Gesammelte Werke. Odon von Horvath

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Gesammelte Werke - Odon von  Horvath


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er sich sein Leben noch mehr verschmerzen. Er wolle ja keine Familie gründen, dann allerdings müßte er schon ein besonderes Gefühl aufbringen, denn immer mit demselben Menschen zusammenzuleben, da gehöre schon was Besonderes dazu. Aber er wolle ja gar keine Kinder, es liefen schon eh zu viel herum, wo wir doch unsere Kolonien verloren hätten.

      Heute würde Agnes antworten: »Was könnt schon aus meim Kind werden? Es hätt nicht mal eine Tante, bei der es dann später wohnen könnt! Wenn der Mensch im Leben erreicht, daß er in einem Auto fahren kann, da hat er schon sehr viel erreicht.«

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      »Sicher!« hatte AML gesagt. »Sicher fährt sie mit.«

      Er war so sicher seiner Sache, er betrieb ja nicht nur psychologische Studien, sondern er empfand auch eine gewisse Schadenfreude anläßlich jeder geglückten Kuppelei, denn er durchschritt im Geiste dann immer wieder seinen Weg zu Buddha.

      Agnes befürchtete bereits, von Harry nicht aufgefordert zu werden und so sagte sie fast zu früh »ja« und vergaß ihren knurrenden Magen vor Freude über die Fahrt an den Starnberger See.

      Harry hatte sie nämlich gefragt: »Fräulein, Sie wollen doch mit mir kommen – nur an den Starnberger See?« Unten stand das Auto. Es war schön und neu und als Agnes sich in es setzte, dachte sie einen Augenblick an Eugen, der in einer knappen Stunde an der Ecke der Schleißheimerstraße stehen wird. Sie erschrak darüber, daß sie ihn höhnisch betrachtete, wie er so dort warten wird, – ohne sich setzen zu können. – »Pfui!« sagte sie sich und fügte hinzu: »Lang wird er nicht warten!«

      Dann ging das Auto los.

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      Um sechs Uhr wartete aber außer Eugen noch ein anderer auf Agnes, nämlich der Kastner.

      Er hatte doch erst vor vierundzwanzig Stunden zu AML gesagt: »Also, wenn du mir zehn Mark leihst, dann bringe ich dir morgen ein tadelloses Modell für zwanzig Pfennig. Groß, schlank, braunblond und es versteht auch einen Spaß. Aber wenn du mir nur fünf Mark leihen kannst, so mußt du dafür sorgen, daß ich Gelegenheit bekomme, um sie mir nehmen zu können. Also ich erscheine um achtzehn Uhr, Kognak bringe ich mit, Grammophon hast du.« AML hatte dem Kastner zwar nur drei Mark geliehen, hingegen hatte er sich vom Harry Priegler außer den vierzig abermals zwanzig Mark leihen lassen, macht zusammen plus sechzig Mark neben minus drei Mark. Es wäre also unverzeihbar töricht gewesen, wenn er dem Harry betreffs Agnes nicht entgegengekommen wäre, nur um dem Kastner sein Versprechen halten zu können.

      Der Kastner war ein korrekter Kaufmann und übersah auch sofort die Situation. Alles sah er ein und meinte nur: »Du hast wieder mal dein Ehrenwort gebrochen.« Aber dies sollte nur eine Feststellung sein, beileibe kein Vorwurf, denn der Kastner konnte großzügig werden, besonders an manchen Tagen.

      An solchen Tagen wachte er meistens mit einem eigentümlichen Gefühl hinter der Stirne auf. Es tat nicht weh, ja es war gar nicht so häßlich, es war eigentlich nichts.

      Das einzig Unangenehme dabei war ein gewisser Luftzug, als stünde ein Ventilator über ihm. Das waren die Flügel der Verblödung.

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      Der Vater des Kastner war ursprünglich Offizier. Er hieß Alfons und jedes dritte Wort, das er sprach, schrieb oder dachte, war das Wort »eigentlich«. So hatte er »eigentlich« keine Lust zum Leutnant, aber er hatte sich seinerzeit »eigentlich« widerspruchslos dem elterlichen Zwange gebeugt und war in des Königs Rock geschlüpft, weil er »eigentlich« nicht wußte, was er »eigentlich« wollte. »Eigentlich« konnte er sauber zeichnen, aber er wäre kein guter Künstler geworden, denn er war sachlich voller Ausreden und persönlich voller Gewissensbisse, statt umgekehrt. Er war ein linkischer Leutnant, las Gedichte von Lenau, Romane von Tovote, kannte jede Operette und hatte Zwangsvorstellungen. In seinem Tagebuch stand: »Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Oh, warum hat mich Gott eigentlich mit Händen erschaffen!«

