Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike
Читать онлайн книгу.das Frauenzimmer unterscheiden konnte, folgendermaßen:
»Ihr kennet mich nicht, meine Herren, aber euer Aussehen sagt mir, ich sei in keiner frivolen Gesellschaft. Schwerlich seid ihr gesonnen, diese ernste Nacht, die Geburtsstunde eines neuen Jahres, in gedankenlosem Rausche hinzubringen. Wollte es euch gefallen, ein Stündchen mit mir in frommer Unterhaltung zusammenzusitzen, so bezeichne ich euch einen traulichen Ort. In meiner Kleidung erkennet ihr den Wächter der Nacht. Es stoße sich niemand an dem sonst verachteten Titel. Ich bin der Geist dieser Zunft, ich nenne mich den König der Wächter dieses Landes. Mancher fromme Angehörige meines nächtlichen Staats wird euch von meinem Dasein, meinem Tun und Treiben erzählt haben. Heute mit dem zwölften Glockenschlage wird es hundert Jahre, seit ich die Dörfer und Städte des Reiches besuche, unter heiterem Sternenhimmel, wie im wilden Wintersturme. Vor Mitternacht werd ich im Wächterstübchen auf dem Turme der Albanikirche sein.«
Hiemit neigte er sich und ging mit kaum vernehmlichem Tritte hinweg.
Einstimmig war man geneigt, der sonderbaren Einladung zu folgen, was ihr auch immer zugrunde liegen möge; an einen bösartigen Scherz oder ein gemeines Abenteuer sei hier auf keinen Fall zu denken, und auf einen vergeblichen Gang könne man sich ja gefaßt halten. Ohne die treuherzige Miene und die große Neugierde, womit auch Larkens die Sache aufnahm, hätte leicht der Verdacht einer Mystifikation auf ihn fallen können, denn sein Humor war bekannt genug, er hatte ihn mit Unrecht in den Ruf eines bösartigen Spötters und Intriganten gebracht, wozu mitunter auch sein Äußeres beitrug, sowenig eben eine gelbe Hautfarbe und ein paar schwarze blitzende Augen häßlich, oder das lauernde Lächeln um den Mund gefährlich war. Es war einer von den Menschen, die man auf den Grund kennen muß, um sie nicht zu fürchten. Als Schauspieler und Sänger schätzte man ihn sehr, er wäre der Liebling des Publikums gewesen, hätte er nicht die rätselhafte und hartnäckige Grille gehabt, das Fach des Komischen, wozu er durchaus geboren war, mit ernsten Rollen zu vertauschen, die er, ohne es selbst zu fühlen, nur mittelmäßig ausfüllte. Zuweilen schien sich die unterdrückte Neigung seiner Natur durch eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Lustspiele rächen zu wollen, und es war immer eine Festtagsbeute für die Kasse, wenn der Name Larkens bei einer Holbergschen oder Shakespeareschen Komödie auf dem Zettel stand. Dann hatte es aber auch das Ansehen, als wäre der Gott des Scherzes selbst in den entzückten Mann gefahren. Der Beifall der Verständigen und zuletzt auch des gemeinen Volks war ihm um so gewisser, je bescheidener die strotzende Ader der komischen Kraft innerhalb der feinen Schönheitslinie blieb, die nur der echte Künstler, vom richtigen Takte geleitet, zwischen Begeisterung und Weisheit hinzuziehen weiß. Statt, wie so mancher an seinem Platze, immer gleichsam auf erhitztem Boden zu gehen, schien Meister Larkens nur von einer sanften Wärme belebt, die ihm die Grazien angehaucht, und die Funken des Genies, welche er auswarf, entzündeten keineswegs ihn selber. Maßhaltung blieb immer die Seele seines Spiels, aber sie verdiente um so mehr Bewunderung, wenn es wahr ist, was genauere Freunde behaupteten, daß seine humoristische Stimmung jederzeit nur die günstige Krise eines schmerzhaft bewegten und gedrückten Gemütes war. Wie dem auch sein mag, die Direktion besoldete ihn eigentlich nur um dieser außergewöhnlichen Darstellungen willen, und ließ ihn im übrigen, weil er nicht gezwungen werden konnte, gewähren.
