Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike

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Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band) - Eduard  Morike


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als eigentümliche Unterhaltung eingeleitet. Man sprach vom geheimnisvollen Reize des Wohnens auf Türmen, von dem frommen und großen Sinn des Mittelalters, wie er sich in den Formen der Baukunst, der heiligen besonders, offenbarte, und dergleichen mehr. Die Gegenwart des Unbekannten, so sparsam bis jetzt seine Worte waren, übte dennoch den größten Einfluß auf die Bedeutung und die steigende Wärme des Gesprächs. Die hohl aus der Maske tönende Sprache und der ruhige Ernst der durchblickenden, dunkel feurigen Augen konnte sogar ein vorübergehendes Grauen erregen und einen momentanen Glauben an etwas Übermenschliches aufkommen lassen.

      Auf einmal erhob sich der Unbekannte, öffnete ein Fenster und sah in die klare Winterluft hinaus, indem er sagte: »Noch eine kurze Weile, so ist der Sand verlaufen, hoch emporgehalten schwebt der Faden der Zeit. Kommt hieher und fühlet, wie es schon frisch herüberduftet aus der nahen Zukunft!«

      Jetzt schlug das letzte Viertel vor zwölf Uhr. Die Zinkenisten schlichen mit ihren Instrumenten auf die Galerie, und schon ließen sich von der entfernten Paulskirche herüber einige sanfte, fast klagende Töne vernehmen, die von unserer Seite anfänglich in schwachen, dann in immer stärkeren Akkorden erwidert wurden; jene bezeichneten das scheidende, diese das erwachende Jahr, und beide begegneten sich in einer Art von Wechselgesang, der am lebhaftesten wurde, als endlich die Glocken von verschiedenen Seiten her die Stunde ausschlugen; die diesseitige Partie ging in freudige Melodien über, während es von drüben immer schmerzlicher und wehmütiger klang, bis mit dem fernsten Glöckchen, das wie silbern durch die reine Luft erzitterte, die traurigen Klarinetten den letzten sterbenden Hauch versandten. Nun erfolgte eine Pause, und jetzt erst trat das vorhandene Jahr im siegreichsten Triumphe hervor.

      Nachdem alles still geworden und die Gesellschaft wieder traulich um den Tisch versammelt war, ergriff man das freundliche Anerbieten des idealistischen Wächters, etwas aus seinem Tag-oder Nachtbuch vom vorigen Jahre mitzuteilen, mit allgemeinem Beifalle. Er zog ein mit sonderbaren Charakteren geschriebenes Heft hervor, welches unter regelmäßigen Daten, abgerissene Bemerkungen und Gedanken zu enthalten schien, wie sie ihm auf seinen nächtlichen Wanderungen, auf den Straßen der Städte und Dörfer sich dargeboten haben mochten; charakteristische Bilder aus den verschiedensten Verhältnissen und Zuständen der Menschen. Wir übergehen den größten Teil seiner Vorlesung und führen bloß eine Stelle an, die auf Nolten um so tiefern Eindruck machte, je vielsagender der Blick war, womit Larkens ihn darauf aufmerksam zu machen suchte.

      »Nacht vom 7. auf den 8. Januar im Dorfe.

      – – Ich trete vor ein reinlich gebautes Haus; ich kenne es wohl; es wohnen glückliche Menschen darin. In harmloser Stille blühet hier eine Braut, deren Verlobter ferne lebt. Vergönne mir, du Haus des Friedens, einen Blick in deine Gemächer. Mein Auge ist geheiligt wie das eines Priesters; hundert Jahre schon belauscht es die Nächte der Könige dieses Landes und die Schlummerstätten der Armen im Volk, und meine Gebete erzählen dem Himmel, was ich gesehen. Sieh da! was zeigt mir mein magischer Spiegel? Es ist die Kammer des Mädchens. Wie ruhig atmet die Schlafende dort! Ihr liebliches Haupt ist hinabgesunken nach der Seite des Lagers. Der Mond schaut durch das kleine Fenster; mit einem Strahle berührt er eben das unschuldige Kinn der Schläferin. Eine Hyazinthe neigt ihre blauen Glocken gegen das Kissen her und mischt ihren Duft in die Frühlingsträume der Braut, indes der Winter diese Scheiben mit Eise beblümt. Wo mögen ihre Gedanken jetzo sein? Auf diesem Teppiche sind seltsame Figuren eingewoben, hundert segelnde Schiffe. Vielleicht auf diesen Bildern ruhte ihr sinnendes Auge noch kurz, eh sie die Lampe löschte, nun träumt sie den Geliebten in die wilde See hinaus verschlagen und ihre Stimme kann ihn nicht erreichen. O besser, daß er in die Tiefe des Meeres versänke, als daß du ihn treulos fändest, gutes Kind! Aber du lächelst ja auf einmal so selig, träumst ihn im Arme zu halten, seinen Kuß zu fühlen. Vielleicht in dem Augenblicke, da du mit seinem Schatten spielest, sucht er wachend ein verbotenes Glück und treibt schändlichen Verrat mit deiner Liebe. Aber immer noch seh ich dich freundlich; du arglose Seele, ach wohl, es ist auch unerhört und fast unglaublich; was sucht er denn, das er bei dir nicht fände? Schönheit und Jugendreiz? ich weiß nicht, was die Sterblichen so nennen, aber hier darf selbst der Himmel wohlgefällig über seine Schöpfung lächeln. Verstand und Geist? O schlüge sich dies Auge auf! aus seiner dunkelblauen Tiefe leuchtet mit Kindesblick die Ahnung jedes höchsten Gedankens. Wie, oder Frömmigkeit? die Frage klingt wie Spott auf ihn. Ihr bescheidnen Wände zeuget, wie oft ihr sie habt knieen sehn im brünstigen Gebet, wenn alles rundum schlief! – – Bist ernst geworden, mein Töchterchen; wie seltsam wechselt dein Traum! Ach, nur zu bald wirst du weinen. Gott helfe dir. Gute Nacht.«

