Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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der Gäs­te. Sie sah aber Ar­mins Auf­ste­hen, dreh­te sich um und ver­schwand im In­nern des ›Bä­ren‹. Ar­min schlen­der­te durch den Gar­ten, den Kopf hielt er ge­senkt. Plötz­lich be­schleu­nig­te er sein Schlen­dern, er nahm große Schrit­te – und dann schluck­te auch ihn die of­fe­ne Tü­re…

      »Schon gut«, wie­der­hol­te Stu­der nach ei­ner Pau­se – und er konn­te den Blick nicht von Son­ja wen­den. Verzweif­lung, Angst, Rat­lo­sig­keit brach­ten Un­ru­he in das Klein­mäd­chen­ge­sicht.

      Wenn sie nur Ver­trau­en zu mir hät­te, grü­bel­te Stu­der. Er dach­te, wäh­rend er den nächs­ten Wor­ten Schwomms zer­streut lausch­te, im­mer­fort an sei­ne Frau. Wenn die hier wä­re… Seit er ihr das Ro­man­le­sen ab­ge­wöhnt hat­te, ge­lang es dem Hedy (Frau Stu­der hieß Hed­wig) gut, ge­plag­te, schweig­sa­me Men­schen zum Re­den zu brin­gen – be­son­ders Frau­en.

      Der Leh­rer Schwomm aber sag­te:

      »Na­tür­lich will ich nicht be­haup­ten, dass ich Er­win Schlumpf auf der Flucht nach sei­ner ruch­lo­sen Tat er­tappt ha­be…« (Ver­un­fallt – ruch­lo­se Tat, ging es Stu­der durch den Kopf…) »Aber im­mer­hin schi­en es mir merk­wür­dig, dass der Schat­ten die Rich­tung nach den Baum­schu­len des Herrn El­len­ber­ger nahm…«

      »Die Baum­schu­len als Schat­ten­reich, he­he­he…« me­cker­te der alte El­len­ber­ger. Stu­der sah ihn stra­fend an.

      »Und Sie sind ganz si­cher, zwei Schüs­se ge­hört zu ha­ben, und nach den zwei Schüs­sen ha­ben Sie den Schat­ten in der Rich­tung der Baum­schu­len ver­schwin­den se­hen?«

      »Ich glau­be«, Schwomm stot­ter­te, »Ich glau­be, ich habe zwei Schüs­se ge­hört.« Wie hil­fe­su­chend blick­te sich der Leh­rer um. Aber er ver­mied es, Stu­der in die Au­gen zu se­hen.

      »Glau­ben! glau­ben!« sag­te Stu­der vor­wurfs­voll. »Ein Mann wie Sie darf nicht glau­ben, er muss si­cher sein. Also zwei Schüs­se? Ja?«

      »Jaha«, es klang wie ein Seuf­zer.

      Schwei­gen. Dann be­gann die Mu­sik wie­der zu spie­len. Aus­ge­rech­net: ›Wenn du ein­mal dein Herz ver­schenkst…‹ Stu­der sah den Coif­feur­lehr­ling Son­ja zum Tanz auf­for­dern. Das Mäd­chen schüt­tel­te den Kopf. Sie pack­te ihre klei­ne Hand­ta­sche un­ter den Arm, rann­te durch den Gar­ten. War es eine Flucht? War es nicht viel­mehr ein letz­ter Ver­such, je­man­den ein­zu­ho­len?

      »Wer hat Ih­nen den Auf­trag ge­ge­ben, mir von zwei Schüs­sen zu er­zäh­len, wäh­rend ich durch fünf Zeu­gen­aus­sa­gen er­här­ten kann, dass nur ein Schuss ge­fal­len ist?« (Das mit den fünf Zeu­gen­aus­sa­gen war auf­ge­leg­ter Schwin­del, in Mur­manns Pro­to­kol­len stand nichts der­glei­chen, aber was tat man nicht al­les, um die Wahr­heit zu fin­den?)

      »Fünf Zeu­gen­aus­sa­gen?« Schwomm war bleich. »Er­här­ten?«

      »Ja, er­här­ten!« sag­te Stu­der grob. »Üb­ri­gens in­ter­es­siert mich das gar nicht. Sie ha­ben ein schlech­tes Ge­wis­sen, Herr Leh­rer Schwomm. Sie ha­ben ver­sucht, das schlech­te Ge­wis­sen los zu wer­den, in­dem Sie mir nur die Hälf­te, was sage ich, die Hälf­te!… nur ein Vier­tel der Wahr­heit er­zählt ha­ben. Ich will jetzt nichts mehr hö­ren«, Stu­der wink­te ab, denn Schwomm öff­ne­te den Mund, um sich zu recht­fer­ti­gen. »Ich glau­be Ih­nen nichts mehr. Ich habe die Ehre, mich zu emp­feh­len…«

      Wenn Stu­der hoch­deutsch sprach, und das kam sel­ten ge­nug vor, war die Wir­kung im­mer die glei­che – ob es sich nun um die Wir­kung auf Zi­vil­per­so­nen han­del­te oder um die auf jun­ge Fahn­der. Alle spür­ten dann, es war am bes­ten, man ließ den Wacht­meis­ter in Ruhe.

