Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse Autoren
Читать онлайн книгу.Ingrid nicht so erschöpft gewesen, hätte sie vielleicht die nächste Frage unterdrückt. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Doch wer kann das wissen? Sekunden entscheiden oft über ein Leben, leiten es auf einen Weg, der ins Unglück führt.
Ingrid setzte sich, weil ihre Knie auf einmal so sehr zitterten, daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Deutlich sah sie wieder dieses Mädchen durch die Glasscheibe auf sich zukommen, dachte daran, wie entwürdigend es gewesen war, daß sie sich hatte verstecken müssen. Sie hörte wieder die Stimme ihrer Rivalin und dann diese Stille, die angefüllt war mit der leidenschaftlichen Begrüßung zwischen der anderen und ihrem Mann.
»Guido, ich war noch in deinem Münchner Haus, als dieses Mädchen kam. Daß es einen Wohnungsschlüssel hat, sagt mir genug. Sie ist deine Geliebte, nicht wahr? Wer ist sie?«
»Von wem sprichst du nur?« Guido spielte den Erstaunten. Dabei dachte er, verdammt, also war Ingrid damals doch noch im Haus.
»Das weißt du ganz genau, Guido. Du brauchst mich nicht anzulügen. Ich hatte meinen Wecker vergessen und bin noch einmal zu meinem Zimmer hinaufgelaufen, um ihn zu holen. Als ich gehen wollte, kam dieses Mädchen auf das Haus zu. Als es die Tür von außen aufschloß, verbarg ich mich hinter der Portiere im Flur. Auf diese Weise habe ich…«
»Mein Gott, du meinst Pia. Die habe ich bereits ganz vergessen. Sie war eine Klientin von mir, männertoll und darauf aus, mich einzuwickeln. Denn es stellte sich heraus, daß sie kein Geld hatte, um mich zu bezahlen.«
»Pia heißt sie also.«
»Ich habe mir den Namen deshalb so gut gemerkt, weil er sehr selten ist. Den Nachnamen habe ich vergessen.« Er lachte leicht verlegen. »Ingrid, du kennst mich doch. In manchen Dingen bin ich wie die meisten Durchschnittsmänner. Zugegeben, sie war sehr hübsch und hatte etwas an sich, was in mir wie in jedem Mann den Beschützerinstinkt weckte. Ich habe sie einmal zum Abendessen eingeladen. Wir haben viel getrunken, und als ich sie heimbrachte, habe ich sie geküßt. Sie hatte jedoch geglaubt, ich sei ein freier Mann, eine sogenannte gute Partie. Als sie dann erfuhr, daß ich glücklicher Ehemann und Vater von zwei Kindern bin, wurde sie vernünftig.« Er lächelte und griff nach Ingrids Hand, die wie leblos auf der Sessellehne lag. »Ingrid, du brauchst einen Kaffee. Du siehst so aus, als würdest du jeden Augenblick ohnmächtig werden.« Er setzte sich auf die Sessellehne, berührte ihr Haar mit seinen Lippen. »Weißt du, was dir guttun wird? Ein heißes Bad und danach das Bett.«
Ein süßer Schauer lief ihr über den Rücken, als er sie zu streicheln begann und dann ihren Mund suchte. »Ach, Guido«, flüsterte sie. »Dabei hatte ich mir die schlimmsten Gedanken über dieses Mädchen gemacht. Ist das, was du mir erzählt hast, auch wahr?« fragte sie wie ein schüchternes kleines Mädchen.
»Ja, Ingrid, bestimmt«, schwor er und hob seine rechte Hand.
Sie wollte ihm glauben, denn sie wollte ihn ja behalten. Auch wollte sie ihren Kindern den Vater erhalten.
Neue Hoffnung erwachte in ihr. Sie war auf einmal ganz sicher, daß Guido zu ihr und seinen Kindern zurückgekehrt sei.
Guido verliebte sich tatsächlich
wieder in seine Frau. Noch am glei-chen Tag fuhr er mit ihr nach Sophienlust, um Kuni und Mathias zu besuchen, die ihren Vater fassungslos anblickten.
Guido fühlte sich seltsam leicht, als er seine Familie zum Mittagessen in ein hübsches Lokal in der Nähe von Bachenau führte. Obzwar Ingrid in der Nacht kein Auge zugemacht hatte, war sie ganz wach. Sie erlebte dieses so lang entbehrte Glück voll und ganz mit.
Kuni und Mathias wollten am Nachmittag durchaus mit nach Maibach fahren. Doch Guido wehrte ab.
»Ihr müßt vernünftig sein«, meinte er. »Mutti und ich haben noch viel zu erledigen. Aber es wird nun nicht mehr lange dauern, bis wir alle wieder beisammen sind.«
»Wirklich? Uns gefällt es zwar sehr in Sophienlust«, bekannte Kuni, »aber am schönsten ist es doch daheim.«
»Ja, so ist es«, stimmte Ingrid ihr bei und suchte Guidos Blick, den er zärtlich erwiderte.
