Gesammelte Werke. Odon von Horvath

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Gesammelte Werke - Odon von  Horvath


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       Inhaltsverzeichnis

      Es wurde immer später.

      Eugen ging über den Lenbachplatz und vor den großen Hotels standen wunderbare Autos. In den Hotelgärten saßen lauter vornehme Menschen und ahnten nicht, daß sie aufreizend lächerlich wirken, sowie man mehrere ihrer Art beisammen sieht.

      Auch die Kellner waren sehr vornehm und es war nicht das erste Mal, daß Eugen seinen Beruf haßte.

      Er ging nun bereits seit dreiviertelsieben ununterbrochen hin und her und war voll Staub, draußen und drinnen. Er sagte sich: »Also wenn die Welt zusammenstürzt, dreißig Pfennig geb ich jetzt aus und trink ein Bier, weil ich mich auch schon gern setzen möcht.«

      Die Welt stürzte nicht zusammen und Eugen betrat ein kleines Café in der Nähe des Sendlingertorplatzes. »Heute Künstlerkonzert« stand an der Türe und als Eugen sich setzte, fing ein Pianist an zu spielen, denn Eugen war der einzige Gast.

      Es saß zwar noch eine Dame vor ihrer Limonade, aber die schien zum Café zu gehören und verschlang ein Magazin. Der Pianist spielte ein rheinisches Potpourri und Eugen las in der »Sonntagspost«, daß es den Arbeitslosen zu gut geht, sie könnten sich ja sogar ein Glas Bier leisten. Und in der Witzecke sah er eine arbeitslose Familie, die in einem riesigen Fasse am Isarstrand wohnte, sich sonnte, badete – und ihrem Radio lauschte.

      Die Dame mit der Limonade hatte es gar nicht gehört, daß Eugen eintrat, so sehr war sie in ihr Magazin vertieft. Sie hätte sonst aufgehorcht, weil sie eine Prostituierte war, jedoch das Magazin war zu schön. Sie las und las:

      Eine mehrwöchige Kreuzfahrt auf komfortabler Luxusjacht unter südlichem Himmel – –wer hätte nicht davon geträumt? Wochen des absoluten Nichtstuns liegen vor Dir, sonnige Tage und helle Nächte, es gibt kein Telefon, keine Verabredung, keine gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die Begriffe »Zeit«, »Arbeit«, »Geld« entschwinden am Horizont wie verdunstende Wölkchen. Einladende Liegestühle stehen unter dem Sonnendeck, kühle Klubsessel erwarten Dich im Rauchzimmer, Radio und Bibliothek sind zur Hand, über Deine Sicherheit beruhigen sich dreißig tüchtige Matrosen, für Dein leibliches Wohl sorgt ein erstklassiger Barmixer. Nach dem Essen wird das Grammophon aufgezogen, oder eine der Damen spielt Klavier. Du tanzt mit Phyllis oder Dorothy, oder Du spielst ein bißchen Whist, um Dich bei den älteren Damen beliebt zu machen, im Spielzimmer hast Du Gelegenheit beim Poker oder Bakkarat zu verlieren. Oder aber Du lehnst mit einem blonden »Flapper« an der Reeling und führst Mondscheingespräche, während der Papa in einem wunderbar komfortablen Deckstuhl liegt und den Rauch seiner Henry Clay zu den Sternen hinaufbläst, gedankenvoll die nächste Transaktion überlegend.– – – – Nichts in der Welt gibt in diesem Maße das Gefühl dem Alltag entrückt zu sein.

       Inhaltsverzeichnis

      Eugen trank apathisch sein Bier und blätterte apathisch in der Zeitung. »Der Redner sprach formvollendet«, stand in der Zeitung, »Man war froh, wieder mal den Materialismus überwunden zu haben«– – da fühlte Eugen, daß ihn ein Mensch anstarrt.

      Der Mensch war die Prostituierte.

      Sie hatte ihr Magazin ausgelesen und Eugen entdeckt. »Guten Abend, Herr Reithofer!« sagte die Prostituierte. »Haben Sie mich denn vergessen? Ich bin doch – na Sie wissen doch, wer ich bin, Herr Reithofer!«

      Er wußte es nicht, aber da sie ihn kannte, mußte er sie ja auch kennen. Sie setzte sich an seinen Tisch und sagte, das sei Zufall, daß sie sich hier getroffen haben, und über so einen Zufall könnte man einen ganzen Roman schreiben. Einen Roman mit lauter Fortsetzungen.

      Sie las nämlich leidenschaftlich gern.

      Sie hieß Margarethe Swoboda und war ein außereheliches Kind. Als sie geboren wurde, wäre sie fast gleich wieder gestorben.

