Gedanken über Religion. George John Romanes

Читать онлайн книгу.

Gedanken über Religion - George John Romanes


Скачать книгу
Wahrscheinlichkeit im letzten Grunde nach der Zahl, der Wichtigkeit und der Bestimmtheit ihrer bekannten Beziehungen, verglichen mit ihren unbekannten Beziehungen richtet“, und daraus folgerten wir, daß in Fällen, wo die unbekannten Beziehungen zahlreicher, wichtiger oder unbestimmter sind als die bekannten, der Wert unserer Folgerung um so geringer ist. Aus dieser Regel ergiebt sich aber Folgendes: da das Problem des Theismus das am weitesten zurückgehende aller Probleme ist und daher in seinen unbekannten Beziehungen alles für den Menschen Unbekannte und Unerkennbare enthält, so müssen diese Beziehungen für die unbestimmtesten von allen erklärt werden, die ein Mensch je betrachten kann; und obgleich wir die ganze Erfahrungsreihe, von der aus wir argumentieren können, vor uns haben, so sind wir aus jenem Grunde dennoch unfähig, den wahren Wert irgend eines solchen Argumentes abzuschätzen. Da die unbekannten Beziehungen in der von uns versuchten Induktion sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als auch ihrer Wichtigkeit im Vergleich mit den bekannten Beziehungen durchaus unbestimmt sind, so ist es für uns unmöglich, irgend eine Wahrscheinlichkeit für oder wider das Dasein Gottes zu erlangen.

      Obgleich wir daher gewißlich, soweit menschliche Wissenschaft vordringen und menschliches Denken Schlüsse ziehen kann, keinen Beweis für einen Gott finden können, so haben wir doch noch nicht das Recht, daraus zu schließen, es gäbe keinen Gott. Mag daher die Wahrscheinlichkeit, daß die Natur ohne Gott ist, vom naturwissenschaftlichen Gesichtspunkt aus noch so groß sein, ja, sich naturwissenschaftlich geradezu beweisen lassen, — so ist dies dennoch vom logischen Gesichtspunkt aus durchaus wertlos. Obgleich es so sicher ist wie die Grundlage aller Naturwissenschaft und aller Erfahrung, daß die Annahme des Daseins Gottes, wenn er wirklich existiert, als Ursache des Weltalls überflüssig ist, so kann es dennoch wahr sein, daß das Weltall nie existiert haben würde, wenn es keinen Gott gäbe.

      Diese formalen Betrachtungen beweisen dann folgerichtig, daß wir trotz aller relativ großen Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Atheismus doch kein Recht haben, diese Wahrscheinlichkeit als absolute Gewißheit zu betrachten. Daraus entsteht die Möglichkeit eines anderen Arguments zu Gunsten des Theismus — oder wir wollen lieber sagen: die Möglichkeit der Wiederaufnahme des teleologischen Beweises in anderer Form. Denn wenn man sagen kann, daß diese formalen Betrachtungen wohl einen absoluten, aber keinen relativen Schluß für oder wider die Gottheit ausschließen, und wenn also doch noch einige theistische Deduktionen übrig bleiben, die füglich aus der Erfahrung gezogen werden dürfen, so können diese jetzt in Anschlag gebracht werden, um den atheistischen Folgerungen aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft die Wage zu halten. — Denn wenn unsere letzten Deduktionen auch klar gezeigt haben, daß das Dasein Gottes vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus überflüssig erscheint, so haben die formalen Betrachtungen nicht weniger klar jenseits der naturwissenschaftlichen Sphäre einen möglichen Platz für das Dasein Gottes erschlossen, so daß wir, wenn durch Erfahrung irgend welche Thatsachen beigebracht werden können, zu deren Erklärung die atheistischen Deduktionen ungenügend erscheinen, berechtigt sind, dieselben wenigstens relativ durch die theistische Hypothese zu begründen. Und es muß zugestanden werden, daß wir solch einen unerklärbaren Rest in dem Zusammenwirken der Naturgesetze bei der Entstehung der kosmischen Harmonie finden.

