Gesammelte Werke. Odon von Horvath

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Gesammelte Werke - Odon von  Horvath


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gar nicht wählerisch. Heute hinkte sein Hochdeutsch und er war nicht stolz, weder auf seine Dialektik noch auf seine deutliche Aussprache. Er murmelte nur vor sich hin, als hätte er es vergessen, daß er »eigentlich« Journalist werden wollte.

      Die Sonne sank schon immer tiefer und AML konnte kein Wort herausbringen vor innerer Erregung. Denn plötzlich, wie er den Kastner so dasitzen sah, sah er einen Hintergrund. »Die Stirne dieses Kastners wäre ein prächtiger Hintergrund« frohlockte sein göttlicher Funke.

      Nämlich wenn es dämmerte, offenbarten sich AML die Hintergründe und je dunkler es wurde, um so farbenprächtiger strahlte an ihn die Ewigkeit. Es war sein persönliches Pech, daß man in der Finsternis nicht malen kann.

      »Es sind mazedonische Zigaretten«, sagte der Kastner. »Bulgarien ist ein fruchtbares Land. Ein Königreich. Ich war dort im Krieg und in Sofia gibt es eine große Kathedrale, die dann die Agrarkommunisten in die Luft gesprengt haben. Das hier ist nicht der echte Tabak, denn die Steuern sind zu hoch; wir haben eben den Feldzug verloren. Es war umsonst. Wir haben umsonst verloren.«

      »Auch in der Kunst das gleiche Spiel«, meinte AML. »Die Besten unserer Generation sind gefallen.«

      »Stimmt«, philosophierte der Kastner. »Dir gehts gut, du bist talentiert.«

      »Gut?!« schrie der Talentierte. »Gut?! Was weißt denn du von einem Hintergrund?!«

      »Nichts«, nickte der Philosoph.

      Und trank seinen Kognak und es dauerte nicht lange, so war er damit einverstanden, daß Agnes mit Harry an den Starnberger See fuhr. Eine fast fromme Ergebenheit erfüllte seine Seele und es fiel ihm weiter gar nicht auf, daß er zufrieden war.

      Er kam sich vor wie ein gutes Gespenst, das sich über seine eigene Harmlosigkeit noch niemals geärgert hat.

      Selbst da der Kognak alle wurde, war er sich nicht böse.

       Inhaltsverzeichnis

      Als der Kastner an der spanischen Wand den Fettfleck entdeckte, erblickte Agnes aus Harrys Auto den Starnberger See.

      Die Stadt mit ihren grauen Häusern war verschwunden, als hätte sie nie in ihr gewohnt und Villen tauchten auf, rechts und links und überall, mit Rosen und großen Hunden.

      Der Nachmittag war wunderbar und Agnes fuhr durch eine fremde Welt. Sie hatte die Füße hübsch artig nebeneinander und den Kopf etwas im Nacken, denn auch der Wind war wunderbar und sie schien kleiner geworden vor soviel Wunderbarem.

      Harry war ein blendender Chauffeur.

      Er überholte jedes Auto, jedes Pferd und jede Kuh. Er nahm die Kurven, wie sie kamen und fuhr durchschnittlich vierzig, streckenweise sogar hundert Kilometer. Jedoch, betonte er, seien diese hundert Kilometer keineswegs leichtsinnig, denn er fahre ungewöhnlich sicher, er wäre ja auch bereits vier Rennen gefahren und hätte bereits viermal wegen vier Pannen keinen Preis errungen. Er könne tatsächlich von Glück reden, daß er nur mit Hautabschürfungen davongekommen ist, trotzdem er sich viermal überschlagen hätte.

      Ausnahmsweise sprach Harry nicht über das Eishockey, sondern beleuchtete Verkehrsprobleme. So erzählte er, daß für jedes Kraftfahrzeugunglück sicher irgend ein Fußgänger die Schuld trägt. So dürfe man es einem Herrenfahrer nicht verübeln, daß er, falls er solch einen Fußgänger überfahren hätte, einfach abblenden würde. So habe er einen Freund in Berlin und dieser Freund hätte mit seinem fabelhaften Lancia eine Fußgängerin überfahren, weil sie beim verbotenen Licht über die Straße gelaufen wäre. Aber trotz dieses verbotenen Lichtes sei eine Untersuchung eingeleitet worden, ja sogar zum Prozeß sei es gekommen, wahrscheinlich weil jene Fußgängerin Landgerichtsratswitwe gewesen sei, jedoch dem Staatsanwalt wäre es vorbeigelungen, daß sein Freund zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt wird. »Es käme mir ja auf ein paar tausend Märker nicht an«, hätte der Freund gesagt, »aber ich will die Dinge prinzipiell geklärt wissen.« Sie hätten ihn freisprechen müssen, obwohl der Vorsitzende ihn noch gefragt hätte, ob ihm denn diese Fußgängerin nicht leid täte trotz des verbotenen Lichtes. »Nein«, hätte er gesagt, »prinzipiell nicht!« Er sei eben auf seinem Recht bestanden.

