd – vorstellen, für die ich mich interessiere? Bitte, senden Sie mir durch den Überbringer die bejahende Antwort und verpflichten Sie dadurch

      Ihren aufrichtig ergebenen Neffen

      Julian Gray.«

      Lady Janet überlas argwöhnisch noch einmal den Satz, welcher sich auf die »Dame« bezog.

      Julian Gray war ihr einziger, überlebender Neffe, der Sohn ihrer Lieblingsschwester, die sie durch den Tod verloren hatte. Er hätte in der Achtung seiner Tante wahrscheinlich nicht besonders hoch gestanden – denn seine politischen und religiösen Ansichten waren ihr verhasst – allein seine auffallende Ähnlichkeit mit seiner Mutter sprach bei der alten Dame zu seinen Gunsten; und noch mehr tat dies ihr eigener, geheimer Stolz auf die frühe Berühmtheit, welche der junge Geistliche als Schriftsteller und Prediger erlangt hatte. Dank dieser mildernden Umstände und Julians unverwüstlich guter Laune verkehrten Tante und Neffe meist auf ganz freundschaftlichem Fuß miteinander. Abgesehen von seinen, wie sie sagte, »verabscheuungswürdigen Ansichten« nahm Lady Janet hinreichenden Anteil an Julian, um in Betreff der geheimnisvollen »Dame«, welche in dem Brief erwähnt wurde, einige Neugierde zu empfinden. Hatte er beschlossen, sich einen eigenen Herd zu gründen? Hatte er schon eine Wahl getroffen? Und wenn, würde es eine Wahl sein, welche die Familie gutheißen könnte? In Lady Janets offenem Gesicht drückte sich ziemlich deutlicher Zweifel aus, als sie sich diese letzte Frage vorlegte.

      Julians liberale Anschauungen waren ganz dazu geeignet, ihn auf einen gefährlichen Weg zu bringen. Seine Tante schüttelte bedenklich den Kopf, als sie vom Sofa aufstand und gegen die Tür des Bibliothekszimmers schritt.

      »Grace«, sagte sie stehenbleibend und nach ihr umgewandt, »ich schreibe nur einige Zeilen an meinen Neffen. Ich bin gleich wieder hier.«

      Mercy näherte sich ihr vom entgegengesetzten Ende des Zimmers mit einem Ausruf der Überraschung.

      »Ihr Neffe?« wiederholte sie. »Lady Janet sagten mir noch nie, dass Sie einen Neffen haben.«

      Lady Janet lachte. »Ich muss es trotzdem schon vielemale auf den Lippen gehabt haben«, sagte sie. »Aber wir hatten stets so viel anderes zu besprechen, und – um die Wahrheit zu sagen – mein Neffe ist gerade nicht mein Lieblingsthema für ein Gespräch. Ich will damit nicht sagen, dass er mir unangenehm ist; aber ich hasse seine Grundsätze und das ist es. Sie sollen sich jedoch Ihre eigene Meinung über ihn bilden; er wird mich noch heute besuchen. Warten Sie hier, bis ich zurückkomme; ich habe in Betreff Horacens noch mehr zu sagen.«

      Mercy öffnete ihr die Tür des Bibliothekszimmers, schloss sie wieder und schritt dann langsam, in ihre Gedanken vertieft, im Zimmer auf und ab.

      Beschäftigte sich ihr Geist mit dem Neffen Lady Janets? Nein! Lady Janet hatte von ihrem Verwandten gesprochen, jedoch ohne seinen Namen zu nennen. Mercy hatte nach wie vor keine Ahnung davon, dass der Prediger im Besserungshause und der Neffe ihrer Wohltäterin eine und dieselbe Person seien. Ihr Gedächtnis war jetzt mit dem Tribut beschäftigt, welchen ihr Lady Janet beim Beginn ihrer Unterredung gezollt hatte: »Es ist wohl nicht zu viel gesagt, Grace, dass ich den Tag segne, an welchem Sie zu mir gekommen sind.« Für den Augenblick war die Erinnerung an diese Worte Balsam für ihre kranke Seele. Grace Roseberry selbst hätte sicher kein süßeres Lob ernten können als dieses. Im nächsten Augenblicke erfasste sie ein wirkliches Entsetzen vor dem Erfolge ihres eigenen Betruges. Nie hatte sie ihre Erniedrigung so schwer und bitter empfunden wie in diesem Augenblicke. Könnte sie nur die Wahrheit bekennen – könnte sie nur frei von Schuld ihr harmloses Leben in Mablethorpe-House genießen – wie dankbar, wie glücklich könnte sie sein! War es möglich, wenn sie alles gestand, dass sie durch ihre bisherige Pflichttreue und Ergebenheit ihr Vergehen sühnte? Nein! Ihr ruhigeres Urteil sagte ihr, es sei hoffnungslos. Der Platz, den sie sich in Lady Janets Achtung verdient – ehrlich verdient hatte – sie hatte ihn durch einen Betrug erlangt. Nichts konnte dies ändern, nichts konnte es entschuldigen. Sie zog ihr Taschentuch heraus, wischte damit die nutzlosen Tränen weg, die ihr in die Augen getreten waren, und versuchte, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. Was hatte nur Lady Janet vorhin gesagt, als sie in das Bibliothekszimmer ging? Sie sagte, sie wollte bei ihrem Zurückkommen von Horace sprechen. Mercy erriet, was der Gegenstand sein mochte; wusste sie ja doch nur zu gut, was Horace von ihr haben wollte. Wie sollte sie nur diesem Drängen begegnen? Was um des Himmelswillen sollte sie tun? Konnte sie es zulassen, dass der Mann, der sie liebte – den sie wieder liebte – ahnungslos sich mit einer Verlorenen, wie sie es gewesen, auf das ganze Leben verbinde? Nein! Es war ihre Pflicht, ihn zu warnen. Aber wie? Konnte sie ihm das Herz brechen, sein Leben für immer veröden, indem sie die grausamen Worte aussprach, welche sie für immer und ewig trennen mussten? »Ich kann es ihm nicht sagen! Ich will es ihm nicht sagen!« brach sie leidenschaftlich aus. »Die Schande würde mich töten!« Ihre stets wechselnde Stimmung veränderte sich, als ihr die


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