Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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      Mary Ann verschlang die Hände ineinander. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mr. Bratt. Momentan fühle ich mich so hilflos wie noch nie zuvor. Es handelt sich schließlich um meinen zukünftigen Mann, den ich über alles liebe«, sagte sie tonlos.

      »Ich hoffe, daß ich Ihnen helfen kann. Ich sage Ihnen sofort Bescheid, wenn ich Einzelheiten erfahren habe.«

      Sie war wieder allein, lief geistesabwesend im Zimmer umher, stand eine ganze Zeit am Fenster und schaute zum Himmel empor, und unwillkürlich betete sie, was sie schon lange nicht mehr so bewußt getan hatte.

      Sie werden dich finden, Darling, flüsterte sie, und ich werde zu dir kommen und dich heimbringen. Du mußt leben.

      Unentwegt dachte sie es, und vielleicht waren es doch ihre Gedanken, die ihn erreichten und ihn ins Bewußtsein zurückholten. Es war finster um ihn, und es war kalt, obgleich die Sonne schien. Aber er konnte sie nicht sehen, er konnte überhaupt nichts sehen, er war blind. Er begriff es nicht. Er stöhnte, während seine Hände ertasteten, daß er zwischen Trümmern lag. Er griff nach einer Hand, die noch kälter war als seine. Er vernahm Geräusche, das Bellen von Hunden und rief um Hilfe, aber er wußte nicht, ob man seine heisere Stimme überhaupt hören konnte. Dann verließ ihn wieder das Bewußtsein.

      *

      Mary Anns Angst kannte indessen schon keine Grenzen mehr. Es fröstelte sie, und sie zitterte wie Espenlaub. Sie dachte jetzt nicht an das Baby, sie dachte nur an Simon. Sie durchlebte die schlimmsten Stunden ihres Daseins, und alles Geld der Welt konnte ihr nicht helfen, obgleich sie Stanley Bratt gesagt hatte, er solle für die Suche nach Simon und den anderen Vermißten flüssig machen, was irgend möglich war von ihrem Erbe. Er ließ alle Verbindungen spielen, aber niemand konnte ihm helfen, und es gab noch immer keine neuen Nachrichten.

      Der Tag ging zu Ende, die Nacht brach an, und Mary Ann konnte sich nicht vorstellen, wie das Wetter in der Sibirischen Tundra war, ob es dort Tag oder Nacht sei, und wann sie endlich die notgelandete Maschine finden würden. Vielleicht war von dieser nicht viel übriggeblieben und die Passagiere waren Wind, Wetter und Kälte ausgesetzt. Man stellte sich ja unwillkürlich vor, daß es überall in Rußland eiskalt sein müsse.

      Mary Ann konnte nicht schlafen, sie lag mit offenen Augen auf ihrem Bett und starrte zur Decke, an der bizarre Schatten tanzten.

      Es war fünf Uhr morgens, als ihr Telefon läutete. Es war Bratt, der ihr mit heiserer, müder Stimme sagte, daß er soeben ein Fax bekommen hätte. Die Machine sei gefunden und die Verletzten würden nach Nowosibirsk ins Krankenhaus geflogen.

      Mary Ann überlegte nur eine Sekunde. »Besorgen Sie mir einen Flug dorthin«, bat sie.

      »Sie werden für Rußland ein Visum brauchen, Mary Ann«, meinte er.

      »Das wird doch möglich zu machen sein«, sagte sie mit wiedererwachter Energie. »Erkundigen Sie sich bitte, an wen ich mich wenden muß. Sie haben mir doch gesagt, daß man mit Geld alles erreichen kann.«

      Er müsse warten, bis Tag sei, erklärte er mit einem schweren Seufzer. Da wurde es Mary Ann erst bewußt, wie früh es noch war.

      Die Zeit wollte nicht verstreichen, bis es richtig hell wurde, dabei brauchte kaum eine Stunde zu vergehen. Aber Bratt hatte ihr schon gesagt, daß sie so früh keinen einflußreichen Mann erreichen würde. Sie mußte wieder warten. Sie konnte nicht einfach nur telefonieren, wie sie es in München gekonnt hätte, aber dann kam ihr in den Sinn, daß es in München schon viel später war, und sie rief Dr. Mattes im Büro an. Er war sehr zurückhaltend, anscheinend wollte er ihr schlechte Nachrichten vorenthalten, aber auf ihr Drängen sagte er ihr dann doch, daß sie nur erfahren hätten, daß Simon sich unter den Verwundeten befände, die nach Nowosibirsk gebracht worden wären.

      »Wir haben schon alles in die Wege geleitet, damit er nach München gebracht wird, wenn er transportfähig ist«, erklärte er zögernd. »Wann das allerdings sein kann, konnte man nicht sagen.«

      »Ist er schwer verletzt?« fragte Mary Ann zitternd.

