Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike

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Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band) - Eduard  Morike


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bin der Meinung, Sie machten die Probe je eher je lieber; ich werde mich diesfalls heute noch in bester Form eines nähern bei Ihnen vernehmen lassen. Was inzwischen den deutschen Pinsel betrifft, so mögen Sie immerhin den Maler in mir verachten, und zwar noch ehe Sie ihn kennengelernt haben, ich bin gegen den Bildhauer gerecht, dessen Werke ich vorhin gesehen habe; sie sind vortrefflich, und sind es so sehr, daß es der frechsten Lüge gleichsieht, wenn Sie, mein Herr, sich den Schöpfer derselben nennen.«

      Dieser letzte Ausfall machte den Fremden offenbar ein wenig betroffen, obgleich er getan, als hörte er nichts; aber er wurde noch verlegener, da Nolten ihm tiefer ins Gesicht schaute, den Kopf schüttelte und mit einem zweifelnden Lächeln dem Grafen zuwinkte; – noch einen prüfenden Blick auf die seltsame Physiognomie des Italieners, noch einen, und wieder einen und – »Gemach, mein Freund!« rief Theobald, den Burschen am Schnurrbart packend, da er eben aus der Tür schlüpfen wollte, »ich glaube, wir kennen uns!« – Wunder! der falsche Schnurrbart blieb Nolten in den Fingern, der arme Teufel selber fiel zitternd auf seine Kniee, es war kein anderer Mensch als – Barbier Wispel, der entlaufene Bediente Noltens.

      Der Graf traute seinen Augen kaum bei dieser Szene, und unser Freund, ungewiß, sollte er lachen oder zürnen, rief: »Du unterstehst dich, Elender, nachdem du mich einmal schändlich bestohlen, aufs neue deinen Betrug, deine Narrheit an mir und in dieser Gegend auszuüben, wo dich das Zuchthaus erwartet? Wie kommst du nur zu diesen Kleidern, wie kommst du überhaupt dazu, diese apokryphische Rolle zu spielen?«

      In der Tat konnte Nolten trotz aller angenommenen und wirklichen Indignation ein herzliches Lachen kaum zurückdrängen. Es nahm ihn nun gar nicht mehr wunder, wie er sich eine Zeitlang wirklich in der Person dieses Menschen täuschen konnte; denn es war bei weitem nicht der magere, splitterdünne Wispel mehr, es mußte ihm auf seinen neuen Reisen ganz besonders wohl ergangen sein, auch von seinen früheren Manieren hatte sich vieles verwischt, oder legte er sie auf einige Stunden ab, und dann die künstlich braun gefärbte Haut, veränderte Stimme, verstellte Frisur, Bart und sonstige Ausstattung, alles half zu diesem närrischen Quiproquo. Aus seinen Bekenntnissen ergab sich nach und nach, daß er in die Dienste des fremden Künstlers ungefähr auf dieselbe Weise gekommen war, wie einst in Theobalds; es ging dies um so leichter an, da ihm von seinen früheren Landstreichereien noch einige Kenntnis der Sprache seines Herrn geblieben war, und er diesem als Dolmetscher auf seiner Reise nach Deutschland, an dessen Grenze sie sich kennengelernt, gar oft nützlich sein konnte. Die guten Kleider, die er am Leibe trug, waren teils Geschenk seines Herrn, teils hatte er sich zur Ausführung des gegenwärtigen Prunkstückchens die Garderobe des Künstlers heimlich zunutze gemacht. Der Italiener, erst vorgestern angelangt, hielt sich in der Stadt auf, und sollte erst diesen Abend zu Anordnung der Bildwerke herauskommen, weil aber durch ein Mißverständnis die Handlanger schon in der Frühe vergeblich hiehergesprengt worden, so empfand Wispel einen unüberwindlichen Reiz, vor diesen Leuten und den etwa sich einfindenden Fremden jenen berühmten Mann vorzustellen, dessen bizarres Wesen er zwar mit Übertreibung, doch nicht ganz unglücklich, nachzuahmen wußte. Es sei ihm selber, gestand er nun, sehr leid gewesen, als ihm Nolten, sein ehemaliger Gebieter, so unerwartet in den Wurf gekommen, und noch jetzt wisse er nicht recht, was ihn verführt habe, augenblicklich eine offensive Stellung gegen ihn anzunehmen.

      »Aber Mensch, wie konntest du so unbegreiflich grob, so frech gegen mich sein? Weißt du, was du noch im Rest bei mir sitzen hast?«

      »Ach, mein charmantester, mein göttlicher Herr, wie sollt ich’s nicht wissen? aber das steht ja in guter Hand – es mag etwa eine halbe Carolin sein, was Sie mir an meinem Lohn noch schulden – Bagatell – wenn Sie gelegentlich, aber wohlverstanden, nur ganz gelegentlich, das Pöstchen –«

      Hier bekam Wispel unversehens einen Backenstreich von Theobalds Hand, daß ihm die Haut feuerte. »Schandbube! eine Anweisung ins Spinnhaus bin ich dir schuldig! Aber gib Rechenschaft über das, was ich eben frage: wie warst du fähig, gegen deinen ehemaligen Wohltäter dich so zu vergessen?«