      Die Mutter des Kastner war ursprünglich Verkäuferin in einer Konditorei und so mußte der Vater naturgemäß seinen Abschied nehmen, denn als Offizier konnte er doch keine arbeitende Frau ehelichen, um den Offiziersstand nicht zu beschmutzen. Er wurde von seinem Vater, einem allseits geachteten Honorarkonsul, enterbt. »Mein Sohn hat eine Kellnerin geheiratet«, konstatierte der Honorarkonsul. »Mein Sohn hat eine Angestellte geheiratet. Mein Sohn hat eine Dirne geheiratet. Ich habe keinen Sohn mehr.«

      So wurde der Leutnant Alfons Kastner ein Sklave des Kontors und war derart ehrlich, niemals dies Opfer zu erwähnen. Denn, wie gesagt, war ja dies Opfer nur ein scheinbares, da ihm weitaus bedeutsamer für seine Zukunft, als selbst der Feldmarschallrang, eine Frau dünkte, die ihn durch ihre Hilflosigkeit zwang, alles zu »opfern«, um sie beschützen zu können, zu bekleiden, beschuhn, ernähren – kurz: für die er verantwortlich sein mußte, um sich selbst beweisen zu können, daß er doch »eigentlich« ein regelrechter Mann sei. Er klammerte sich krampfhaft an das erste Zusammentreffen. Damals war sie so blaß, klein und zerbrechlich, entsetzt und hilfesuchend hinter all der Schlagsahne und Schokolade gestanden. Sie hatte sich nämlich mit einer Prinzregententorte überessen, aber da sie dies ihrem Alfons nie erzählt hatte, weil sie es selbst längst vergessen hatte, wurde er ihr hörig. Sie war noch unberührt und wurde von ihrem Alfons erst in der Hochzeitsnacht entjungfert, allerdings erst nach einem Nervenzusammenbruche seinerseits mit Weinen und Selbstmordgedanken. Denn die Frau, die ihn »eigentlich« körperlich reizen konnte, mußte wie das Bild sein, das sie später zufällig in seiner Schublade fand: eine hohe dürre Frau mit männlichen Hüften und einem geschulterten Gewehr. Darunter stand: »Die fesche Jägerin. Wien 1894. Guido Kratochwill pinx.«

      Und obwohl sie klein und rundlich war, blieb sie ihm doch ihr ganzes Leben über treu und unterdrückte jede Regung für einen fremden Mann, weil er ihr eben hündisch hörig war. So wurde sie die Gefangene ihres falschen Pflichtgefühles und bald verabscheute sie ihn auch, verachtete ihn mit dem Urhaß der Kreatur, weil die Treue, die ihr seine Hörigkeit aufzwang, sie hinderte, sich auszuleben.

      Sie fing an, alle Männer zu hassen, als würde sie keiner befriedigen können und immer mehr glich sie einer Ratte. Es war keine glückliche Ehe.

      Und sie wurde auch nicht glücklicher, selbst da sie ihm zwei Kinder gebar. Das erste, ein Mädchen, starb nach zehn Minuten, das zweite, ein Sohn, wollte mal später »eigentlich« Journalist werden.

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      »Ich hab extra Zigaretten mitgebracht«, sagte der Kastner. Er saß bereits sechs Minuten auf dem Bette neben dem Grammophon und stierte auf einen Fettfleck an der spanischen Wand.

      Dieser Fettfleck erinnerte ihn an einen anderen Fettfleck. Dieser andere Fettfleck ging eines Tages in der Schellingstraße spazieren und begegnete einem dritten Fettfleck, den er lange, lange Zeit nicht gesehen hatte, so, daß diese einst so innig befreundeten Fettflecke fremd aneinander vorbeigegangen wären, wenn nicht plötzlich ein vierter Fettfleck erschienen wäre, der ein außerordentliches Personengedächtnis besaß. »Hallo!« rief der vierte Fettfleck. »Ihr kennt euch doch, wir wollen jetzt einen Kognak trinken, aber nicht hier, hier zieht es nämlich, als stünde ein Ventilator über uns.«

      »Ich hab extra einen Kognak mitgebracht«, sagte der Kastner. »Es wäre sehr leicht gewesen mit deinem Grammophon und meinem Kognak, sie war ja ganz gerührt, daß ich ihr hier das beschafft hab. Die Zigaretten kosten fünf Pfennig, ich rauch sonst nur welche zu drei, aber auf die war ich schon lang scharf, sie hat eine schöne Haut. Ich glaub, ich bin nicht wählerisch. Als Kind war ich wählerisch,


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