      Erdreistet man sich Gottes Tun nach den Gesetzen der Logik begreifen zu wollen, so wird man sich überzeugen müssen, daß damals Gott der Allgütige den Säugling Margarethe Swoboda ganz besonders geliebt haben mußte, denn er wollte ihn ja zu sich nehmen. Aber die geschickte Hebamme Frau Wohlmut aus Wiener-Neustadt schlug scharf über die göttlichen Finger, die Margarethchen erwürgen wollten. »Au!« zischte der liebe Gott und zog seine Krallen hurtig zurück, während die gottlose Hebamme meinte: »So Gott will, kommt das Wurm durch!«

      Und Gott der Gerechte wurde ganz sentimental und seufzte: »Mein Gott, sind die Leut dumm! Als ob man es in einem bürgerlichen Zeitalter als außereheliches Kind gar so angenehm hätt! Na servus!«

       Inhaltsverzeichnis

      Ursprünglich war Margarethe Swoboda, genau wie des Kastners Mutter, Verkäuferin in einer Konditorei.

      In jener Konditorei verkehrten Gymnasiasten, Realschüler, Realgymnasiasten und höhere Töchter aus beschränkten Bürgerfamilien und böse alte Weiber, die Margarethe Swoboda gehässig hin und her hetzten, schikanierten und beschimpften, weil sie noch jung war.

      Ein Gymnasiast, der Sohn eines sparsamen Regierungsrates, verliebte sich in sie und kaufte sich jeden Nachmittag um vier Uhr für fünf Pfennig Schokolade, nur um ihren Bewegungen schüchtern folgen zu können. Dann schrieb er mal während der Geographiestunde auf dem Rande der Karte des malayischen Archipels, was er alles mit ihr tun würde, falls er den Mut fände, ihr seine Liebe zu erklären. Hierbei wurde er von einem Studienrat ertappt, der Atlas wurde beschlagnahmt und nach genauer Prüfung durch ein Kollegium von Steißpaukern unter dem Vorsitz eines klerikalen Narren für unsittlich erklärt. Er flog aus der Schule und ist auf Befehl seines Vaters, eines bürokratischen Haustyrannen, in einer Besserungsanstalt verkommen.

      Einmal ging er dort durch, knapp vor Weihnachten, aber der Polizeihund Cäsar von der Schmittenhöhe stellte ihn auf einem verschneiten Kartoffelacker und dann mußte er beichten und kommunizieren und dann verbleuten ihn drei Aufseher mit Lederriemen und ein blonder Katechet mit Stiftenkopf und frauenhaften Händen riß ihm fast die Ohren aus.

      Margarethe Swoboda hörte davon und obzwar sie doch nichts dafür konnte, da sie ja seine Leidenschaft nie erkannt hatte, weil sie erst siebzehn Jahre alt und überhaupt geschlechtlich unterentwickelt war, fühlte sie sich dennoch schuldbewußt, als hätte sie zumindest jenen Cäsar von der Schmittenhöhe dressiert. Sie wollte fort.

      Raus aus der Konditorei.

      Sie sagte sich: »Ach, gäbs nur keine Schokolade, gäbs nur keine Gymnasiasten, es gibt halt keine Gerechtigkeit!« Und sie kaufte sich das Buch »Stenographie durch Selbstunterricht«. Nachts, nach ihrer täglichen vierzehnstündigen Arbeitszeit, erlernte sie heimlich Gabelsbergers System. Dann bot sie sich in der meistgelesensten Zeitung Österreichs als Privatsekretärin an. Nach drei Tagen kam folgender Brief:

      Wertes Fräulein!

      Teilen Sie mir Näheres über Ihren Busen und über Ihre sonstigen Formen mit. Wenn Sie einen schönen und vor allem festen Busen haben, kann ich Ihnen sofort höchst angenehme Stellen zu durchweg distinguierten Herren vermitteln. Auch möchte ich wissen, ob Sie einen Scherz verstehen und entsprechend zu erwidern im Stande sind. Hochachtungsvoll!

      Die Unterschrift war unleserlich und darunter stand:

      Vermittlerin mit prima Referenzen. Briefe wolle man unter Chiffre 8472 adressieren. Diskretion Ehrensache.

      Diese »Diskretion Ehrensache« ist ein Sinnspruch im Wappen der Prostitution.

      Seit es Götter und Menschen, Kaiser und Knechte, Herren und Hörige, Beichtväter und Beichtkinder, Adelige und Bürger, Aufsichtsräte und Arbeiter, Abteilungschefs und Verkäuferinnen, Familienväter und Dienstmädchen, Generaldirektoren und Privatsekretärinnen – – kurz:


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