Geschichte von Florenz (Mit Illustrationen). Niccolò Machiavelli
Читать онлайн книгу.der Ankläger eines Zeugen bedurfte, wenn ihm eine Beleidigung widerfuhr, so fand sich oft niemand, der gegen einen Adeligen Zeugnis ablegen wollte. Darum ereigneten sich bald wieder die nämlichen Unordnungen, und das Volk erlitt von den Großen die nämlichen Unbilden: denn die Richter waren träge und die Urteilssprüche blieben ohne Wirkung. Als nun die Popolanen nicht wußten, welchen Entschluß sie fassen sollten, machte Giano della Bella, ein Mann von sehr vornehmem Geschlecht, aber ein Freund der Freiheit der Stadt, den Vorstehern der Zünfte Mut zu einer Umänderung der Verfassung. Nach seinem Rate ward verordnet, daß der Gonfaloniere unter den Prioren sitzen und viertausend Mann unter seinen Befehlen haben sollte. Der Adel wurde völlig vom Priorenamte ausgeschlossen; die Verwandten des Schuldigen wurden der Strafe unterworfen, die diesen traf; die öffentliche Meinung sollte zum Urteil hinreichen. Durch diese Gesetze, welche man die Vorschriften der Gerechtigkeit (ordinamenti della giustizia) nannte, erlangte das Volk großes Ansehen und Giano della Bella zog sich heftigen Haß zu. Denn er war bei den Großen übel angeschrieben, weil er ihre Macht zerstört hatte, und die reichen Popolanen beneideten ihn, weil seine Autorität ihnen zu groß vorkam. Dies gab sich bei dem ersten Anlaß kund. Der Zufall wollte, daß ein Popolan in einem Streite umkam, an welchem mehrere vom Adel Teil hatten, unter andern Messer Corso Donati, welchem, weil er der kühnste von allen, schuld gegeben ward, worauf der Capitano del popolo ihn verhaftete. Wie nun auch die Sache gegangen sein mag, sei es, daß Messer Corso schuldlos befunden worden, sei es, daß der Capitano sich scheute ihn zu verurteilen: er wurde freigesprochen. Dies Urteil mißfiel dem Volke so sehr, daß es die Waffen ergriff und nach der Wohnung Gianos della Bella zog, indem es ihm anlag, er solle für die treue Beobachtung der durch ihn aufgekommenen Gesetze sorgen. Giano, der Messer Corsos Bestrafung wünschte, hieß das Volk nicht die Waffen niederlegen, wie viele für gut hielten, sondern riet, sie sollten zu den Prioren gehen und sich beschweren und auf irgendeine Maßregel dringen. Die Menge, von Unwillen erfüllt, auf den Capitano erzürnt und von Giano sich verlassen glaubend, zog nicht zu den Signoren, sondern zum Palast des Capitano, welchen sie einnahm und plünderte. Diese Handlung mißfiel allen Bürgern und die Gegner Gianos maßen ihm alle Schuld bei, so daß er, da in der nachmaligen Signorie mehrere seiner Feinde saßen, beim Capitano angeklagt ward, als habe er die Menge aufgereizt. Während die Sache verhandelt wurde, griff das Volk zu den Waffen und eilte zu seiner Wohnung, indem es ihm gegen die Signoren und seine Gegner Hilfe anbot. Giano aber wollte weder der Volksgunst noch den Magistraten sich anvertrauen, indem er der letzteren Tücke, der ersteren Wankelmut in gleichem Maße fürchtete. Um also seinen Feinden die Gelegenheit zu nehmen, ihm Unbilden zuzufügen, seinen Freunden aber keinen Anlaß zu geben, die Ruhe der Stadt zu stören: beschloß er, sich zu entfernen, dem Neide zu weichen, die Bürger von ihrer Besorgnis zu befreien und eine Stadt zu verlassen, welche er mit eigner Last und Gefahr dem Joche der Mächtigen entzogen hatte. So wählte er denn eine freiwillige Verbannung.
Nach seiner Abreise gewann der Adel neue Hoffnung, zu seiner frühern Stellung zu gelangen (1295). Da die Vornehmen glaubten, ihre eigne Uneinigkeit trage die Schuld des Unheils, so traten sie zusammen und sandten zwei der ihrigen zu der Signorie, welche sie für günstig gesinnt hielten, mit der Bitte, daß es ihr gefallen möchte, die Härte der gegen sie erlassenen Verordnungen einigermaßen zu mildern. Als dies Gesuch bekannt ward, beunruhigte es sehr die Popolanen: denn sie fürchteten, die Signorie werde jenen das Verlangte gewähren. So veranlaßte denn das Begehren des Adels einerseits, andrerseits der Verdacht des Volkes, daß man zu den Waffen griff. Der Adel rottete sich an drei Orten zusammen, bei San Giovanni, auf dem neuen Markte und auf dem Platze der Mozzi, unter drei Anführern, Messer Forese Adimari, Messer Vanni de’Mozzi und Messer Geri Spini. Die Popolanen aber kamen in großer Zahl unter ihren Bannern beim Palast der Signoren zusammen, die damals bei der Kirche S. Procolo wohnten. Und weil das Volk der Signorie nicht traute, ernannte es sechs Bürger, die mit ihr sitzen sollten. Während beide Teile zum Kampfe sich vorbereiteten, traten einige vom Volke wie vom Adel, nebst einigen geachteten Mönchen dazwischen, um Frieden zu stiften, indem sie den Adeligen in Erinnerung brachten, wie ihr Hochmut und ihre schlimme Verwaltung schuld gewesen an der Minderung ihres früheren Ansehens und an den gegen sie erlassenen