      »Heiß, heiß!« krächz­te der alte El­len­ber­ger. »Vous brûlez com­mis­saire!« Wie es in je­nem Spiel üb­lich ist, in dem ein ver­steck­ter Ge­gen­stand ge­sucht wer­den muss und die Wis­sen­den den Su­chen­den lei­ten mit Wor­ten wie: ›kalt, wär­mer, sehr warm, heiß‹, je nach­dem der Su­chen­de sich dem ver­steck­ten Ge­gen­stand nä­hert oder sich von ihm ent­fernt.

      »Ihr wer­det auch nicht im­mer spie­len kön­nen, El­len­ber­ger«, sag­te Stu­der. Sein Ge­sicht war sehr bleich, er hat­te die Hän­de ge­ballt. Dann zuck­te er mit den Ach­seln und schritt zwi­schen den lau­ten Ti­schen hin­durch, auf die Türe zu, in der Ar­min Wit­schi ver­schwun­den war.

      Im Schie­ber­rhyth­mus spiel­te ›The Con­vict Ban­d‹:

      ›Muss i denn, muss i denn zum Städt­le hin­aus…‹

      Liebe vor Gericht

      Mon­tag­mor­gen halb acht Uhr im Büro des Land­jä­ger­kor­po­rals Mur­mann.

      Stu­der saß am Fens­ter und blick­te in den Gar­ten, über den ein fei­ner Re­gen nie­der­ging. Es war kühl. Der hei­ße Sonn­tag war eine Täu­schung ge­we­sen.

      Der Wacht­meis­ter war al­lein. Er sah müde aus. Zu­sam­men­ge­sun­ken hock­te er auf dem be­que­men Arm­stuhl in sei­ner Lieb­lings­stel­lung: Un­ter­ar­me auf den Schen­keln, Hän­de ge­fal­tet. Die Haut ei­nes Ge­sich­tes ließ an ver­reg­ne­tes Pa­pier den­ken. Er seufz­te von Zeit zu Zeit.

      In der Hand hielt er einen Brief, drei eng­be­schrie­be­ne Bo­gen. Er las dar­in, ließ die Blät­ter wie­der sin­ken, nahm sie wie­der auf, schüt­tel­te den Kopf. Es war ein Brief sei­nes Part­ners im Bil­lard­spiel. Münch, der No­tar, schrieb merk­wür­di­ge Din­ge, Din­ge, die viel­leicht… viel­leicht die Lö­sung ge­ben konn­ten – die Lö­sung des ver­ka­chel­ten Fal­les Wit­schi. ›Streng ver­trau­lich‹ stand auf dem Brief­kopf. Wie stell­te sich der Münch ei­gent­lich die Sa­che vor? Er­zähl­te in­ter­essan­te Tat­sa­chen, und man durf­te sie nicht ver­wer­ten.

      Der Brief han­del­te von Ak­zep­ten. Von Ak­zep­ten, die zu­sam­men eine be­trächt­li­che Sum­me aus­mach­ten. Wech­sel also, die von ei­nem Ger­zen­stei­ner Bür­ger ak­zep­tiert wor­den wa­ren und nun der Ein­lö­sung harr­ten. Der Ger­zen­stei­ner, um den es sich han­del­te, hat­te mit der Kan­to­nal­bank vor ei­ner Wo­che ein Ab­kom­men ge­trof­fen. Die Wech­sel wa­ren heu­te fäl­lig ge­we­sen, die Bank hat­te sie vor ei­ner Wo­che mit Ach und Krach auf acht Tage ver­län­gert (pro­lon­giert schrieb der No­tar). Also heu­te in acht Ta­gen muss­ten sie be­zahlt wer­den. Zehn­tau­send Fran­ken. Ein or­dent­li­cher ›Schü­bel‹ Geld. Münch nann­te den Na­men des Ak­zep­tan­ten nicht, er war nicht schwer zu er­ra­ten… Und ein­kas­siert hat­te der Wit­schi das Geld. Vor sechs Mo­na­ten…

      Die­ser Wit­schi muss­te es faust­dick hin­ter den Ohren ge­habt ha­ben, er muss­te or­dent­lich Geld ver­putzt ha­ben. Wo­hin war das Geld ge­kom­men? Spe­ku­la­tio­nen? Vi­el­leicht. Münch schrieb, Wit­schi sei knapp vor dem Kon­kurs ge­stan­den (und merk­wür­di­ger­wei­se stand auch der Ger­zen­stei­ner Bür­ger knapp vor dem Kon­kur­s… ) Der No­tar er­zähl­te eine merk­wür­di­ge Ge­schich­te. Er schrieb:

      »Au­ßer­dem muss ich Dir, lie­ber Wacht­meis­ter, noch eine son­der­ba­re Ge­schich­te er­zäh­len. Du er­in­nerst Dich doch noch, dass ich Dir da­mals, beim Bil­lard­spie­len, als wir den al­ten El­len­ber­ger sa­hen, er­zähl­te, El­len­ber­ger sei bei mir ge­we­sen, um eine zwei­te Hy­po­thek, die er auf dem Hau­se des Wen­de­lin Wit­schi habe, zu kün­di­gen. Nun stimmt das nicht ganz. El­len­ber­ger war schon ein­mal bei mir ge­we­sen, eine


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