      Jedesmal, wenn Harry irgend einen Benzinmotor mit dem Staatsmotor zusammenstoßen sah, durchglühte ihn revolutionäre Erbitterung.

      Dann haßte er diesen Staat, der die Fußgänger vor jedem Kotflügel mütterlich beschützt und die Kraftfahrer zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradiert.

      Überhaupt der deutsche Staat, meinte er, solle sich lieber kümmern, daß mehr gearbeitet wird, damit man endlich mal wieder hochkommen könne, anstatt, daß er für die Fußgänger sorgt! Fußgänger würden so und so überfahren und nun erst recht! Da hätten unsere ehemaligen Feinde schon sehr recht, wenn sie in diesen Punkten Deutschland verleumdeten! Er könne ihre Verleumdungen nur unterschreiben, denn die wären schon sehr wahr, obwohl er durchaus vaterländisch gesinnt sei.

      Er kenne genau die Ansichten des Auslandes, da er mit seinem Auto jedes Frühjahr, jeden Sommer und jeden Herbst zwecks Erholung von der anstrengenden Eishockeysaison ein Stückchen Welt durchfahre.

      So sei er erst unlängst durch Dalmatien gefahren und in Salzburg habe er sich das alte Stück von Jedermann angesehen. Der Reinhardt wäre ja ein berühmter Regisseur und die Religion sei schon etwas sehr Mächtiges.

      In Salzburg hätte er auch seinen Berliner Freund getroffen und dessen Frau, eine Ägypterin, eine enorme Schönheit mit Zuckerrohrplantagen. Sie wäre enorm reich und die Ägypter wären enorm genügsame Leute und falls ihnen etwas nicht genügen sollte, schon würden die Engländer schießen. Ohne Pardon. Die Engländer seien eben enorme Kaufleute.

      Im Frühjahr habe er in Baden-Baden zwei Engländerinnen getroffen und deren Meinung sei gewesen, es wäre ein Skandal, wie der Staat die Automobilistinnen belästige. Der Staat solle doch lieber gegen den drohenden Bolschewismus energisch vorgehen, als gegen Luxusreisende. Und im Sommer habe er sich auf dem Fernpaß zwei Französinnen genähert, die hätten genau dieselben Worte gebraucht und im Herbst habe er in Ischl zwei Wienerinnen gesprochen und die hätten auch genau dieselben Worte gebraucht, obwohl es Jüdinnen gewesen seien.

      Und Harry fuhr fort, der Bolschewismus sei ein Verbrechen und jeder Bolschewist ein Verbrecher. Er kenne zwar eine Ausnahme, den Sohn eines Justizrates und der wäre ein weltfremder Idealist, aber trotzdem interessiere sich dieser Weltfremde nur für elegante Damen. Dieser Idealist sehe immer enorm ausgemergelt aus und er habe ihm mal erklärt, daß, wenn eine Dame nicht elegant wäre, könne er keinen Kontakt zu ihr kriegen, und dies sei sein Konflikt. Und er habe noch hinzugefügt: »Wenn das so weitergeht, gehe ich noch an meinem Konflikt zugrunde.«

      Und Harry erklärte Agnes, dieser Salonkommunist sei nämlich enorm sinnlich.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie fuhren durch Possenhofen.

      Hier wurde eine Kaiserin von Österreich geboren, und drüben am anderen Ufer ertrank ein König von Bayern im See. Die beiden Majestäten waren miteinander verwandt und als junge Menschen trafen sie sich romantisch und unglücklich auf der Roseninsel zwischen Possenhofen und Schloß Berg.

      Es war eine vornehme Gegend. Vor Feldafing spielten zwei vollschlanke Jüdinnen Golf.

      Eine vollschlanke Majorin fing erst vor kurzem an.

      »Essen tun wir in Feldafing«, entschied Harry. »In Feldafing ist ein annehmbares Publikum, seit der Golfplatz draußen ist. Ich fahr oft heraus, in der Stadt kann man ja kaum mehr essen, überall sitzt so ein Bowel.«

      Und er meinte noch, früher sei er auch oft nach Tutzing gefahren, das liege sechs Kilometer südlich, aber jetzt könne kein anständiger Mensch mehr hin, nämlich dort stünde jetzt eine Fabrik und überall treffe man Arbeiter.

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