Jane Eyre. Шарлотта Бронте
Читать онлайн книгу.hatte sie es auch getan; aber wie sollte sie denn auch in Wirklichkeit für einen Eindringling Liebe hegen, der nicht zu ihrer Familie gehörte und nach dem Tode ihres Gatten durch keine Bande mehr an sie gekettet war? Es musste allerdings ärgerlich sein, sich durch ein unter solchen Umständen gegebenes Versprechen genötigt zu sehen, einem fremden Kinde, das sie nicht lieben konnte, die Eltern zu ersetzen, und es ertragen zu müssen, dass eine unsympathische Fremde sich unaufhörlich in ihren Familienkreis drängte.
Eine sonderbare Idee bemächtigte sich meiner. Ich zweifelte nicht – hatte es niemals bezweifelt – dass Mr. Reed, wenn er am Leben geblieben, mich mit Güte behandelt haben würde; und jetzt, als ich so dasaß und auf die dunklen Wände und das weiße Bett blickte, zuweilen auch wie gebannt ein Auge auf den trübe blinkenden Spiegel warf – da begann ich mich an das zu erinnern, was ich von Toten gehört hatte, die im Grabe keine Ruhe finden konnten, weil man ihre letzten Wünsche unerfüllt gelassen, und jetzt auf die Erde zurückkehrten, um die Meineidigen zu strafen und die Bedrückten zu rächen; ich dachte, wie Mr. Reeds Geist, gequält durch das Unrecht, welches man dem Kinde seiner Schwester zufügte, seine Ruhestätte verließ – entweder in dem Gewölbe der Kirche oder in dem unbekannten Lande der Abgeschiedenen – und in diesem Zimmer vor mir erscheinen könne. Ich trocknete meine Tränen und unterdrückte mein Schluchzen; denn ich fürchtete, dass diese lauten Äußerungen meines Grams eine übernatürliche Stimme zu meinem Troste erwecken oder aus dem mich umgebenden Dunkel ein Antlitz mit einem Heiligenschein hervorleuchten lassen könne, das sich mit wundersamem Mitleid über mich beugte. Dieser Gedanke, der in der Theorie vielleicht ganz trostreich, würde entsetzlich sein, wenn er zur Wirklichkeit werden könnte, das fühlte ich: mit aller Gewalt versuchte ich, ihn zu unterdrücken – ich bemühte mich, ruhig und gefasst zu sein. Indem ich mir das Haar von Stirn und Augen strich, erhob ich den Kopf und versuchte in dem dunklen Zimmer umher zu blicken: in diesem Augenblick sah ich den Wiederschein eines Lichtes an der Wand! – War es vielleicht der Mondesstrahl, der durch eine Öffnung in dem Vorhang drang, fragte ich mich? Nein, die Mondesstrahlen waren ruhig und dies Licht bewegte sich; während ich noch hinblickte, glitt es zur Decke hinauf und erzitterte über meinem Kopfe. Jetzt kann ich freilich begreifen, dass dieser Lichtstreifen aller Wahrscheinlichkeit nach der Schimmer einer Laterne war, welche jemand über den freien Platz vor dem Hause trug; aber damals, mit dem auf Schrecken und Entsetzen vorbereiteten Gemüt, mit meinen vor Aufregung bebenden Nerven, hielt ich den sich schnell bewegenden Strahl für den Herold einer Erscheinung, die aus einer anderen Welt zu mir kam. Mein Herz pochte laut, mein Kopf wurde heiß; in meinen Ohren spürte ich ein Brausen, das ich für das Rauschen der Flügel hielt; ein Etwas schien sich mir zu nähern; ich fühlte mich bedrückt, erstickt; mein Widerstandsvermögen gab nach; ich stürzte auf die Tür zu und rüttelte mit verzweifelter Anstrengung am Schlosse. Eilende Schritte kamen durch den äußeren Korridor daher; der Schlüssel wurde im Schlosse umgedreht, Bessie und Miss Abbot traten ein.
»Miss Eyre, sind Sie krank?« fragte Bessie.
»Welch ein fürchterlicher Lärm! Ich bin ganz außer mir!« rief Abbot aus.
