Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band). Eduard Morike

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Eduard Mörike: Märchen, Erzählungen, Briefe, Bühnenwerke & Gedichte (Über 360 Titel in einem Band) - Eduard  Morike


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dies nur um Noltens willen, damit er künftig doch wenigstens ein Vergnügen von ihr haben möge. »Ich bin ein gar zu bäurisches einfältiges Geschöpf, und solch ein Mann! O werden wir denn auch jemals füreinander taugen?« Und wollte man sie nun beruhigen, setzte der Vater den schlichten treuen Sinn des Bräutigams recht faßlich auseinander, so konnte sie nur um desto heftiger ausrufen: »Das ist eben der Jammer, daß er sich selber so betrügt! ihr alle betrügt euch, und ich mich selbst in mancher törichten Viertelstunde. Meint ihr denn, wie er im vorigen Herbste da war, ich hätte nicht gemerkt, daß er oft Langeweile bei mir hatte, daß ihn etwas beengte, stocken machte? Seht, wenn er bei mir saß, mir seine Hand hinhielt und ich verstummte, nichts in der Welt begehrte, als ihm nur immer in die Augen zu sehn, dann lächelt’ er wohl – ach, und wie lieb, wie treulich! nein, das macht ihm kein anderer nach! Und hab ich dann nicht oft, mitten in der hellen Freude, bestürzt mich weggewandt und das Gesicht mit beiden Händen zugedeckt, geweint und ihm verhehlt, was eben an mich kam? – ach, denn ich fürchtete, er könnte mir im stillen rechtgeben, ich wollt ihm nicht selber draufhelfen, wie ungleich wir uns seien, wie übel er im Grunde mit mir beraten sei.« So fuhr sie eine Zeitlang fort und endete zuletzt mit bittern Tränen; dann konnte es geschehn, daß sie sich schnell zusammennahm, gleichsam gegen den Strom ihres Gefühls zu schwimmen strebte, und mit dem Ton des liebenswürdigsten Stolzes fing das schöne Kind nun an, sich zu rechtfertigen, sich zu vergleichen; die blasse Wange färbte sich ein wenig, ihr Auge leuchtete, es war der rührendste Streit von leidender Demut und edlem Selbstbewußtsein.

      Diese sonderbare Unzufriedenheit, ja dies Verzweifeln an allem eigenen Werte fiel desto stärker auf, da Theobald in der Tat nicht die geringste Ursache zu dergleichen gegeben, man auch früher kaum die Spur von einer solchen Ängstlichkeit an ihr entdeckte. Jetzt ward es freilich aus manchen ihrer Äußerungen klar, daß sie schon in gesunden Tagen diese Sorge heimlich genährt und wieder unterdrückt hatte, daß ein krankes Gefühl, das von jenem Nervenübel bei ihr zurückgeblieben war, sich mit Gewalt auf den verletzbarsten Teil des zarten Gemütes geworfen haben müsse.

      Damit wir jedoch sogleich über das Ganze ein hinreichendes Licht verbreiten, sind wir die Erzählung einer Tatsache schuldig, welche jenen Symptomen von Schwermut vorausging, und wodurch das, was vielleicht nur vorübergehende Grille war, eine weit schwierigere Gestalt annahm.

      Zwei Wochen, nachdem Agnes vom Krankenlager freigesprochen war, hatte sie vom Arzte die Erlaubnis erhalten, zum erstenmal wieder die freie Luft zu kosten. Es war an jenem Tage eben ein weitläuftiger Verwandter, dessen eigentliche Bekanntschaft man jetzt erst machte, im Hause gegenwärtig; der junge Mann war seit kurzem in der benachbarten Stadt bei der Landesvermessung angestellt und bei dem Förster ein um so willkommnerer Gast, als er neben einem angenehmen Äußern manches schöne gesellige Talent bewies. Man speiste fröhlich zu Mittag und Agnes durfte den Vetter Otto nach Tisch beim wärmsten Sonnenschein eine Strecke gegen die Stadt hin begleiten. Das Mädchen, wie neugeboren unterm offenen Himmel, genoß ganz das erhebende Vergnügen neugeschenkter Gesundheit, das sich mit nichts vergleichen läßt; sie sprach wenig, eine stille, gegen Gott gewendete Freude schien ihr den Mund zu verschließen und ihren Fuß im leichten Gang vom Boden aufzuheben; ihr war, als sei ihr Inneres nur Licht und Sonne; ein deutliches Gefühl von körperlicher Kraft schien sich mit einem kleinen Rest von Schwäche angenehm bei ihr zu mischen; sie kehrte früher um und nahm Abschied von Otto, damit sie völlig ungestört sich dem Überflusse des Entzückens und des Dankens hingeben könne.

