Gesammelte Werke. Alfred Adler

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Gesammelte Werke - Alfred  Adler


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diese Idee zu einem Überwertigkeitskomplex zu benützen, oder sie unbesonnen jedermann an den Kopf zu werfen. Dasselbe gilt von der Kenntnis des Minderwertigkeits­komplexes und seines verhüllenden Überbaus. Man macht sich selbst der beiden verdächtig, wenn man vorschnell damit herumwirft, und man erreicht damit nicht mehr als eine � oft berechtigte � Gegnerschaft. Auch soll man bei richtiger Feststellung solcher Tatsachen die allgemeine menschliche Fehlerhaftigkeit nicht vergessen, die es mit sich bringt, daß auch vornehme und wertvolle Charaktere dem Fehler des Überwertigkeits­komplexes verfallen können. Ganz davon zu schweigen, daß, wie Barbusse so schön sagt, »auch der gütige Mensch sich gelegentlich des Gefühls der Verachtung nicht entschlagen kann«. Anderseits können uns diese kleinen und deshalb wenig frisierten Züge leiten, auf Verfehlungen in den großen Lebensfragen den individual­psychologischen Scheinwerfer zu lenken, um dort zu verstehen und zu erklären. Worte, Phrasen, selbst sichergestellte seelische Mechanismen tragen nichts bei zum Verständnis des einzelnen. Ebenso unsere Kenntnis vom Typischen. Aber sie können im Vermutungsfalle dazu dienen ein bestimmtes Gesichtsfeld zu beleuchten, in dem wir das Einmalige einer Persönlichkeit zu finden hoffen, das Einmalige, das wir in der Beratung auch zu erklären haben, immer darauf achtend, welchen Grad von Gemeinschaftsgefühl wir zu ergänzen haben.

      Dampft man zum Zweck einer kurzen Übersicht die leitenden Ideen im Entwicklungsprozeß der Menschheit ein, bis ihre Quintessenz zutage kommt, so findet man zuletzt drei formale Bewegungslinien, die jeweils und aufeinanderfolgend allem menschlichen Tun seinen Wert verleihen. Nach einem vielleicht idyllischen Jahrhunderttausend, als infolge des »Vermehret Euch« die Futterplätze zu enge wurden, erfand sich die Menschheit als Ideal der Erlösung den Titanen, den Herkules oder den Imperator. Bis auf den heutigen Tag � im Heroenkult, in der Rauflust, im Krieg � findet man in allen Schichten den starken Nachklang verklungener Zeiten, bei Hoch und Niedrig als besten Weg gepriesen zum Aufschwung der Menschheit. Aus der Enge der Futterplätze geboren führt dieser muskuläre Drang folgerichtig zur Knebelung und Ausrottung der Schwächeren. Der Schwergewichtler liebt eine einfache Lösung: wo wenig Futter, da nimmt er es für sich in Anspruch. Er liebt einfache, klare Rechnung � da sie zu seinen Gunsten ausfällt. Im Querschnitt unserer Kultur nimmt dieser Gedankengang einen breiten Raum ein. Frauen sind von den unmittelbaren Leistungen dieser Art fast ganz ausgeschlossen, kommen nur als Gebärerinnen, Bewunderinnen, Pflegerinnen in Betracht. Die Futtermittel sind aber zu einer unheimlichen Höhe gestiegen. Steigen noch immer. Ist dieser Geist des unkomplizierten Machtstrebens schon ein Widersinn?

      Bleibt noch die Sorge für die Zukunft, für den Nachwuchs auch. Der Vater rafft für seine Kinder. Sorgt für spätere Generationen. Sorgt er für die fünfte Generation, so sorgt er gleichzeitig für die Nachkommen von mindestens 32 Personen seiner Generation, die den gleichen Anspruch an seinen Nachkommen haben.

      Waren verderben. Man kann sie in Gold verwandeln. Man kann Warenwert in Gold verleihen. Man kann die Kraft anderer kaufen. Man kann ihnen Befehle geben, mehr noch, man kann ihnen eine Gesinnung, einen Sinn des Lebens einprägen. Man kann sie zur Verehrung der Kraft, des Goldes erziehen. Man kann ihnen Gesetze geben, die sie in den Dienst der Macht, des Besitzes stellen.

      Auch in dieser Sphäre ist die Frau nicht schöpferisch am Werk. Tradition und Erziehung sind ihr als Wegsperren in den Weg gelegt. Sie kann bewundernd teilnehmen oder enttäuscht zur Seite stehen. Sie kann der Macht huldigen oder sich, was zumeist zutrifft, gegen ihre Ohnmacht wehren. Wobei zu bedenken ist, daß die Gegenwehr der einzelnen zumeist auf Abwege gerät.

      Die meisten Männer und Frauen können Kraft und Besitz zugleich verehren, die einen in tatenloser Bewunderung, die ändern in hoffnungsvollem Streben. Die Frau ist in eine größere Distanz zur Erreichung dieser Kulturideale gestellt.