Später dann kehrten Ingrid und Guido in die Wohnung zurück. Nun erst fiel ihr ein, daß sie ja um acht wieder im Krankenhaus sein mußte.
»Geh nur, Ingrid«, sagte er. »Ich warte auf dich.«
»Vielleicht finde ich eine Vertretung«, überlegte sie, denn sie wollte mit Guido beisammenbleiben, wollte endlich wieder in seinen Armen liegen.
Guido jedoch meinte, es sei besser, sie versuche erst gar nicht, eine Vertretung zu bekommen. »Dafür hast du morgen den ganzen Tag frei«, erklärte er. »Dieser Tag gehört uns beiden ganz allein. Leider muß ich aber morgen abend wieder nach München zurückfahren. Meine Anwaltspraxis beginnt zu blühen.« Diese Lüge kam ihm glatt über die Lippen.
Als er dann allein war, dachte er an die verjubelte Erbschaft und an das Haus, das ihm auch nicht mehr lange gehören würde. Er wußte, den ganzen Tag hatte er sich selbst etwas vorgemacht. Er mußte auf schnelle Weise zu Geld kommen, wenn er endlich ein solides Leben beginnen wollte.
Aber ihm fehlte ganz einfach der Mut, Ingrid im Krankenhaus aufzusuchen. Obwohl er schon weit herabgesunken war, brachte er es doch nicht übers Herz, seine Frau in seine schmutzigen Machenschaften mit hineinzuziehen. Sicher würde Pia das einsehen. Ja, er wollte wirklich alles tun, um die Anwaltspraxis zu erhalten. Dann würde es auch eine gemeinsame Zukunft für seine Familie und ihn geben.
Mit diesem guten Vorsatz legte Guido sich an diesem Abend nieder. Doch schon am nächsten Tag wurde er wieder anderen Sinnes.
Ingrid kam erschöpft nach Hause. Sie war völlig am Ende mit ihren Nerven. Die ganze Nacht hatte sie sich im stillen mit ihrem Mann und dieser Pia, seiner angeblichen Klientin, beschäftigt. Mehr und mehr war sie zu der Überzeugung gekommen, daß Guido sie schamlos belogen hatte und daß die beiden noch immer beisammen waren. Ihr war auch klargeworden, daß es klüger wäre, dieses heikle Thema nicht mehr zur Sprache zu bringen. Doch sie brachte einfach nicht die Kraft auf, über den Dingen zu stehen. So brachte sie eine Lawine ins Rollen, die nicht mehr zu bremsen war.
Guido entging Ingrids bedrücktes Wesen natürlich nicht. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?« fragte er leicht gereizt.
»Ich habe die ganze Nacht nachdenken müssen.«
»Worüber? Na ja, ich kann es mir schon denken«, entfuhr es ihm.
»Ja, ich bin überzeugt, daß du mich gestern belogen hast.«
»Blödsinn!« Guido wäre am liebsten sofort abgereist. Eifersuchtsszenen waren ihm zuwider. Aber er blieb ruhig, denn er dachte an das Morphium, das er nur durch Ingrid bekommen konnte. Denn nun war er fest entschlossen, alles zu unternehmen, um für Pia und sich eine neue Zukunft aufzubauen. Dazu aber brauchte er Geld, viel Geld.
Ingrid sank auf die Couch und schlug die Hände vors Gesicht. Zwischen ihren Fingern rannen Tränen hervor. Das war ein Anblick, der Guidos ganze Beherrschung erforderte. Weinende Frauen waren ihm ein Greuel. Darum liebte er auch Pia. Bisher hatte er sie noch kein einziges Mal weinen sehen.
Guidos Entscheidung war damit gefallen. Er würde Ingrid und die Kinder verlassen, um bei Pia zu bleiben. Doch im Augenblick mußte er noch den liebenden, verständnisvollen Ehemann spielen, mußte er Ingrids Vertrauen gewinnen und sie versöhnlich stim-
men.
»Ingrid, du mußt mir glauben. Pia hat mir nie etwas bedeutet. Nimm doch diese unbedeutende Episode nicht so tragisch. Ich liebe nur dich. Glaub’ mir das.«
Seine Stimme klang samtweich bei dieser Beteuerung. Als er Ingrid nun auch noch sanft die Hände vom Gesicht fortzog, warf sie ihre Arme um seinen Nacken und schmiegte sich aufschluchzend an ihn. »Verzeih mir« murmelte sie. »Ich bin ganz einfach fertig. Praktisch gesehen habe ich zwei Nächte und einen Tag kaum ein Auge geschlossen.«
»Du legst dich jetzt nieder, Ingrid. Ich bereite uns ein kräftiges Frühstück zu. Du weißt doch, daß ich einen sehr guten Kaffee