Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike
Читать онлайн книгу.Staffelei mich zu befriedigen? Was den Künstler sonst wohl reizt und treibt und ermuntert, das ist die Hoffnung auf die ruhmvolle Anerkennung der Verständigen, die rege Teilnahme zunächst seiner Freunde; auch mir war dies Gefühl nicht fremd, jetzt vermag es nichts mehr auf mich. Ungenützt und trocken und verdrießlich gehn mir die Wochen dahin, und nur die Stunden glaub ich wirklich gelebt zu haben, die mir in Ihrem Hause vergönnt sind. Aber nun, für einen Mann, welcher seine Pflicht so gut fühlt, als ein jeder andere, sagen Sie mir, ist so ein Leben nicht ein unerträgliches? Und sehen Sie ein Mittel, es zu ändern? Könnten Sie auch nur den kranken Fleck entdecken, wovon mir all dies Unheil kommt, das mich so gänzlich von mir selber trennt und scheidet?«
»Mit Verwunderung, Nolten, hör ich Sie an«, erwiderte die Gräfin, »und Ihre Klagen, ich gestehe es, mißfallen mir mehr, als daß mein Mitleid dadurch rege würde. Ich verstehe Sie nicht ganz, nur glaub ich fast zu sehen, die Schuld liegt meist an Ihnen. Gern dacht ich Sie mir diese ganze Zeit her tätig, frisch und aller Hoffnung voll. Ließen nicht Ihre Gespräche nur den wärmsten Eifer blicken für Ihren Beruf und alles, was dahin gehört? War Ihr Benehmen denn nicht weit mehr heiter als zerstreut und unbefriedigt? Wie angenehm für unsern kleinen Kreis, wenn Sie des Abends als ein mehr und mehr unentbehrlich werdender Gast bei uns erschienen, munter, gefällig, teilnehmend an allem, erfinderisch für jede Art von Unterhaltung, dabei bescheiden und ohne viel Worte. Dann, was soll ich’s Ihnen bergen, so wie auf diese Weise wir Ihnen manches schuldig wurden, so mochten wir uns gerne überreden, daß eben in unserem Hause eine Zuflucht für Nolten gefunden sei, wo der Künstler das vielfach bewegte Leben seines Innern harmlos und ruhig mit der Gesellschaft zu vermitteln imstande wäre, um immer wieder mit freigeklärter Stirne in den Ernst seiner Werkstätte zurückzukehren und sich mit mehr Gelassenheit alles desjenigen zu bemeistern, was sonst mit verworrener Übermacht betäubend und niederschlagend auf ihn eindrang. Ja, mein Freund, Sie mögen im stillen meiner spotten, ich leugne nicht, so weit gingen meine Hoffnungen.«
»Verhüte Gott es, edle vortreffliche Frau, daß ich verkennen sollte, was Sie mit unverdienter Güte für mich dachten! Mehr, weit mehr als Sie soeben angedeutet haben, könnte der herrliche Kreis mir gewähren, wofern ich den Segen zu nutzen verstünde, den er mir bietet. Aber, meine Gnädige, wenn gerade der neue Reiz dieser schönen Sphäre einen Zwiespalt in mir hervorbrächte, wenn der innige Anteil, den das Herz hier nehmen muß, dem weit allgemeineren Interesse des Geistes im Wege stünde, wenn ich, statt beruhigt und gestärkt zu mir selbst zurückzukehren, immer das leidenschaftliche Verlangen fühlte, in den Mittelpunkt eines so lieblichen Vereins alle Strahlen meines menschlichen und künstlerischen Daseins zu versammeln, sie ewig dort festzuhalten, und so meinem Bestreben einen um so wärmeren Schwung, einen unmittelbareren Lohn zu verschaffen, als der zerstreute Beifall der Welt jemals gewähren kann?«
»Es liegt«, antwortete die Gräfin nach einigem Nachsinnen mit Heiterkeit, »es liegt in der Natur von Männern Ihresgleichen, alles nur einseitig zu nehmen, von einer Seite her alles zu erwarten, und zwar je unmöglicher, je schädlicher es wäre. Indessen, mein lieber Maler, ich bin für jetzt nicht gefaßt, noch geneigt, in Ihren gegenwärtigen Zustand, in Ihr Wünschen und Wollen augenblicklich ratend und helfend einzugehen. Die erhabenen Grillen dieses Geschlechts von Künstlern sind schwer zu fassen, und wir scharfsinnigen Frauen haben jedesmal Mühe, um bei dergleichen subtilen Erörterungen, wo wir nur lauschen, nur tasten und halb erwidern können, nicht unsern Blödsinn, unsre Einfalt zu verraten. Am Ende möchten wir bei einem Menschen, welchem wir doch einmal herzlich wohlwollen, alles gerne mit einem Schlage gutmachen, und, dem Unnatürlichen zum Trotz, mit der natürlichsten Auskunft dazwischenfahren. Gar oft sind wir aber selbst um eine solche Zauberformel verlegen, ja wenn wir sie gefunden zu haben glauben, will es uns manchmal gefährlich dünken, davon Gebrauch zu machen, und so können wir zuletzt nichts Besseres tun, als – mit Bedeutung schweigen und die Herren an ihren Genius verweisen.«
Theobald machten diese Worte nachdenklich; sie schienen ein Verständnis der Absicht, welche er vorhin halb versteckt Constanzen nahegelegt, ebenso zweideutig zu verhüllen, und obgleich sich bereits ein guter Schluß auf die Gesinnungen der liebenswürdigen Frau daraus machen ließ, so hatte der muntere ablehnende Ton ihn doch etwas erschreckt, sogar verletzt.