»Nehmt mich mit hinaus! Lasst mich in die Kinderstube gehen!« schrie ich ununterbrochen.
»Weshalb denn? Ist Ihnen irgend etwas geschehen? Haben Sie etwas gesehen?« fragte Bessie wiederum.
»O, ich sah ein Licht und ich meinte, dass ein Geist kommen würde.« Ich hatte mich jetzt Bessies Hand bemächtigt, und sie entwand sie mir nicht.
»Sie hat mit Absicht so geschrien«, erklärte Abbot mit einigem Abscheu. »Und welch ein Geschrei! Wenn sie große Schmerzen gehabt hätte, so könnte man es noch entschuldigen, aber sie wollte weiter nichts, als uns alle herbeilocken. Ich kenne ihre bösen Streiche schon.«
»Was gibt es denn hier?« fragte eine andere Stimme gebieterisch; und Mrs. Reed kam mit flatternden Haubenbändern und wehendem Kleide durch den Korridor daher. »Abbot und Bessie, ich glaube, dass ich Befehl gegeben habe, Jane Eyre in dem roten Zimmer zu lassen, bis ich selbst sie holen würde?«
»Miss Jane schrie so laut, Madame«, wandte Bessie zögernd ein.
»Lasst sie los«, war die einzige Antwort. »Lass Bessies Hand los, Kind: verlass dich darauf, auf diese Weise wirst du nicht hinaus gelangen. Ich verabscheue solche List, besonders bei Kindern; es ist meine Pflicht, dir zu beweisen, dass du mit derartigen Ränken und Schlichen nicht weit kommst. Jetzt wirst du noch eine ganze Stunde hierbleiben, und auch dann gebe ich dich nur frei, wenn du mir das Versprechen gibst, vollkommen ruhig und unterwürfig zu sein.«
»O, Tante, hab Erbarmen! Vergib mir doch! Ich kann, ich kann es nicht ertragen. – Bestrafe mich doch auf andere Weise! Ich komme um, wenn …«
»Sei still! Diese Heftigkeit ist ganz widerlich und empörend!« und ohne Zweifel hegte sie auch Abscheu gegen mein Betragen. In ihren Augen war ich eine frühreife Schauspielerin; sie sah in der Tat auf mich wie auf eine Zusammensetzung der heftigsten Leidenschaften, eines niedrigen, gemeinen Geistes und gefährlicher Falschheit.
Als Bessie und Abbot sich zurückgezogen hatten, warf Mrs. Reed, die meiner wilden Angst und meines lauten Schluchzens wohl müde geworden sein mochte, mich rasch in das Zimmer zurück und schloss mich ohne weitere Erklärungen und Worte wieder ein. Ich hörte noch, wie sie davon rauschte; und bald nachdem sie gegangen war, muss ich in Krämpfe verfallen sein: Bewusstlosigkeit machte der Szene ein Ende!
Drittes Kapitel
Dann erinnerte ich mich an nichts mehr. Als ich erwachte, war es mit dem Gefühl eines schrecklichen Alpdrückens, vor mir sah ich eine unheimliche rote Glut, von der sich dicke, schwarze Stangen abhoben. Ich hörte Stimmen, die hohl an mein Ohr klangen, als würden sie durch das Rauschen des Wassers oder Toben des Windes übertönt. Aufregung, Ungewissheit und ein alles beherrschendes Gefühl des Entsetzens hielt alle meine Sinne gefangen. Es vergingen nur wenige Augenblicke, und dann gewahrte ich, dass jemand mich berührte, mich aufhob und mich in eine sitzende Stellung brachte, und zwar viel zärtlicher und sorgsamer, als mich bis jetzt irgendjemand gestützt oder emporgehoben hatte. Ich lehnte meinen Kopf gegen einen Arm oder ein Polster und fühlte mich unendlich wohl.
Noch fünf Minuten und die Wolken der Bewusstlosigkeit begannen zu schwinden. Jetzt wusste ich sehr wohl, dass ich in meinem eigenen Bette lag, und dass die rote Glut nichts anderes war, als das Feuer im Kamin der Kinderstube. Es war Nacht, eine Kerze brannte auf dem Tische; Bessie stand am Fußende