      Dies war die auffallende Stelle, die Nolten mit heimlichem Unmute gegen Larkens anhörte, denn nun zweifelte er nicht mehr, daß dieser das Ganze veranstaltet hatte. Was noch weiter aus dem Hefte vorgetragen wurde, war ohne besondere Beziehung, und der Vorleser hörte eben zur rechten Zeit auf, als die Ungeduld Noltens am höchsten war. Der letztere konnte kaum erwarten, bis man auseinanderging und er Gelegenheit fand, dem Larkens einige Worte zuzuflüstern, die ihm wenigstens andeuten sollten, wie wenig jener Wink am Platze gewesen. »Ich danke dir«, sagte er mit beleidigtem Tone, indem sie die Treppen des Turmes hinabstiegen, »ich danke dir für deine wohlgemeinte Zurechtweisung in einer Sache, worin ich übrigens füglich mein eigener Richter sein könnte. Ich habe mich dir schon früher im allgemeinen darüber erklärt, du scheinst mich aber nicht verstanden zu haben. Verlang es; und ich will mich weitläufiger vor dir rechtfertigen.«

      »Fürs erste«, antwortete der Freund halb lächelnd, »berg ich dir meine Freude darüber keineswegs, daß du meinen versteckten Ausfall auf dein Gewissen nicht spaßhaft aufgenommen, so seltsam auch die Komödie war; aber es täte mir auf der andern Seite ebenso leid, wenn du einen Popanz oder selbstgefälligen Sittenrichter in mir erblicken wolltest. Niemand würde sich mit weniger Recht hiezu aufwerfen, als ich, der ich selber erst vor kurzem dem Teufel entlaufen bin und drei Viertel meines Seelenheils an ihn verloren habe; aber ich schwör ihm auch das letzte teure Restchen vollends zu, wenn ich daran lügen sollte, daß ein uneigennützig Mitleid mit jenem liebenswürdigen Geschöpfe, ja mit euch beiden, mich zwinge, alles aufzubieten, was deine unselige Entfremdung von dem Mädchen hintertreiben kann.«

      »Gut, wir sprechen uns bald mehr darüber«, sagte Nolten, und wollte ihm freundlich die Hand drücken, was jedoch Larkens nach seiner Art schnell abtat, weil ihn der geringste Anschein von Sentiment zwischen Freunden immer verlegen und ärgerlich machte.

      Nachdem man die beiden auswärtigen Freunde bis zu ihrem Quartiere begleitet und die nächste Zusammenkunft abgeredet hatte, gingen die andern, welche in einem Hause und auf demselben Boden wohnten, ziemlich einsilbig ihre gemeinschaftliche Straße.

      Unser Maler fand zwischen den eigenen Wänden jene Wohltat ungestörter Einsamkeit, nach welcher er sich vor wenigen Minuten so ungeduldig hingedrängt hatte, keineswegs. Die Eindrücke dieser letzten Stunden waren zu mannigfaltig, zu mächtig, zu entgegengesetzt, als daß er hoffen konnte, sie zu ordnen, sich ihrer mit Vernunft zu bemeistern. Er schickte den Bedienten, der ihn auskleiden sollte, zu Bette, und saß eine Weile unschlüssig, den Kopf in die Hand gestützt, den Blick auf die ruhige Flamme der vor ihm brennenden Kerze geheftet. Erst der Anblick jenes unwillkommenen Briefs (er lag noch uneröffnet auf dem Tische) schien seinem Unmut, seinem Grame eine entschiedene Gestalt zu geben. »Oh!« brach er aus, »muß heute sich alles herzudrängen, mich zu peinigen? soll ich nicht zu mir selbst kommen? Was kann sie wollen mit dem Briefe? muß sie nicht fühlen, wir sind getrennt auf immer, muß sie’s nicht? Ja, wenn dies wirklich der Inhalt dieses Blattes wäre! Könnt ich’s nur ahnen aus den Zügen dieser Aufschrift! Doch, die sind treu und gut, und blicken schmeichelhaft wie in den glücklichen Tagen – Nein, nein, ich wag es nicht, dies Siegel zu erbrechen.«

      Er stand plötzlich auf und suchte die Gesellschaft des Freundes. Zu seinem Troste traf er ihn noch wach am Kamine sitzend und nicht minder geneigt, die wenigen Stunden bis zum Tagesanbruch vollends in vertrautem Gespräche zuzubringen. »Recht, daß du kommst!« hieß es, »du triffst mich mit ernsthaften Betrachtungen über dich beschäftigt. Es wäre gar schön von dir, wolltest du mich jetzt ein wenig tiefer in deine Karten schauen lassen, denn nach dem, was du heute gemunkelt, sollte man ja beinahe glauben, daß deine Erkältung gegen Agnes noch ihre absonderlichen Ursachen habe, wiewohl ich immer bloß die Symptome eines ganz ordinären Liebesfrosts


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