Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike

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Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band) - Eduard  Morike


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Spur ihrer besondern Gunst mit unermüdeter Selbstüberredung, wobei er freilich nicht vergessen durfte, daß er in dem Herzog einen sehr geistreichen Nebenbuhler zu fürchten habe, der ihm überdies, was Gewandtheit und schmeichelhaften Ton des Umgangs betrifft, bei weitem überlegen war. Die Leidenschaft des Herzogs war Theobalden desto drückender, je inniger sonst ihr beiderseitiges Verhältnis hätte sein können, dagegen nun der letztere seinem arglosen fürstlichen Freunde gegenüber eine heimliche Spannung nur mit Mühe verleugnete.

      Übrigens hatte er wohl Grund, sich über seine wachsende Neigung so gut wie möglich zu mystifizieren, denn eine früher geknüpfte Verbindung machte noch immer ihre stillen Rechte an sein Herz geltend, obwohl er dieselben mit einiger Überredung des Gewissens bereits entschieden zu verwerfen angefangen hatte. Das reine Glück, welches der unverdorbene Jüngling erstmals in der Liebe zu einem höchst unschuldigen Geschöpfe gefunden, war ihm seit kurzem durch einen unglückseligen Umstand gestört worden, der für das reizbare Gemüt alsbald die Ursache zu ebenso verzeihlichem als hartnäckigem Mißtrauen ward. Die Sache hatte wirklich so vielen Schein, daß er das entfernt wohnende Mädchen keines Wortes, keines Zeichens mehr würdigte, ihr selbst nicht im geringsten den Grund dieser Veränderung zu erkennen gab. Mit unversöhnlichem Schmerz verhärtete er sich schnell in dem Wahne, daß der edle Boden dieses schönen Verhältnisses für immerdar erschüttert sei, und daß er sich noch glücklich schätzen müsse, wenn es ihm gelänge, mit der Bitterkeit seines gekränkten Bewußtseins jeden Rest von Sehnsucht in sich zu ertöten und zu vergiften. In der Tat blieb aber dieser traurige Verlust nicht ohne gute Folgen für sein ganzes Wesen; denn offenbar half diese Erfahrung nicht wenig seinen Eifer für die Kunst beleben, welche ihm nunmehr ein und alles, das höchste Ziel seiner Wünsche sein sollte. Vermochte er nun aber nach und nach über eine schmerzliche Empfindung, die ihn zu verzehren drohte, Herr zu werden, so war auf der andern Seite das Mädchen indessen nicht schlimmer daran. Agnes glaubte sich noch immer geliebt, und dieser glückliche Glaube ward, wie wir später erfahren werden, auf eine wunderliche Art, ganz ohne Zutun Theobalds, unterhalten, während er schon eine freiwillige Auflösung des Bündnisses von ihrer Seite zu hoffen begann, denn das Ausbleiben ihrer Briefe nahm er ohne weiteres für ein Zeichen ihres eigenen Schuldbewußtseins. In dieser halbfreien, noch immer etwas wunden Stimmung fand er die Bekanntschaft mit der Gräfin Constanze, und nun läßt sich die Innigkeit um so leichter begreifen, womit die gereizten Organe seiner Seele sich nach diesem neuen Lichte hinzuwenden strebten.

      Im Spanischen Hofe, so hieß das bedeutendste Hotel der Stadt, war es am Abende des letzten Dezembers, wo die vornehme Welt sich bereits eifrig zur Maskerade zu rüsten hatte, ungewöhnlich stille. In dem hintersten grünen Eckzimmer leuchteten die beiden hellbrennenden Hängelampen nur zweien Gästen, wovon der eine, wie es schien, ein regelmäßiger, mit Welt und feinerer Gasthofsitte wohlvertrauter Besuch, ein pensionierter Staatsdiener von Range, der andere ein junger Bildhauer war, der erst vor wenig Stunden in der Stadt anlangte. Sie unterhielten sich, in ziemlicher Entfernung auseinander sitzend, über alltägliche Dinge, wobei sich Leopold, so nennen wir den Reisenden, bald über die zerstreute Einsilbigkeit des Alten heimlich ärgerte, bald mit einem gewissen Mitleiden auf die krankhaften Verzerrungen seines Gesichts, auf die rastlose Geschäftigkeit seiner Hände blicken mußte, die jetzt ein Fältchen am fein schwarzen Kleide auszuglätten, jetzt eine Partie Whistkarten zu mischen, oder eine Prise Spaniol aus der achatnen Dose zu greifen hatten. Das Gespräch war auf diese Weise ganz ins Stocken geraten, und um ihm wieder einigermaßen aufzuhelfen, fing der Bildhauer an: »Unter den Künstlern dieser Stadt und des Vaterlandes soll, wie ich mit Vergnügen höre, der junge Maler Nolten gegenwärtig große Aufmerksamkeit erregen?«

      Diese Worte schienen den alten Herrn gleichsam zu sich selber zu bringen. Seine Augen funkelten lebhaft unter ihrer grauen Bedeckung hervor. Da er jedoch noch wie gespannt stille schwieg und eine Antwort nur erst unter den schlaffen Lippen zurechtkaute, fuhr der andere fort: »Ich habe seit drei Jahren nichts von seiner Hand gesehen und bin nun äußerst begierig, mich zu überzeugen, was an diesem ausschweifenden Lobe, wie an den heftigen Urteilen der Kritiker Wahres sein mag.«

