Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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der Man­gel an Pul­ver­spu­ren. Eine leich­te­re La­dung? Un­wahr­schein­lich. Wie dann? An­ge­nom­men, der Wit­schi hät­te die Cou­ra­ge ge­habt – dann war je­mand nach dem Selbst­mord ge­kom­men, um den Brow­ning zu ho­len. Den Brow­ning, der dann un­ter dem Pack­pa­pier in der Kü­che der Frau Hof­mann ver­steckt wor­den war. Von wem? Wer hat­te den Re­vol­ver ge­holt? Eine ab­ge­kar­te­te Sa­che?

      »Wie bist du auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass der Wit­schi sich selbst er­schos­sen hat?«

      »Das will ich Euch ge­ra­de zei­gen…«

      Auf der Stra­ße heul­ten Au­tos. Mo­tor­rä­der knat­ter­ten ge­häs­sig. Man spür­te den Sonn­tag. Ver­las­sen sa­hen die Häu­ser aus, aber sie wa­ren nicht stumm, nicht ein­mal heu­te. Ein Kräch­zen hier, ein Sum­men dort, manch­mal ein Me­lo­die­fet­zen… Die Laut­spre­cher Ger­zen­steins spiel­ten mit den at­mo­sphä­ri­schen Stö­run­gen, es war nie­mand da, der sie be­auf­sich­tig­te… So trie­ben sie Scha­ber­nack, für sich al­lein, um die Lan­ge­wei­le des ein­sa­men Nach­mit­tags zu wür­zen… In der Wo­che gab es so viel zu tun für sie. Sie san­gen, sie spiel­ten, sie spra­chen. Pro­fes­so­ren, Bun­des­rä­te, Pfar­rer, Psy­cho­lo­gen – ge­hor­sam blök­ten die Laut­spre­cher die Wor­te nach, die ir­gend­ein be­deu­ten­der Herr von sei­nem Ma­nu­skrip­te ab­las – und die Wor­te dran­gen in die Ohren der Ger­zen­stei­ner, durch­weich­ten die Köp­fe… Sie wirk­ten wie ein Land­re­gen auf Moor­lan­d… Die Laut­spre­cher wa­ren die Be­herr­scher Ger­zen­steins. Re­de­te nicht selbst der Ge­mein­de­prä­si­dent Äsch­ba­cher mit der Stim­me ei­nes An­sa­gers?…

      Da war end­lich Wit­schis Haus. Auch hier krächz­te es durch die ge­schlos­se­nen Lä­den, so laut, dass Stu­der zu­erst mein­te, es sei eine Ge­sell­schaft in ei­nem der Zim­mer ver­sam­mel­t… Aber es war eben doch nur ei­ner der ein­sa­men Laut­spre­cher, der sich die Zeit ver­trie­b…

      Al­pen­ruh

      in blau­er Far­be, die ab­zu­brö­ckeln be­gann.

       Grüß Gott, tritt ein, bring Glück her­ein…

      Wa­rum wirk­te der Spruch auf Stu­der wie ein Hohn? Glück? Wa­ren die Wit­schis wirk­lich ein­mal glück­lich ge­we­sen? Er sah den Wit­schi Wen­de­lin in Hemds­är­meln die Zei­tung le­sen, auf­ste­hen, den lo­sen Trieb ei­nes Spa­lier­bau­mes an­bin­den… Die La­denklin­gel schrill­te… Ge­sprä­che über Po­li­ti­k…

      Und jetzt lag Wit­schi in ei­nem kalt­wei­ßen Raum mit ei­nem Schuss hin­ter dem rech­ten Ohr…

      Stu­der schüt­tel­te sich. Schrei­er sag­te:

      »Kommt nur mit, Wacht­meis­ter!« und ging vor­an durch den Gar­ten, auf den al­ten, ver­fal­le­nen Schup­pen zu, des­sen Dach­stüt­zen ein­ge­knickt wa­ren… Die Tür fehl­te, an ih­rer Stel­le gähn­te ein schwar­zes Loch.

      Aber im Schup­pen war es nicht ein­mal so dun­kel. Ei­ni­ge Dach­zie­gel fehl­ten. Das spär­li­che Licht, das durch die Lö­cher drang, ver­misch­te sich mit der Fins­ter­nis zu ei­ner grau­en Däm­me­rung…

      Zer­bro­che­ne Spa­ten, ein ver­bo­ge­ner Re­chen, lee­re Kis­ten, Holz­wol­le, Per­sil­kar­tons, Pack­pa­pier… Win­zi­ge, glän­zen­de Staub­teil­chen tanz­ten in den Licht­bal­ken, die vom Dach zum Bo­den reich­ten.

      »Und?« frag­te Stu­der. Er muss­te hus­ten. Die Luft im Schup­pen leg­te sich ihm auf die Lun­gen.

      Schrei­er war an einen Sta­pel Kis­ten ge­tre­ten, er räum­te ihn vor­sich­tig bei­sei­te, zog schließ­lich eine Tür her­vor, die Tür des Schup­pens of­fen­bar, an der noch die ros­ti­gen An­geln hin­gen.