      Es macht gar nichts aus — so kann man bei diesem Argument fortfahren — daß wir unfähig sind, die Art und Weise zu erkennen, wie der vermeintliche Geist bei der Erschaffung der kosmischen Harmonie etwa verfahren hat, auch bedeutet es nichts, daß sein Handeln jetzt in ein Gebiet jenseits der Naturwissenschaft verbannt werden muß. Wohl aber ist es wichtig, daß wir bei einem Blick auf die Natur als ein Ganzes unmöglich den Umfang und die Mannigfaltigkeit ihrer Harmonie begreifen können, wenn wir sie nicht als Wirkung einer intelligenten Ursache anerkennen. Diese geläuterte Form des teleologischen Arguments nannte ich dann „metaphysische Teleologie“, um sie scharf von allen früheren Formen jenes Beweises zu unterscheiden, die ich im Gegensatz dazu als naturwissenschaftliche Teleologie bezeichnete. Der Unterschied aber ist folgender: während alle früheren Formen der Teleologie auf einer Grundlage beruhten, welche nicht jenseits des Bereichs der Naturwissenschaft lagen und daher der Möglichkeit naturwissenschaftlicher Widerlegung ausgesetzt waren, kann das metaphysische System der Teleologie niemals naturwissenschaftlich widerlegt werden, weil es eben auf einer Grundlage beruht, die der Naturwissenschaft völlig unzugänglich ist. Daß aber dieses metaphysische System der Teleologie auf einer solchen Grundlage beruht, ist unbestreitbar, denn während es die größten Wahrheiten anerkennt, welche die Naturwissenschaft jemals erlangen kann, nämlich das Gesetz von der Erhaltung der Kraft und den sich aus ihm mit Notwendigkeit ergebenden Ursprung des Naturgesetzes, — so wird es doch trotz alledem der zwingenden Thatsache gerecht, daß der Geist auf diese Weise als letzte Ursache der Dinge noch nicht aus der Welt geschafft ist, wie auch der anderen, daß, wenn die Naturwissenschaft verlangt, die Wirkung eines Gottesgeistes in eine jenseits ihres Gebiets liegende Region zu versetzen, dieselbe dann auch wirklich hierhin verlegt werden muß. Diese Behauptung erscheint im ersten Augenblick ohne Zweifel willkürlich, da die Naturwissenschaft ihrer ja, soweit sie auch vordringen mag, überhaupt nicht bedarf, — weil die kosmische Harmonie als eine physikalisch notwendige Folgerung aus der vereinten Thätigkeit der Naturgesetze und diese wiederum als eine physikalisch notwendige Folgerung aus der Erhaltung der Kraft und den primären Qualitäten der Materie folgt. Aber wenn auch unbestreitbar wahr ist, daß die metaphysische Teleologie, naturwissenschaftlich betrachtet, durchaus willkürlich ist, so möchte sie doch, psychologisch betrachtet, nicht ganz willkürlich sein. Wenn es also verständlicher ist, daß im Geist die letzte Ursache der Weltharmonie liegt und nicht in der Erhaltung der Kraft, dann ist es nicht unvernünftig, die begreiflichere Hypothese an Stelle der weniger begreiflichen anzunehmen, vorausgesetzt, daß diese Wahl mit aller Vorsicht vorgenommen wird.

      Ich schließe also, daß die Hypothese der metaphysischen Teleologie, wenn auch im physikalischen Sinn willkürlich, im psychologischen Sinn berechtigt sein mag. Aber gegen die Grundlage, auf der dieses Argument allein ruhen kann — daß nämlich das Grund-Postulat des Atheismus unbegreiflicher ist als das des Theismus — giebt es, wie wir sahen, noch zwei wichtige Einwände.

      Erstens: Der Sinn, in welchem hier das Wort „unbegreiflich“ gebraucht wird, ist der, daß man zwar den betreffenden Gedanken nicht mit Thatsachen begründen, ihn wohl aber als im übrigen möglich erweisen kann. In demselben Sinn, wenn auch in geringerem Maße, ist es wahr, daß die Verwicklung der menschlichen Organisation und ihrer Funktionen unbegreiflich ist; aber hier hat das Wort „unbegreiflich“ bei einem Beweis viel geringeres Gewicht als in seinem eigentlichen Sinn. Ohne daher weiter darüber zu disputieren, inwiefern man berechtigter Weise die „Unbegreiflichkeit“ einem Einwand gegenüber, der doch von einer großen Menge wissenschaftlicher Beweise gestützt wird,[17] ins Feld führen darf, gingen wir zu dem zweiten Einwand gegen die Grundlage der metaphysischen Teleologie über. Dieser war folgender: es ist ebenso unmöglich, die Weltharmonie als Wirkung eines Geistes [d. h. eines Geistes, wie wir ihn aus Erfahrung kennen] oder als Wirkung einer vom Geist losgelösten Entwicklung zu begreifen. Das Argument von der Unbegreiflichkeit kann daher in seiner Anwendung ebenso verhängnisvoll für den Theismus wie für den Atheismus werden.

      Die geläuterte Form der Teleologie, welche wir hier erörterten und welche wir als das letzte noch mögliche Argument zu Gunsten des Theismus erkannten, begegnet also auf ihrem eigenen Gebiet einem sehr gefährlichen Gegner: Durch ihren metaphysischen Charakter ist sie dem Widerspruch der Naturwissenschaft entgangen, um sofort einen neuen Widerspruch in der Region der reinen Psychologie, in die sie geflohen ist, zu finden. Zum Schluß unsrer ganzen Untersuchung waren wir daher gezwungen, die relative Bedeutung dieser feindlichen Mächte zu untersuchen. Dabei bemerkten wir zuerst Folgendes: wenn die Verteidiger der metaphysischen Teleologie von vornherein der Methode, nach welcher die Entstehung des Naturgesetzes aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft abgeleitet wurde, vorwerfen, daß sie eine unerlaubte Analogie verlange, dann steht es einem Atheisten auch frei, die Methode, nach welcher ein lenkender Geist aus der Thatsache die Weltharmonie hergeleitet wurde, zu beschuldigen, daß sie eine unerkennbare Ursache fordere — und zwar eine Ursache, wie sie der menschliche Geist stets mit besonderer Vorliebe [aber stets irrtümlicher Weise — Der Übersetzer] als Ursache der Naturerscheinungen angesehen hat.

      Aus diesen Gründen schloß ich daher, daß beide Theorien, was ihren von der Erfahrung losgelösten


Скачать книгу