      »Befehlen Sie«, sagte der Alte fast höhnisch, »daß ich nun mit einem hübschen Sätzchen antworte, wie etwa: vielleicht in der Mitte liegt das fürtreffliche Talent, das seine bestimmte Richtung erst sucht – oder: es ist das Größte von ihm zu hoffen, wie das Schlimmste zu fürchten – und was dergleichen dünnen Windes mehr ist? Nein! ich sage Ihnen vielmehr geradezu, dieser Nolten ist der verdorbenste und gefährlichste Ketzer unter den Malern, einer von den halsbrecherischen Seiltänzern, welche die Kunst auf den Kopf stellen, weil das ordinäre Gehen auf zwei Beinen anfängt langweilig zu werden; der widerwärtigste Phantasie-Renommiste! Was malt er denn? eine trübe Welt voll Gespenstern, Zauberern, Elfen und dergleichen Fratzen, das ist’s, was er kultiviert! Er ist recht verliebt in das Abgeschmackte, in Dinge, bei denen keinem Menschen wohl wird. Die gesunde, lautere Milch des Einfach-Schönen verschmäht er und braut einen Schwindeltrank auf Kreuzwegen und unterm Galgen; apropos, mein Herr!« (hier lächelte er ganz geheimnisvoll) »haben Sie schon Gelegenheit gehabt, eine der köstlichen Anstalten zu sehen, worein man die armen Teufel logiert, die so, verstehn mich schon, einen krummen Docht im Lichte brennen – nun? Kam Ihnen da nicht auch schon der Gedanke, wie es wäre, wenn sich etwa der Ideendunst, der von diesen Köpfen aufsteigen muß, oben an der Decke ansetzte, welche Figuren da in Fresko zum Vorschein kommen müßten? Was sagen Sie? Nolten hat sie alle kopiert, hä hä hä, hat sie sämtlich kopiert!«

      »Sie scheinen«, erwiderte Leopold gelassen, »wenn ich Sie anders recht fasse, mehr die Gegenstände zu tadeln, unter denen sich dieser Künstler, nur vielleicht etwas zu vorliebig, bewegt, als daß Sie sein Talent angreifen wollten; nun läßt sich aber ohne Zweifel auf dem angedeuteten Felde so gut als auf irgendeinem das Charakteristische und das Rein-Schöne mit großem Glücke zeigen, abgeschmackte und häßliche Formen jedoch, geflissentliches Aufsuchen sinnwidriger Zusammenstellungen kann man von Nolten nicht erwarten; ich kenne sein Wesen von früher und kam in der Absicht hieher, ihn mit einem gemeinschaftlichen Freunde, der auch Maler ist, zu besuchen und uns an seiner bisherigen Ausbildung zu erfreuen.«

      Der alte Herr hatte diese Worte wahrscheinlich ganz überhört, denn er ging mit lautem Kichern nur wieder in den Refrain seines vorhin Gesagten über: »Hat sie sämtlich kopiert, ja ja, zum Totlachen! Ei, das muß er täglich von mir selber hören.«

      In diesem Augenblicke trat Ferdinand, der Reisegefährte des Bildhauers, ein und rief diesem mit einem glänzenden Blicke voll Freude zu: »Er kommt! er folgt mir auf dem Fuße nach! Er ist der gute Nolten noch, sag ich dir! o gar nicht der achselblickende junge Glückspilz, wie man ihn schildern wollte. Stelle dir vor, er vergaß vorhin im Jubel über unsre Ankunft eine Einladung vom Herzog, mit dem er trefflich stehen muß, und eilte nur von der Straße weg, sich zu entschuldigen.«

      Nach einiger Zeit erschien, in Begleitung eines andern, der Erwartete wirklich. Es war ein herzerfreuendes Wiedersehen, ein immer neu erstauntes trunkenes Begrüßen und Frohlocken unter den dreien. Wie ergötzten sich die Freunde an dem stattlichen Ansehen Theobalds, an dem reinen Anstande, den ihm das Leben in höherer Gesellschaft unvermerkt angehaucht hatte, nur verbargen sie ihm nicht, daß die kräftige Röte seiner Wangen in Zeit von wenigen Jahren um ein Merkliches verschwunden sei. Er sah jedoch immer noch gesund und frisch genug neben seinem hageren Begleiter, dem Schauspieler Larkens, aus, den er soeben freundschaftlich produzieren wollte, als dieser sofort mit der angenehmsten Art sich selber empfahl und mit den Worten schloß: »Nun setz dich, liebes Kleeblatt! Ich werde mich mit eurer Erlaubnis bald auch zu euch gesellen, aber den ersten Perl-und Brauseschaum des Wiederfindens müßt ihr durchaus miteinander wegschlürfen! Ich sehe dort ein paar Spielerhände konvulsivisch fingern, das ist auf mich abgesehen.«

      Damit setzte er sich zu dem alten Herrn in der Ecke, den unser Nolten erst jetzt gewahr wurde und nicht ohne Achtung begrüßte. »Sag mir doch«, fragte Leopold heimlich, »was für eine Art von Kenner das ist? Er hat die wunderlichsten Begriffe von dir.«

      »Ach«, lächelte der Freund, »da kann ich dir wenig dienen. Das ist ein sehr kurioser Kauz, voll griesgrämischer Eigenheiten, übrigens von viel Verstand, und mir immer ein lieber Mann. Er besitzt gute Kenntnisse von Gemälden, ist aber auf diesen Punkt von den einseitigsten Theorieen eingenommen. Aus einigen meiner Stücke soll er eine


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