Die Gräfin sah sich im Vorbeigehen nach den beiden Herren um; da jedoch der Italiener soeben in einer lustigen und langen Erzählung begriffen war, welche für ein weibliches Ohr nicht eben von der delikatesten Art sein mochte, so zog sich Constanze wieder zurück, und Theobald verfehlte keineswegs, ihr Gesellschaft zu leisten.
Sie stiegen die breiten Stufen zur Gartenanlage hinab, und die Gräfin bezeugte auf eine drollige und neckische Art ihre Freude über die Leichtigkeit, womit sie auf der gefrorenen Schneedecke hinschlüpfen konnte, indes ihr Begleiter zuweilen unversehens mit dem Fuße einsank. Aber all ihr munteres Wesen vermochte kaum etwas gegen den sinnenden Ernst des Malers. Sie kamen vor eine dunkle Gruppe hoher Forchen, welche den Eingang zu der sogenannten schönen Grotte vorbereiteten. Diese zog sich eine beträchtliche Länge unter einem reichbewachsenen Felsen fort und führte unmittelbar in den großen Saal der Orangerie. Nicht ohne vielen Sinn war die Sache so angelegt worden, um dem Spaziergänger eine höchst überraschende Szene zu bereiten, wenn man, besonders zu dieser Jahreszeit, aus dem toten Wintergarten in eine schauerliche Nacht eingetreten, nach etlichen hundert Schritten mit einem Male einen hellgrünen, warmen Frühling zauberhaft aus breiten Glastüren sich entgegenleuchten sah.
Theobald forderte zu einem Gang durch die Höhle auf, und die Gräfin, die den Ort noch nicht kannte, nahm nach kurzem Zaudern den Arm ihres Begleiters an. Ein eisernes Geländer, woran man fortlief, leitete sicher an den Wänden hin, und so waren beide mit vorsichtigen Tritten eine Strecke weit gewandert, als Constanze, das Ende des dunkeln Ganges vergeblich erwartend, bereits ängstlich die Umkehr verlangte. Nolten bat dringend, vollends auszuhalten, und überredete sie endlich. Aber in steter Furcht, einen Mißtritt zu tun, oder gegen einen Vorsprung des Felsen zu stoßen, hielt sich die zarte Frau fest und fester an ihren Führer, und indes beide schweigend und sachte nebeneinander gingen, wie seltsam war es unserem Freunde, so viel Schönheit und Jugend in voller und doch unsichtbarer Gegenwart leis atmend an seiner Seite! Sein Herz pochte gewaltsamer, und wie schon das Wunderbare und Großartige eines solchen Ortes erhöhend auf die Sinne wirkt, so steigerte sich jetzt seine Phantasie bis zu einer gewissen Feierlichkeit, alles schien ihm etwas Außerordentliches, etwas Entscheidendes ankündigen zu wollen.
Dies trat auch nur zu bald und auf ganz andere Weise ein, als er sich hätte je vermuten können; denn in dem Augenblick, wo ihm vorne ein dämmernd hereinfallendes Licht den nahen Ausgang verheißt, glaubt er von derselben Seite her eine Stimme zu vernehmen, deren wohlbekannter Ton ihn plötzlich starr wie eingewurzelt stehenbleiben macht. Constanze fühlt, wie er zusammenschrickt, wie sein Atem ungestüm sich hebt, wie er mit der Faust gegen die Brust fährt. »Was ist das? um Gottes willen, Nolten, was haben Sie?« Er schweigt. »Wird Ihnen nicht wohl? Ich beschwöre, reden Sie doch!«
»Keine Furcht, edle Frau! Besorgen Sie nichts – aber ich gehe nicht weiter – keinen Schritt – denken Sie was Sie wollen, nur fragen Sie mich nicht!«
»Nolten!« entgegnete die Gräfin mit Heftigkeit, »was soll der unsinnige Auftritt? kommen Sie! Soll ich mich etwa krank hier frieren? Was haben Sie vor? Den Augenblick verlaß ich diesen Ort – werden Sie mir folgen oder geh ich allein? Lassen Sie mich los! ich befehl es Ihnen.« – Er hält sie fester. »Nolten! ich rufe laut, wenn Sie beharren!«
»Ja, rufen Sie! rufen Sie ihn herbei – er ist nicht weit von uns – ich habe seine Stimme gehört, meines schlimmsten, meines tödlichsten Feindes – Herzog Adolph ist in der Nähe!«
Nun erst schien Constanze zu begreifen; sie stand sprachlos, ohne Bewegung.
»Der Augenblick ist da!« rief Theobald, »ich fühl es, jetzt, oder niemals muß es heraus, das Geheimnis, das seit Monaten an meinem Leben zehrt und frißt, das mich zugrunde richten wird, wenn ich’s nicht endlich darf aus der Brust stoßen – Constanze! ahnest du es nicht? O daß ich dir ins Auge blicken, dir’s von der Stirne lesen könnte, du habest längst erraten!«
»Still, Nolten! schweigen Sie – um meiner Ruhe willen, kein Wort weiter! Kommen Sie vorwärts, dort an das Licht –«
»Dorthin?