Die viere waren schon nach eilf Uhr auf dem Albaniturme angekommen. Außer dem Türmer, seiner Frau und Kindern saßen in dem Stübchen um die einzige Lampe her noch einige junge Stadtmusiker, die nach althergebrachter Sitte um Mitternacht ein Lied auf der Galerie abzublasen hatten. Die neuen Gäste wurden gar freundlich aufgenommen, zumal sie für eine Kollation mit Wein gesorgt hatten. Nach einem allgemeinen Gespräche fanden die Freunde durch einige beiläufige Fragen zu ihrer nicht geringen Verwunderung, daß die Sage von einem gespensterhaften Nachtwächter dem Aberglauben dieser Leute längst nichts Fremdes war, wiewohl sie die Versicherung, man habe heute einen Besuch der Art zu erwarten, bloß für einen angelegten Spaß der Herren nehmen wollten. Indessen kam die Unterhaltung auf ähnliche Märchen und Geschichten, wahre Leckerbissen für Larkens, und selbst Nolten konnte sich seine Musterkarte phantastischer Stoffe mit manchem neuen Zuge bereichern, wäre er weniger stumpf gegen alles gewesen, was seiner gegenwärtigen Laune keine Nahrung gab. Desto aufmerksamer waren die übrigen, die in solchen Erzählungen gleichsam einen abenteuerlichen Widerschein jener bunten Gaukelbilder des Maskensaals zu finden glaubten. Ein solches Geschichtchen aus dem Munde eines jungen hübschen Burschen aus der Gesellschaft war auch folgendes:
»In der Lohgasse, wenn sie den Herren bekannt ist, wo noch zwei Reihen der urältesten Gebäude unserer Stadt stehen, sieht man ein kleines Haus, schmal und spitz und neuerdings ganz baufällig; es ist die Werkstatt eines Schlossers. Im obersten Teile desselben soll aber ehmals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, dessen Lebensweise niemandem näher bekannt gewesen, der sich auch niemals blicken lassen, außer jedesmal vor dem Ausbruche einer Feuersbrunst. Da sah man ihn in einer scharlachroten, netzartigen Mütze, welche ihm gar wundersam zu seinem todbleichen Gesichte stand, unruhig am kleinen Fenster auf und ab schreiten, zum sichersten Vorzeichen, daß das Unglück nahe bevorstehe. Eh noch der erste Feuerlärm entstand, eh ein Mensch wußte, daß es wo brenne, kam er auf seinem mageren Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt und wie der Satan davongejagt, unfehlbar nach dem Orte des Brandes hin, als hätt er’s im Geist gefühlt. Nun geschah’s –«
»Ei, so laß dein langweilig Geschwätz!« fiel dem Erzähler ein Kamerade in die Rede, »und sing das Stückchen lieber in dem Liede, das du davon hast, laut’t ja viel besser so und hat gar eine schöne schauerliche Weise. Sing, Christoph!«
Der Bursche sah die Gäste verlegen an, und da sie ihm begierig zusprachen, begann er alsbald mit einer klangreichen, kraftvollen Stimme:
»Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Muß nicht ganz geheuer sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und was für ein toll Gewühle
Plötzlich auf den Gassen schwillt –
Horch! das Jammerglöcklein grillt:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt’s in einer Mühle!
Schaut, da sprengt er, wütend schier,
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Tier,
Als auf einer Feuerleiter;
Durch den Qualm und durch die Schwüle
Rennt er schon wie Windesbraut,
Aus der Stadt da ruft es laut:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt’s in einer Mühle!
Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle borst in Trümmer,
Und den wilden Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer;
Darauf stille das Gewühle
Kehret wiederum nach Haus,
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt’s! –
Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mützen,
Ruhig an der Kellerwand
Auf der beinern’ Mähre sitzen.
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt’s in Asche ab –
Ruhe wohl, ruhe wohl,
Drunten in der Mühle!«
Schon vor dem Schlusse des Gesanges öffnete sich die Tür und leise trat die Gestalt des Nachtwächters herein. Er blieb unbeweglich an der Wand hingepflanzt stehen, während der erschrockene Sänger, im Begriffe abzubrechen, auf einen Wink des Larkens mit der letzten Strophe fortfuhr, deren Eindruck durch die Gegenwart dieses fremden Wesens entweder nur um so mehr erhöht wurde oder ganz verlorenging.
Jetzt