      Dem Kraft- und Besitzphilister gesellt sich nun in harmonischem Streben nach persönlicher Überlegenheit der Bildungsphilister. Wissen ist (auch) Macht. Die Unsicherheit des Lebens hat bisher � allgemein � keine bessere Lösung gefunden als Streben nach Macht. Nun ist es Zeit nachzudenken, ob dies der einzige, der beste Weg zur Sicherung des Lebens, zur Entwicklung der Menschheit ist. Man kann auch aus der Struktur des Frauenlebens lernen. Denn die Frau ist auch bis heute nicht Teilhaber der Macht des Bildungsphilisteriums.

      Und doch ist es für Mann und Frau leicht einzusehen, daß die Frau bei gleichwertiger Vorbereitung erfolgreich an der Macht des Philisteriums teilhaben könnte. Die platonische Idee von der Überlegenheit der Muskelkraft muß doch wohl schon im Unverstandenen (Unbewußten) an Bedeutung verloren haben. Wie will man sonst die stille und offene Revolte der Frauenwelt (den männlichen Protest) in ihren tausend Varianten zum Nutzen der Allgemeinheit wenden?

      Schließlich zehren wir doch alle wie die Parasiten an den unsterblichen Leistungen der Künstler, Genies, Denker, Forscher und Entdecker. Sie sind die eigentlichen Führer der Menschheit. Sie sind der Motor der Weltgeschichte, wir sind die � Verteiler. Zwischen Mann und Frau hat bisher die Kraft, der Besitz, der Bildungsdünkel entschieden.

      Daher der Rummel und die vielen Bücher über Liebe und Ehe.

      Die großen Leistungen aber, von denen wir leben, haben sich immer als höchster Wert durchgesetzt. Ihr Sieg wird meist nicht in prunkvollen Worten gefeiert. Aber genossen wird er von allen. An diesen großen Leistungen haben wohl auch Frauen teil. Kraft, Besitz und Bildungsdünkel haben sicher ein Mehr verhindert. Durch die ganze Entwicklung der Kunst aber tönt eine männliche Stimme. Dort ist die Frau Stellvertreterin des Mannes und daher zweiten Ranges. So lange, bis eine von ihnen die weibliche Stimme darin entdecken wird, um sie zu entwickeln. In zwei Kunstgattungen ist es geschehen, in der Schauspielkunst und in der Tanzkunst. Da kann sie sich als Frau geben. Da hat sie auch Spitzenleistungen erreicht.

      8. Typen der Fehlschläge

       Inhaltsverzeichnis

      Ich gehe nur mit großer Vorsicht an eine Typenlehre heran, da sich dabei leicht bei dem Lernenden die Täuschung einschleicht, als ob ein Typus etwas fest Gefügtes, etwas Selbständiges sei, dem mehr zugrunde liegt als eine im großen und ganzen ähnliche Struktur. Macht er dabei halt und glaubt, wenn er das Wort Verbrecher hört, oder Angstneurose oder Schizophrenie, daß er schon etwas vom individuellen Fall erfaßt hat, dann schneidet er sich nicht nur die Möglichkeit individueller Forschung ab, sondern er wird aus den Mißverständnissen, die zwischen ihm und dem Behandelten entstehen, nie herauskommen. Vielleicht die besten Einsichten, die ich aus der Beschäftigung mit dem Seelenleben gewonnen habe, stammen aus meiner Vorsicht in der Benützung der Typenlehre. Eine Benützung, die freilich nicht ganz umgangen werden kann, die uns das Allgemeine, etwa die generelle Diagnostik ermöglicht, uns aber über den speziellen Fall und seine Behandlung wenig sagen kann. Am besten tut, wer sich stets erinnert, daß wir es in jedem Falle eines Fehlschlages mit Symptomen zu tun haben, Symptomen, die aus einem speziellen, zu suchenden Minderwertigkeitsgefühl zu einem Überlegenheitskomplex erwachsen sind, angesichts eines exogenen Faktors, der mehr Gemeinschaftsgefühl erfordert hat, als das Individuum aus seiner Kindheit vorrätig hat.

      Beginnen wir mit den »schwer erziehbaren Kindern«. Man spricht von diesem Typus natürlich nur, wenn es sich durch längere Zeit gezeigt hat, daß ein Kind sich nicht als gleichberechtigter Teilnehmer zur Mitarbeit einstellt. Es fehlt das Gemeinschaftsgefühl, obwohl man gerechter Weise gezwungen ist festzustellen, daß ein für durchschnittliche Verhältnisse zureichendes Gemeinschaftsgefühl nicht selten infolge ungerechter Anspannung im Hause oder in der Schule sich als nicht mehr ausreichend erweist. Dieser Fall ist häufig und allgemein in seinen Erscheinungen bekannt. Wir können daraus etwas über den Wert der individualpsychologischen Forschung erkennen, um für schwierigere Fälle vorbereitet zu sein. Eine Prüfung des Individuums, experimentell, graphologisch, kurz losgelöst von seiner Umgebung, kann zu großen Irrtümern Anlaß geben und berechtigt keinesfalls, dem so losgelösten Individuum spezielle Vorschläge zu machen oder es irgendwie zu klassifizieren. An solchen und ähnlichen Tatsachen wird es klar, daß der Individualpsychologe sich eine zureichende Kenntnis aller möglichen sozialen Verhältnisse und Mißstände verschaffen muß, um richtig sehen zu können. Man kann noch weiter gehen und fordern, daß der Individualpsychologe eine Meinung von seinen Aufgaben,


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