      »Ach«, antwortete er, ganz wieder mit seiner gewohnten Affektation, mit jenem Hüsteln und Blinzeln, »dem Himmel ist es bewußt, wie das zuging, ich wollte mich durch solch ein Betragen gleichsam unkenntlich machen, mich gegen meine eigene Rührung verschanzen, daher meine Wut, meine Malice, auch leugn’ ich nicht, es war vielleicht ein – ein – vielleicht ein Kitzel, das heiße Blut des Südens an mir selbst zu bewundern, und so – und dann – aber gewiß werden Sie mir zugeben, Monsieur, ich habe den höhern Ton der Schikane und den eigentlichen vornehmen Takt, womit das point d’honneur behandelt werden muß, mir so ziemlich angeeignet. Wie? ich bitte, sagen Sie, was denken Sie?«

      Mit diesem letzten Zusatz war es seiner Eitelkeit so völlig Ernst, er war so gespannt auf ein schmeichelhaftes Urteil Noltens, daß dieser und der Graf nur staunten über die unsinnigste Art von Ehrgeiz, womit dieses Subjekt wie mit einer Krankheit gestraft war. Erinnerte man sich vollends der einzelnen Momente, in denen der Mensch seit heute früh sich stufenweise, zuerst bei der Ankunft Theobalds, dann beim Grafen, endlich als Weltmann bei der Gräfin geltend gemacht, so hätte man sich beinahe schämen müssen, wäre die Sache nicht weniger lustig und neu gewesen. Sogar Constanze, welche vom Bruder herbeigerufen ward, konnte, nachdem sie den unglaublichen Betrug eingesehen, sich des Lächelns nicht enthalten, obgleich sie den Entlarvten, dessen Beschämung sie sich schmerzlicher als billig vorstellte, mit einem fast peinlichen Gefühl, wie einen armen Verrückten, betrachtete. Die Fragen, welche sie etwa an ihn tat, bildeten durch ihre wahrhaft naive Delikatesse einen fast komisch rührenden Kontrast zwischen der edlen Frau und der verächtlichen Kreatur. Theobald fand sich hiedurch auch wirklich zu einem gewissen Grad von Mitleid mit dem ärmlichen Sünder bewogen, und als Wispel auf das beredteste ihn um Wiederaufnahme in sein Haus ersuchte, konnte er sich zwar hiezu nicht verstehen, aber er versprach, ihm außer einer Warnung, die man dem Italiener schuldig sei, keineswegs schaden zu wollen. Hierauf verabschiedete sich Wispel mit gehörigem Anstand, er wollte Constanzen die Hand küssen, was jedoch höflich verbeten wurde.

      Die Gesellschaft verhehlte sich den im ganzen versöhnenden Eindruck nicht, welchen der letzte Auftritt bei ihr zurückgelassen hatte. Bei der Gräfin selbst war der Rückblick auf den heutigen Morgen leichter, weil seine Wirkung wenigstens äußerlich durch so manches andere in etwas war verdrängt worden; nur sobald Nolten ihr näher kommen wollte, wich sie schüchtern und unbehaglich aus. Im allgemeinen, dies durfte er sich mit Recht sagen, ließ ihr Benehmen sich gar nicht zu seinen Ungunsten auslegen, ja er konnte den tief gegründeten Keim wirklicher Liebe nicht mehr an ihr verkennen, er hoffte eine zwar langsame, aber unaufhaltsame Entwicklung. Nur jede Voreiligkeit, alles dringend Heftige, sosehr dies in seinem Temperamente lag, beschloß er zu vermeiden, und wir selber sind der Meinung, daß er dabei seinen Vorteil und die Sinnesart der Frauen von Constanzens Wert fein genug zu schätzen gewußt.

      Man hätte gerne noch den echten Italiener gesehen, allein der Abend nahte stark heran, es war unwahrscheinlich, daß der Künstler noch käme, überdies verlangte Constanze nach Haus, und so schickte man sich denn zum Aufbruch an.

      Nolten, der den Schlitten des Grafen eine Weile rasch verfolgte, blieb mit seinem Pferde doch bald zurück. Er hatte Zeit, seinen Gedanken über den heutigen Tag, seinen Besorgnissen und Hoffnungen stille nachzuhängen, indes der Mond mit immer hellerem Lichte die dämmernde Schneelandschaft überschien. Was hatte sich doch verändert in den wenigen Stunden, seit er diese Wege hergeritten! um wieviel näher war er gegen alles Denken und Vermuten seinem ersehntesten Ziele gekommen, ja, das er wirklich schon erreicht, das er schon mit kühnen Armen umschlungen und auf alle Zukunft für sich geweiht hatte! Je verwunderter er diese rasche Wendung bei sich überlegte, desto stärker drang sich ihm der alte Glaube auf, daß es Augenblicke gebe, wo ein innerer Gott den Menschen unwiderstehlich besinnungslos vorwärts stoße, einer großen Entscheidung entgegen, so daß er, daß sein Schicksal und sein Glück sich selber gleichsam übertreffen müssen. Er schauderte im Innersten, er drang mit weit offenem Aug in das tiefe Blau des nächtlichen Himmels und forderte die Gestirne heraus, seine Seligkeit mitzuempfinden. Was doch jetzt in Constanzen vorgehen mag! – er hätte die Welt verschenken mögen, um dieses Einzige zu wissen, und doch pries er wieder seine Ungewißheit, weil sie ihm vergönnte, alles zu glauben, was er wünschte. Sollte jetzt nicht auch in ihrem Busen der wonnevollste Tumult von Freude, Furcht und Hoffnung laut sein? und ist nicht


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