Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike

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Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band) - Eduard  Morike


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oder hätte sie wirklich schon alles wie mit Besemen gekehrt in deinem Herzschrank angetroffen?«

      »Laß uns nicht leichtsinnig von einer ernsthaften Sache reden!« versetzte Nolten, »nein, glaub es, Alter, mein Verhältnis zu Agnes fand den Grund seiner Zerstörung nicht ebenda, wo ihn dein Scharfsinn mit soviel Zuversicht entdecken will. Du hättest mir die Ursache längst abmerken können; eine ausführliche Entwicklung der verhaßten Geschichte war mir zu verdrießlich, und zudem mag mich eine dumme Scham abgehalten haben, über die ich nicht gebieten konnte. Mich von einem kindischen Geschöpfe so genarrt, so gekränkt zu wissen! mich selber so zu narren, so zu täuschen! Höre nun; du weißt, was mich an das Mädchen gefesselt hatte, was ich alles in ihr suchte, tausendfach fand; aber dir ist nicht bekannt, wie sehr mich meine Rechnung zuletzt betrog. Siehst du, wenn äußerste Reinheit der Gesinnung, wenn kindliche Bescheidenheit und eine unbegrenzte Ergebung von jeher in meinen Augen für die Summe desjenigen galt, was ich von einem weiblichen Wesen verlangen müsse, das ich immer sollte lieben können, so ist der Eigensinn begreiflich und verzeihlich, womit sich mein Herz verschloß, sobald jene Eigenschaften anfingen, sich im geringsten zu verleugnen; denn je gemäßigter meine Ansprüche in jedem andern Sinne waren, desto beharrlicher durften sie sein in dieser einzigen Rücksicht, mit welcher nach meinem Gefühle der schönste und bleibendste Reiz aller Weiblichkeit wegfällt.«

      »Ha ha ha!« lachte der Freund, »deine Forderungen sind bescheiden, und doch auch impertinent groß von Weibern der jetzigen Welt!«

      »Oh«, fuhr der andere fort, »o Larkens! ja verlache mich, denn ich verdien’s! daß ich der Tor sein konnte, zu glauben an die Unwandelbarkeit jener ursprünglichen Einfalt, die mir unendlichen Ersatz für jeden glänzenden Vorzug der Erziehung gab! Wo blieb doch jener fromm genügsame Sinn, den auch die leise Ahnung nie beschlich, daß es außer dem Geliebten noch etwas Wünschenswertes geben könne? jene ungefärbte Wahrheit, welche auch den kleinsten Rückhalt nicht in sich duldet, jene Demut, die sich selbst Geheimnis ist? Das alles lag einst in dem Mädchen! Wie heimlich und entzückt belauscht ich nicht zu tausend Malen das reine Aderspiel ihres verborgensten Lebens! Durchsichtig wie Kristall schien der ganze Umfang ihres Daseins vor mir aufgeschlossen und auch nicht ein unebener Zug ließ sich entdecken. Sprich! mußte darum nicht der erste Schatten weiblicher Falschheit mich auf ewig von ihr schrecken? Mein Paradies, gesteh ich, Larkens! war vergiftet von diesem Augenblicke. Kann ich es ändern? kann sie es ändern? Sie selbst mag zu entschuldigen sein, auch ich entschuldige sie, aber die Bedeutung des Ganzen ist mir verloren, ist weg, unwiderbringlich. Und wenn ihre Liebe, göttlich neugeboren, mir entgegenweinte, ich müßte die Hände sinken lassen, sie fände ihre alte Wohnung nicht mehr.«

      Larkens schwieg einige Zeit nachdenklich. »Aber«, fing er nun an, »was verbrach denn das Mädchen eigentlich? wo streckte denn der Satan, der in sie gefahren sein soll, zuerst sein Horn heraus? wo sind die Indizia?«

      »Meinst du«, fuhr Nolten fort, »es sei mir nicht schon fatal gewesen, da es bereits vor einem Jahre bei meinem letzten Besuch in Neuburg sehr deutlich das Ansehen hatte, als ob dem Närrchen bange würde um eine genügende Versorgung durch mich? und wenn mir der Vater mit kritischem Gesichte zu verstehen gab, es wolle nirgends recht fort mit meiner Kunst, mit meinem Erwerbe, er selber könne uns nur wenig unter die Arme greifen, ich möge mich doch wohl bedenken, ob ich mir eine Familie zu nähren getraue, und was des Geschwätzes mehr war, so nahm das Töchterchen mich zwar zärtlich genug in eine Ecke, küßte mir die Runzeln von der Stirn, lächelte und verbarg doch nur mit Müh und Not ihre Sorgen, ihre Tränen. Das ließ ich denn so gehen und hielt’s ihnen zugute. Aber bald nachher, verflucht! die garstige Niederträchtigkeit!«

      »Nun?«

      »Ein zierlicher Laffe kam ins Haus, Geometer, oder was er ist, ein weitläufiger Vetter aus der benachbarten Stadt. Mir ward von freundschaftlicher Hand ein Wink gegeben, daß man sich in dem Burschen, nur auf gewisse Fälle, ein Schwiegersöhnchen reservieren wolle.«

      »Ist nicht möglich das!« rief Larkens erschrocken aufspringend.