      »Sie sind alle wohl erheblich verletzt«, erwiderte Dr. Mattes. Mehr wußte er auch nicht zu sagen.

      »Ich werde zurückkommen, wenn ich von hier aus nichts unternehmen kann«, erklärte sie gepreßt. »Inzwischen werde ich jeden Betrag zur Verfügung stellen, der nötig ist. Ich möchte, daß auch den anderen Verletzten geholfen wird.«

      »Wollen wir das Beste hoffen«, sagte Dr. Mattes, doch seine Stimme klang auch nicht gerade zuversichtlich.

      Hat er mir alles gesagt, was er weiß, überlegte Mary Ann, oder will er mich nur schonen?

      Ihre Unruhe wuchs, aber sie mußte noch lange warten, bis sie die nächste Nachricht bekam, den ganzen Tag und eine lange Nacht, die nicht zu Ende gehen wollte.

      *

      Die Verletzten waren ins Krankenhaus gebracht worden. Es war ein alter Bau, düster und nicht auf dem neuesten Stand, den man in den großen Kliniken in Europa und Amerika gewöhnt war, aber die Ärzte waren ausgezeichnet geschult und bemühten sich mit wirklicher Hingabe um alle Verletzten. Sie wollten zeigen, daß auch sie fähig waren, selbst in schlimmsten Fällen das Menschenmögliche zu tun. Sie wußten nicht, ob es sich um hochangesehene Manager oder Wissenschaftler handelte oder um Passagiere, die zufällig mit dieser Maschine geflogen waren, weil noch Plätze frei waren. Sie konnten auch noch nicht wissen, daß die junge Frau mit dem dreijährigen Kind die Ehefrau des Chefingenieurs war, der zu den Schwerstverletzten gehörte und außerdem die Tochter eines amerikanischen Diplomaten. Sie und das Kind waren wie durch ein Wunder nur leicht verletzt, wenn auch unterkühlt, aber beiden ging es schon bald besser. Im Grunde war es sowieso ein Wunder, daß es keine Toten gegeben hatte, wenigstens bisher noch nicht. Der Pilot und seine Crew hatten eine Meisterleistung bei der Notlandung vollbracht.

      Sally Lesson, die sehr tapfere Stewardeß, konnte sogar Auskunft über die Passagiere geben und die meisten Namen nennen. So wurde auch zum ersten Mal der Name Simon Karsten registriert, als deutscher Staatsangehöriger, leitender Direktor, wohnhaft in München.

      Als Verletzungen wurden aufgeführt: eine Kopfverletzung, die eine Erblindung nach sich gezogen hatte, die noch von Spezialisten untersucht werden mußte. Dazu ein rechtsseitiger Schlüsselbeinbruch, mehrere Rippenbrüche. Nur zwei weitere Passagiere waren noch schwerer verletzt als er.

      Mary Ann wurde es allerdings ganz schonend beigebracht, dennoch war es schlimm genug für sie und es deprimierte sie zusätzlich, daß sie nicht sofort bei ihm sein konnte.

      Eiskalt wurde es ihr, als ihr in den Sinn kam, was es für Simon bedeuten würde, blind zu sein, während es für sie nur wichtig war, daß er lebte. Sie wünschte nichts so sehr, als daß er auch weiterleben würde, aber wollte er das, wenn er nicht mehr sehen konnte, wenn er ständig auf die Hilfe anderer angewiesen war?

      Sie machte sich selber Mut, redete sich ein, daß man jetzt sehr viel machen konnte bei schlimmen Behinderungen, warum nicht auch bei einer Erblindung? Vielleicht war sie überhaupt nur vorübergehend. Sie wollte positiv denken, wie sie es immer getan hatte, aber vor allem wollte sie so schnell wie nur möglich bei ihm sein.

      *

      Stanley Bratt gab sich alle Mühe, ein Visum für Mary Ann zu bekommen, aber er wurde vertröstet mit der Erklärung, daß eine Ausnahme nicht gemacht werden könnte, weil es nicht sicher sei, wie lange die Verletzten in Nowosibirsk bleiben würden, da sie aus fünf verschiedenen Nationalitäten stammten. Die diplomatischen Vertreter dieser Länder hätten bereits Eingaben gemacht, daß ihre Landsleute in die jeweiligen Heimatstädte geholt werden konnten.

      So entschloß sich Mary Ann, umgehend nach München zu fliegen, um dort neue Nachrichten abzuwarten und etwas zu unternehmen. Die Nachlaßangelegenheiten waren in den Hintergrund getreten. Sie erteilte Stanley Bratt die notwendigen Vollmachten, und er versprach ihr, daß sie sich auf ihn verlassen könne.

      Sie hatte die Gewißheit, über soviel Geld verfügen zu können, wie sie möglicherweise für Simon brauchen würde.

      In ihrem Kopf herrschte ein so gewaltiges Durcheinander,


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