      »Habt Ihr eine Ta­schen­lam­pe?« frag­te der Bur­sche.

      »Ja.«

      »Zün­det ein­mal«, ver­lang­te Schrei­er.

      Stu­der ließ den Licht­ke­gel über die Tür strei­chen. Er pfiff ganz lei­se zwi­schen den Zäh­nen.

      Zwei, vier, sechs, zehn – fünf­zehn Ein­schüs­se. Über die Mit­te der Türe ver­teilt. Sie sa­ßen alle in ei­nem Recht­eck, das etwa sech­zig Zen­ti­me­ter hoch und vier­zig Zen­ti­me­ter breit war. Und das Recht­eck, in dem die Schüs­se sa­ßen, war ein hel­ler Fleck in der sonst al­ters­schwar­zen Tür. Stu­der beug­te sich tiefer. Rich­tig, das Recht­eck war ge­ho­belt wor­den. Man sah noch die Spu­ren des Ho­bels…

      Aber das Merk­wür­digs­te an die­sen Ein­schüs­sen war fol­gen­des:

      Die ers­ten Ein­schüs­se, links oben im Recht­eck, zeig­ten deut­lich an ih­ren kreis­för­mi­gen Rän­dern Ver­bren­nungs­spu­ren.

      »De­fla­gra­ti­onss­pu­ren!« sag­te Stu­der lei­se.

      Es wa­ren fünf Lö­cher, die sol­che Spu­ren tru­gen. Beim sechs­ten Loch wa­ren die Spu­ren ge­rin­ger, sie nah­men ab, je wei­ter un­ten im Recht­eck die Ein­schüs­se sa­ßen. Die letz­ten drei Ein­schüs­se hat­ten sau­be­re Rän­der, das Holz um sie her­um war weiß…

      Die Tür war dick. Alle Ku­geln steck­ten im Holz. Stu­der nahm den dün­nen Blei­stift aus sei­nem No­tiz­buch und be­gann die Tie­fe der Lö­cher zu mes­sen. Die Lam­pe hat­te er Schrei­er in die Hand ge­drückt. Er maß ver­schie­de­ne Male, er gab sich Mühe, er press­te den Dau­men­na­gel fest auf den Blei­stift, umso ge­nau als mög­lich – auf den Bruch­teil ei­nes Mil­li­me­ters – den Un­ter­schied fest­zu­stel­len, der viel­leicht in der Tie­fe der Lö­cher be­stand. Alle fünf­zehn Lö­cher wa­ren gleich tief. Also wa­ren auch die letz­ten Schüs­se, de­ren Rän­der sau­ber ge­blie­ben wa­ren, aus der glei­chen Ent­fer­nung ab­ge­ge­ben wor­den wie die ers­ten. Wa­rum aber hat­ten nur die ers­ten ver­brann­te Rän­der?

      »Wa­rum ha­ben nur die ers­ten Lö­cher Pul­ver­spu­ren?« frag­te Stu­der laut.

      Schrei­er ki­cher­te. Es war ein un­an­ge­neh­mes Geräusch. Es er­in­ner­te Stu­der an Zucht­haus, die­ses Ki­chern. Es klang so ver­drückt.

      »Red’ schon, wenn du et­was weißt«, schnauz­te er.

      »Ich bin ja nicht si­cher, Wacht­meis­ter«, sag­te Schrei­er. »Aber Ihr wisst es doch auch: wenn man vor die Mün­dung ein Blatt Pa­pier hält und dann ab­drückt, so blei­ben alle Pul­ver­teil­chen an dem Pa­pier haf­ten und…«

      Stu­der wur­de böse:

      »Und du bil­dest dir ein, der Wit­schi hat vor die Mün­dung ein Zei­tungs­blatt ge­hal­ten, mit der lin­ken Hand, und dann den Schuss ab­ge­ge­ben? Mach mir das ein­mal vor…«

      Schrei­er schüt­tel­te den Kopf. Er zog et­was aus der Ta­sche, ließ das Licht dar­auf fal­len. Es war ein ro­tes Kar­ton­vier­eck. ›Riz La Croix‹ stand dar­auf zu le­sen. Der Um­schlag ei­nes Heft­chens Zi­ga­ret­ten­pa­piers.

      »Das hab’ ich hier im Schup­pen ge­fun­den«, sag­te Schrei­er be­schei­den. »Da­mals, wie ich hier ge­stö­bert hab’. Am Tag nach der Ver­haf­tung vom Schlumpf. Ja.«

      »Und?« frag­te Stu­der.

      »Es rollt kei­ner in der Fa­mi­lie sei­ne Zi­ga­ret­ten selbst. Der alte Wit­schi hat Stum­pen ge­raucht, in der letz­ten Zeit Pfei­fe. Der Ar­min raucht eng­li­sche Zi­ga­ret­ten, die­sel­ben, die sie im La­den füh­ren. Al­so…«

      »Also?«


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