      »Und ist gewiß. Zwar Agnes wußte anfangs nicht um den saubern Plan, man wollt abwarten, ob ihr’s Mäulchen nicht selber überliefe, man steckte die Leutchen recht geflissentlich zusammen, daß dem Mädel zuletzt wirklich schwindlig ward, denn mein Rival trug ohne Zweifel eine brillante Vorstecknadel, wußte treffliche Dinge von Bällen und dergleichen zu erzählen, wunderte sich recht mitleidig, daß Fräulein Agnes an solchen Herrlichkeiten keinen Teil nehme, worauf denn das gute Schäfchen sich ebenfalls im stillen verwunderte, sich ganz tiefsinnig in die neue prächtige Welt verguckte, von welcher sie auf ihrem stillen Waldhäuschen bisher das mindeste nicht geahnt. Mir entdeckten jedoch ihre sehr liebreichen, wiewohl etwas sparsamen, Briefe nichts von diesen Visionen, die Wischchen waren lieb und simpel und treuherzig, wie sonst auch, rochen weder nach eau de Portugal noch de mille fleurs, sondern es war genau der alte echte Maiblumen-und Erdbeernduft – aber den höllischen Gestank brachten mir die Briefe sehr ehrenwerter Personen unter die Nase; dort ist von musikalischen und andern Notturnis, von Rendezvous im Gärtchen, kurz von allerliebsten Sachen die Rede, die ich zuerst unglaublich und bis zur Desperation abscheulich, dann aber ganz natürlich und zum Totlachen plausibel fand.«

      »Die Briefe, von wem denn?«

      »Sie sind – gleichviel.«

      »Das nun eben nicht, mein Bester!«

      »Nun ja, ich bin den Personen eine gewisse Diskretion schuldig.«

      »Nur ungefähr; männlich? weiblich? oho! nun rat ich den Pfeffer; die Episteln hat der Neid diktiert.«

      »Unwürdiger Verdacht! Und ich hab außerdem Beweise, die – o laß mich schweigen, laß mich vergessen! nur jetzt verschone mich, du siehst ja, wie mich’s martert!«

      »Aber was sagte Agnes zur Entschuldigung?«

      »Nichts, und ich macht ihr keinen Vorhalt.«

      »Alle Teufel! bist du verrückt? du stelltest sie nicht zur Rede?«

      »Mit keiner Silbe. Der Herr Papa, in Furcht, ich habe Wind erhalten von dem Spaß, kam mir mit Rechtfertigungen zuvor, vielleicht weil ihm der Reukauf angekommen. Da versteigt er sich nun in den rührendsten psychologischen Subtilitäten, als gälte es eine Preisaufgabe, den Leichtsinn einer läppischen Dirne wieder zu Ehren zu bringen. Er ruft sogar die Medizin zu Hülfe; es ist wahr, das Mädchen war kurz vorher krank, aber was, zum Henker! hatten die Nerven meiner Braut mit dem Geometer zu schaffen? Kurzum, ich weiß nun, was ich von allem zu glauben habe. Ich schrieb ihr, wie du weißt, seit sechs Monaten nicht mehr, und hoffte zuletzt, auch sie habe stillschweigend resigniert, allein der Alte mag von Verbesserung meiner Umstände gehört haben: nun erhalt ich gestern unerwartet einen Wisch durch Ferdinand – da!«

      Larkens griff hastig nach dem Briefe, und zwar mit einer Bestürzung, die nur in diesem Augenblicke dem Freunde entgehen konnte. Nolten drang ihm die Papiere beinahe bittend auf, indem er wiederholt sagte: »Behalt es, vergrab es bei dir, bester einziger Larkens! und wenn es möglich ist, verschone mich mit seinem Inhalt, antworte statt meiner, nicht wahr, du tust mir die Liebe? O wie mir nun wieder leicht ist, seit ich des Quarks los bin! – Alter, komm, laß Wein bringen! Wollen uns einmal wieder lustig machen. Der Tag schläft noch fest. Laß diese trübe Lampe mit unsern verdüsterten Geistern sich im Karfunkel des Burgunders spiegeln!«

      In kurzem stand eine kühle Flasche auf dem Tische. Man suchte einige Lieblingsmaterien der Kunst auf und war bald im Feuer des Gesprächs. Mit der Morgendämmerung trennte man sich, um noch eine kurze Ruhe nachzuholen.

      »Noch eins!« rief Theobald unter der Tür, »wer war denn der Vermummte auf dem Albaniturm?«

      »Frag mich jetzt nicht; es ist gleichgültig; du sollst’s ein andermal erfahren. Schlaf wohl.«

      Nolten war auf seinem, vom Frühlichte blaß erhellten Schlafzimmer angekommen. Er will sich soeben aufs Bette werfen, als ihm an dem spanischen Hute, welchen er gestern auf dem Balle gebraucht, eine Zierde auffällt, die ihm völlig fremd ist; die rote Blüte einer Granate, der Natur täuschend nachgemacht. Das Blut steigt ihm in die Wange, eine plötzliche Ahnung schießt ihm durch den Kopf – »von ihr! von ihr! o sicherlich von dir,


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