Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike
Читать онлайн книгу.1. [Kastor und Pollux heißen ein Paar Ammoniten]
2. [Fällt dir vielleicht in späten Tagen]
Bei Gelegenheit eines Kinderspielzeugs
Grabschrift des Pietro Aretino
Erzählungen:
Maler Nolten
Ein heiterer Juniusnachmittag besonnte die Straßen der Residenzstadt. Der ältliche Baron Jaßfeld machte nach längerer Zeit wieder einen Besuch bei dem Maler Tillsen, und nach seinen eilfertigen Schritten zu urteilen, führte ihn diesmal ein ganz besonderes Anliegen zu ihm. Er traf den Maler, wie gewöhnlich nach Tische, mit seiner jungen Frau in dem kleinen, ebenso geschmackvollen als einfachen Saale, dessen antike Dekoration sich gar harmonisch mit den gewöhnlichen Gegenständen des Gebrauchs und der Mode ausnahm. Man sprach zuerst in heiterm Tone über verschiedene Dinge, bis die Frau sich in Angelegenheiten der Haushaltung entfernte und die beiden Herren allein ließ.
Der Baron saß bequemlich mit übereinandergeschlagenen Beinen im weichen Fauteuil, und indes die Wange in der rechten Hand ruhte, schien er während der eingetretenen Pause den Maler in freundlichem Nachsinnen mit der neuen Ansicht zu vergleichen, die sich ihm seit gestern über dessen Werke aufgedrungen.
»Mein Lieber!« fing er jetzt an, »daß ich Ihnen nur sage, warum ich vornehmlich hieher komme. Ich bin kürzlich bei dem Grafen von Zarlin gewesen und habe dort ein Gemälde gesehen, wieder und wieder gesehen und des Sehens kaum genug gekriegt. Ich fragte nach dem Meister, der Graf ließ mich raten, ich riet und sagte: Tillsen! – schüttelte aber unwillkürlich den Kopf dabei, weil mir zugleich war, es könne doch nicht wohl sein; ich sagte abermals: Tillsen, und sagte zum zweitenmal: Nein!«
Bei diesen Worten zeigte sich eine Spur von Verdruß und Verlegenheit auf des Malers Gesicht; er wußte sie jedoch schnell zu verbergen und fragte mit guter Laune: »Nun! das schöne Wunderwerk, das meinen armen Pinsel bereits zweimal verleugnet hat – was ist es denn eigentlich?«
»Stellen Sie sich nicht, Bester«, erwiderte der Alte aufstehend, mit herzlicher Fröhlichkeit und glänzenden Augen, »Ihnen ist wohl bekannt, wovon ich rede. Der von Zarlin hat Ihnen das Bild abgekauft und Sie sind nach seiner Versicherung der Mann, der es gemacht. Hören Sie, Tillsen«, hier ergriff er seine Hand, »hören Sie! ich bin nun einmal eben ein aufrichtiger Bursche, und mag, wo ich meine Leute zu kennen glaube, nicht übertrieben viel Vorsicht brauchen, also platzte ich Ihnen gleich damit heraus, wie mir’s mit Ihrem Bilde ergangen; es enthält unverkennbar so manches Ihrer Kunst, besonders was Farbe, was Schönheit im einzelnen, was namentlich auch die Landschaft betrifft, aber es enthält – nein, es ist sogar durchaus wieder etwas anderes, als was Sie bisher waren, und indem ich zugebe, daß die überraschende Entdeckung gewisser Ihnen in minderem Grade eigenen Vorzüge mich irregemacht, so liegt hierin ein Vorwurf gegen Ihre früheren Arbeiten, den Sie immer von mir gehört haben, ohne darum zu zweifeln, daß ich Sie für einen in seiner Art trefflichen Künstler halte. Ich fand jetzt aber eine Keckheit und Größe der Komposition von Figuren, eine Freiheit überall, wie Sie meines Wissens der Welt niemals gezeigt hatten; und was mir schlechterdings als ein Rätsel erschien, ist die auffallende Abweichung in der poetischen Denkungsart, in der Wahl der Gegenstände. Dies gilt insbesondere von zwei Skizzen, deren ich noch gar nicht erwähnte und die Sie dem Grafen in Öl auszuführen versprochen haben.
Hier ist eine durchaus seltene Richtung der Phantasie; wunderbar, phantastisch, zum Teil verwegen und in einem angenehmen Sinne bizarr. Ich denke dabei an die Gespenstermusik im Walde und Mondschein, an den Traum des verliebten Riesen. Tillsen! um Gottes willen, sagen Sie, wann ist diese ungeheure Veränderung vorgegangen? wie erklären Sie mir sie? Man weiß und hat es bedauert, daß Tillsen in anderthalb Jahren keine Farbe angerührt; warum sagten Sie mir während der letzten zwei Monate nicht eine Silbe vom Wiederanfange Ihrer Arbeiten? Sie haben heimlich gemalt, Sie wollten uns überraschen, und wahrlich, teuerster, unbegreiflicher Freund, das ist Ihnen gelungen.« Hier schüttelte der feurige Redner den stummen Hörer kräftig bei den Schultern, schmunzelte und sah ihm nahezu unter die Augen.
»Ich bin wahrhaftig«, begann der andere ganz ruhig, aber lächelnd, »um den Ausdruck verlegen, Ihnen meine Verwunderung über Ihre Worte zu bezeugen, wovon ich das mindeste nicht verstehe. Weder kann ich mich zu jenem Gemälde, zu jenen Zeichnungen bekennen, noch überhaupt faß ich Ihre Worte. Das Ganze scheint ein Streich von Zarlin zu sein, den er uns wohl hätte ersparen mögen. Wie stehen wir einander nun seltsam beschämt gegenüber! Sie sind gezwungen, ein mir nicht gebührendes Lob zurückzunehmen, und der Tadel, den Sie vergnügt schon auf die alte Rechnung setzten, bleibt wo er hingehört. Das muß uns aber ja nicht genieren, Baron, wir bleiben, hoff ich, die besten Freunde. Geben Sie mir aber doch, ich bitte Sie, einen deutlichen Begriff von den bewußten Stücken. Setzen Sie sich!«
Jaßfeld hatte diese Rede bis zur Hälfte mit offenstehendem Munde, beinahe ohne Atemzug angehört, während der andern Hälfte trippelte er im Zickzack durch den Saal, stand nun plötzlich still und sagte: »Der Teufelskerl von Zarlin! Wenn ja der – aber es ist impossibel, ich behaupte trotz allen himmlischen Heerscharen, Sie sind der Maler, kein anderer; auch läßt sich nicht annehmen, daß es etwa nur zum Teil Ihre Produktion wäre; Sie haben sich in Ihrem Leben nie auf Fremdes verlegt.« Der Maler bat wiederholt um die Schilderung der befragten Stücke.
»Ich beschreibe Ihnen also, weil Sie es verlangen, Ihr eigen Werk«, hub der alte Herr, sich niedersetzend, an, »aber kurz, und korrigieren Sie mich