      Ihr Weg führte sie durch ein Birkenwäldchen, bei dessen letzten Büschen sie eine Zigeunerin allein am Rasen sitzen fand, eine Person von ansprechendem und trotz ihres gesetzten Alters noch immer von jungfräulichem Aussehen. Man grüßt sich, Agnes geht weiter, und hat kaum fünfzehn Schritte zurückgelegt, als sie bereuet, die Unbekannte nicht angeredet zu haben, deren ganzes Wesen und freundlich bedeutender Blick doch sogleich den größten Eindruck auf sie gemacht hatte. Sie besinnt sich, sie lenkt um und eine Unterredung wird angeknüpft. Nach einer Weile, während der man gleichgültige Dinge gesprochen, pflückt das braune Mädchen gleichsam spielend einige Gräser, knüpft sie in eine regelmäßige Figur zusammen, löst sodann kopfschüttelnd den einen oder andern Knoten wieder auf und sagt: »Setzt Euch zu mir. – Der Herr, dem Ihr da vorhin ausgefolgt, ist Euer Schatz zwar nicht, doch denkt an mich, er wird es werden.«

      Agnes, obgleich etwas betreten, scherzt anfangs über eine so unglaubliche Prophezeiung, verwickelt sich aber immer angelegentlicher und hastiger ins Gespräch, und da die Äußerungen und Fragen der Fremden eine ganz unbegreifliche Bekanntschaft mit den eigentlichen Verhältnissen der Braut vorauszusetzen scheinen, so kommt sie den Worten der Zigeunerin unvermerkt entgegen. Das gutmütige Benehmen derselben entfernt zugleich fast jedes Mißtrauen bei Agnesen. Wie schmerzhaft aber und wie unvermutet wird ihr geheimstes Herz mit einem Male aufgedeckt, da sie aus jenem ahnungsvollen Munde unter andern die Worte vernimmt: »Was Euern jetzigen Verlobten anbelangt, so wär es grausam Unrecht, Euch zu verbergen, daß ihr auch allerdings nicht geboren seid füreinander. Seht hier die schiefe Linie! das ist verwünscht; stimmt doch das Ganze sonst gar hübsch zusammen! Aber die Geister necken sich und machen Krieg mit den Herzen, die freilich jetzt noch fest zusammenhalten. Ei närrisch, närrisch! mir kam so was noch wenig vor.«

      Agnes fand Sinn in diesen dunkeln Reden, denn sie erklärten ihr nur ihre eigene Furcht. »Wie?« sagte sie leise und starrte lange denkend in den Schoß, »so ist’s – so ist’s! ja Ihr habt recht.«

      »Nicht ich, mein Töchterchen, nur Stern und Gras behalten recht. Vergib, daß ich die Wahrheit sagte; aber Wermut kann auch Arznei sein, und sei versichert, Zeit bringt Rosen.«

      Hier stand die Fremde auf. Agnes, im Innern wie gelähmt und an den Gliedern wie gebunden, vermochte kaum sich zu erheben, sie hatte nicht den Mut, die Augen aufzuschlagen, es war ihr leid, daß sie verriet, wie sehr sie sich getroffen fühlte. Und doch, indem sie aufs neue in das Gesicht der Unbekannten sah, glaubte sie etwas unbeschreiblich Hohes, Vertrauenerweckendes, ja Längstbekanntes zu entdecken, in dessen seelenvollem Anblicke der Geist sich von der Last des gegenwärtigen Schmerzens befreie, ja selbst die Angst der Zukunft überwinde.

      »Behüt dich Gott, mein Täubchen! und hab immerhin guten Mut. Läßt dich die Liebe mit einer Hand los, so faßt sie dich gleich wieder mit der andern. Und stoße nur dein neues Glück nicht eigensinnig von dir; es ist gefährlich, dem Gestirn Trotz bieten. Nun noch das letzte: bevor ein Jahr um ist, wirst du niemand verraten, was ich dir gesagt; es möchte schlimm ausfallen, hörst du wohl?«

      Dies letztere hatte die Zigeunerin mit besonderem Nachdrucke gesprochen. Aufs äußerste ergriffen dankte das Mädchen beim Abschiede und reichte der Fremden ein feines Tuch zum Angedenken hin.

      Agnes war allein und vermochte kaum sich selber wiederzuerkennen; sie glaubte einer fremden, entsetzlichen Macht anzugehören, sie hatte etwas erfahren, was sie nicht wissen sollte, sie hatte eine Frucht gekostet, die unreif von dem Baume des Schicksals abgerissen, nur Unheil und Verzweiflung bringen müsse. Ihr Busen stritt mit hundertfältigen Entschlüssen und ihre Phantasie stand im Begriffe, den Rand zu übersteigen. Sie hätte sterben mögen, oder sollte Gott ihrer Neugierde verzeihen und schnell das fürchterliche Bewußtsein jener Worte von ihr nehmen, die sich wie Feuer immer tiefer in ihre Seele gruben, und deren Wahrheit sie nicht umstoßen konnte.

      Erschöpft kam sie nach Hause und legte sich sogleich mit einem starken Froste; der Alte befürchtete einen Rückfall in das kürzlich erst besiegte Übel, allein vom wahren Grunde ihres Zustandes kam keine Silbe über ihre Lippen. Sie ließ sich ältere und neuere Briefe Theobalds aufs Bette bringen, aber statt des gehofften Trostes fand sie beinahe das Gegenteil; das liebevollste Wort, die zärtlichsten Versicherungen, schon gleichsam angeweht vom vergiftenden Hauche der Zukunft, betrachtete sie mit Wehmut, wie man getrocknete Blumen betrachtet, die wir als Zeichen vergangener schöner Augenblicke aufbewahrten: ihr Wohlgeruch ist weg und bald wird jede Farbenspur daran verbleichen.

      Dergleichen traurige Ahnungen erfüllten sie mit desto ungeduldigerem Schmerz, je mehr sie Theobalden noch in dem vollen Irrtum seiner Liebe befangen denken mußte – in einem Irrtum, den sie nicht länger mit ihm teilen durfte noch wollte, der ihr abscheulich und beneidenswert zugleich vorkam.

      Jener Fieberanfall ging indes vorüber und außer einer gewissen Überspannung


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