Gesetzen und wie ihre jetzige Schilderhebung und der Versuch, durch Gewalt wiederzuerlangen, was sie durch Zwist und durch unkluges Benehmen eingebüßt, keinen andern Erfolg haben könne, als den Ruin ihrer Vaterstadt und die Verschlimmerung ihrer eignen Lage. Sie möchten in Betracht ziehn, daß das Volk an Zahl, Reichtum und feindseliger Entschlossenheit ihnen weit überlegen sei, und daß der Adel, durch welchen sie über die andern erhaben sich dünkten, beim Kampfe ein leerer Name sei, der nicht hinreiche, gegen so viele sie zu schützen. Dem Volke andrerseits stellten sie vor, wie es nicht klug sei, in allem vollständigen Sieg zu wollen, und wie es töricht, Leute zur Verzweiflung zu bringen, da Übel nicht fürchte, wer Gutes nicht hoffe; wie sie in Betracht ziehn müßten, daß es der Adel sei, der in den früheren Kämpfen die Stadt zu Ehren gebracht, und wie deshalb eine gehässige Verfolgung desselben weder gut noch gerecht genannt werden könne; wie der Adel wohl die Ausschließung vom höchsten Magistrat ertrage, nicht aber eines jeden Befugnis anerkenne, ihn in Gemäßheit der gegen ihn erlassenen Verordnungen aus der Stadt zu verweisen. Es sei also ratsam, diese Verordnungen zu mildern und dadurch den Frieden herzustellen; sie möchten nicht auf ihre Menge vertrauend auf Waffenglück es ankommen lassen: denn oft schon habe man gesehn, daß viele von wenigen besiegt worden seien. Des Volkes Ansichten waren geteilt. Viele wünschten den Kampf, in der Meinung, daß es, früher oder später, doch einmal dazu kommen müsse und daß es besser sei, den Streit jetzt zu schlichten als dann, wenn die Feinde neue Macht gewonnen. Glaube man, der Adel werde sich begnügen mit einer Milderung der Gesetze, so möge man sie mildern: sein Stolz aber sei von der Art, daß er nimmer ruhen würde, wenn nicht gezwungen. Andern, die gemäßigter und klüger, schien es, daß auf eine Milderung der Gesetze nicht viel ankomme, wohl aber auf den Beginn des Kampfes. Ihre Meinung überwog, und es wurde beschlossen, daß zur Begründung von Klagen gegen den Adel Zeugen nötig sein sollten.
Nachdem man die Waffen niedergelegt, währte bei beiden Parteien der Verdacht und jede verstärkte sich durch Burgen und Waffen. Das Volk ordnete die Verwaltung von neuem und übertrug sie einer geringeren Zahl von Personen, wozu es in der dem Adel günstigen Gesinnung jener Signoren einen Grund fand. Die vornehmsten unter den Popolanen waren damals die Mancini, Magolotti, Altoviti, Peruzzi und Cerretani. Nach dieser Veränderung wurde, zu größerer Auszeichnung wie Sicherheit der Signorie, im Jahre 1298 der Palast derselben gegründet und die Stelle, wo ehemals die Häuser der Uberti standen, zum Platze vor demselben gemacht. Um dieselbe Zeit begann man den Bau öffentlicher Gefängnisse, welche Gebäude innerhalb weniger Jahre vollendet wurden. Nie war unsere Stadt in einem glücklichern und bessern Zustande als damals, wo sie reich war an Bewohnern, an Schätzen, an Ehre. Der waffenfähigen Bürger waren dreißigtausend, zu welchen siebzigtausend aus dem Gebiete kamen. Von Toscana war ein Teil untertan, der andere befreundet. Und fanden auch zwischen Adel und Volk Reibungen und Verdacht statt, so kam es doch zu keinen schlimmen Taten, und alle lebten einig und im Frieden. Wäre dieser Friede durch innere Zwietracht nicht von neuem gestört worden, so hätte er äußere Anfeindung nicht zu fürchten gebraucht: denn die Stadt war so stark, daß weder das Reich noch die Verbannten ihr Besorgnis einflößen konnten, und sie allen Staaten Italiens hätte entgegentreten dürfen. Das Übel aber, das von außen nicht kommen konnte, fügte heimischer Zwist ihr zu.
Es gab in Florenz (1300) zwei Familien, die Cerchi und Donati, mächtig durch die Zahl ihrer Glieder, durch Adel und Reichtum. Zwischen ihnen, welche durch Landbesitz Nachbarn waren, hatte einige Mißhelligkeit stattgefunden, nicht indes von der Art, daß es zu offenem Kampfe gekommen wäre. Vielleicht wäre ihre Feindschaft ohne ernste Wirkungen geblieben, hätten nicht äußere Ursachen sie gemehrt. Zu den ersten Geschlechtern Pistojas gehörte das der Cancellieri. Es traf sich einmal, daß Lore, der Sohn des Messer Guglielmo, und Geri, der Sohn des Messer Bertaccio, alle aus dieser Familie, miteinander spielten und, da sie in Wortwechsel gerieten, Geri von Lore leicht verwundet wurde. Dies mißfiel dem Messer Guglielmo, und indem er durch Freundlichkeit dem Übel ein Ende zu machen suchte, mehrte er es: denn er befahl seinem Sohne, nach der Wohnung des Vaters des Verletzten zu gehn und ihn um Entschuldigung zu bitten. Lore gehorchte, aber dieser Beweis von Versöhnlichkeit milderte den wütenden Groll Messer Bertaccios nicht: er ließ Lore durch seine Dienstleute greifen, die Hand ihm zu größerem Schimpf auf einem Troge abhauen, und sandte ihn heim mit den Worten: Sag’ deinem