Reden an die deutsche Nation. Johann Gottlieb Fichte

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Reden an die deutsche Nation - Johann Gottlieb Fichte


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die Entfaltungen und Gestaltungen desselben in einem weissagenden Gesichte vor ihr vorüber gehen. In diese Anschauung hinein wird ihr denn ohne Zweifel auch das Bild ihres bisherigen Lebens versinken, und verschwinden, und der Tote wird ohne übermäßiges Wehklagen zu seiner Ruhestätte gebracht werden können.

       Vom Wesen der neuen Erziehung im allgemeinen.

       Inhaltsverzeichnis

      Das von mir vorgeschlagene Erhaltungsmittel einer deutschen Nation überhaupt, zu dessen klarer Einsicht diese Reden zunächst Sie, und nebst Ihnen die ganze Nation führen möchten, geht als ein solches Mittel hervor aus der Beschaffenheit der Zeit, sowie der deutschen Nationaleigentümlichkeiten, so wie dieses Mittel wiederum eingreifen soll in Zeit und Bildung der Nationaleigentümlichkeiten. Es ist somit dieses Mittel nicht eher vollkommen klar und verständlich gemacht, als bis es mit diesen, und diese mit ihm zusammen gehalten, und beide in vollkommener gegenseitiger Durchdringung dargestellt sind, welche Geschäfte einige Zeit erfordern, und so die vollkommene Klarheit nur am Ende unsrer Reden zu erwarten ist. Da wir jedoch bei irgendeinem einzelnen Teile anfangen müssen, so wird es am zweckmäßigsten sein, zuförderst jenes Mittel selbst, abgesondert von seinen Umgebungen in Zeit und Raum, für sich in seinem innern Wesen zu betrachten, und so soll denn diesem Geschäfte unsre heutige und nächstfolgende Rede gewidmet sein.

      Das angegebene Mittel war eine durchaus neue, und vorher noch nie also bei irgendeiner Nation dagewesene Nationalerziehung der Deutschen. Diese neue Erziehung wurde schon in der vorigen Rede zur Unterscheidung von der bisher üblichen also bezeichnet: die bisherige Erziehung habe zu guter Ordnung und Sittlichkeit höchstens nur ermahnt, aber diese Ermahnungen seien unfruchtbar gewesen für das wirkliche Leben, welches nach ganz andern, dieser Erziehung durchaus unzugänglichen Gründen sich gebildet habe. Im Gegensatze mit dieser müsse die neue Erziehung die wirkliche Lebensregung und -bewegung ihrer Zöglinge, nach Regeln sicher und unfehlbar bilden, und bestimmen können.

      So nun etwa hierauf jemand also gesagt hätte, wie denn auch wirklich diejenigen, welche die bisherige Erziehung leiten, fast ohne Ausnahme also sagen: Wie könnte man denn auch irgendeiner Erziehung mehr anmuten, als daß sie dem Zöglinge das Recht zeige, und ihn getreulich zu denselben anmahne; ob er diesen Ermahnungen folgen wolle, das sei seine eigne Sache, und wenn er es nicht tue, seine eigne Schuld; er habe freien Willen, den keine Erziehung ihm nehmen könne: so würde ich hierauf, um die von mir gedachte Erziehung noch schärfer zu bezeichnen, antworten: daß gerade in diesem Anerkennen, und in diesem Rechnen auf einen freien Willen des Zöglings der erste Irrtum der bisherigen Erziehung, und das deutliche Bekenntnis ihrer Ohnmacht und Nichtigkeit liege. Denn indem sie bekennt, daß nach aller ihrer kräftigsten Wirksamkeit der Wille dennoch frei, d. i. unentschieden schwankend zwischen Gutem und Bösem bleibe, bekennt sie, daß sie den Willen, und da dieser die eigentliche Grundwurzel des Menschen selbst ist, den Menschen selbst zu bilden durchaus weder vermöge, noch wolle oder begehre, und daß sie dies überhaupt für unmöglich halte. Dagegen würde die neue Erziehung gerade darin bestehen müssen, daß sie auf dem Boden, dessen Bearbeitung sie übernehme, die Freiheit des Willens gänzlich vernichtete, und dagegen strenge Notwendigkeit der Entschließungen, um die Unmöglichkeit des entgegengesetzten in dem Willen hervorbrächte, auf welchem Willen man nunmehr sicher rechnen und auf ihn sich verlassen könnte.

      Alle Bildung strebt an, die Hervorbringung eines festen bestimmten und beharrlichen Seins, das nun nicht mehr wird, sondern ist, und nicht anders sein kann, denn so wie es ist. Strebte sie nicht an ein solches Sein, so wäre sie nicht Bildung, sondern irgendein zweckloses Spiel; hätte sie ein solches Sein nicht hervorgebracht, so wäre sie eben noch nicht vollendet. Wer sich noch ermahnen muß, und ermahnt werden, das Gute zu wollen, der hat noch kein bestimmtes und stets bereitstehendes Wollen, sondern er will sich dieses erst jedesmal im Falle des Gebrauches machen; wer ein solches festes Wollen hat, der will, was er will, für alle Ewigkeit, und er kann in keinem möglichen Falle anders wollen, denn also, wie er eben immer will; für ihn ist die Freiheit des Willens vernichtet und aufgegangen in der Notwendigkeit. Dadurch eben hat die bisherige Zeit gezeigt, daß sie von Bildung zum Menschen weder einen rechten Begriff, noch die Kraft hatte, diesen Begriff darzustellen, daß sie durch ermahnende Predigten die Menschen bessern wollte, und verdrießlich ward und schalt, wenn diese Predigten nichts fruchteten. Wie konnten sie doch fruchten? Der Wille des Menschen hat schon vor der Ermahnung vorher, und unabhängig von ihr, seine feste Richtung; stimmt diese zusammen mit deiner Ermahnung, so kommt die Ermahnung zu spät, und der Mensch hätte auch ohne dieselbe getan, wozu du ihn ermahntest, steht sie mit derselben im Widerspruche, so magst du ihn höchstens einige Augenblicke betäuben; wie die Gelegenheit kommt, vergißt er sich selbst und deine Ermahnung, und folgt seinem natürlichen Hange. Willst du etwas über ihn vermögen, so mußt du mehr tun, als ihn bloß anreden, du mußt ihn machen, ihn also machen, daß er gar nicht anders wollen könne, als du willst, daß er wolle. Es ist vergebens zu sagen, fliege — dem der keine Flügel hat, und er wird durch alle deine Ermahnungen nie zwei Schritte über den Boden empor kommen; aber entwickle, wenn du kannst, seine geistigen Schwungfedern, und lasse ihn dieselben üben und kräftig machen, und er wird ohne alle dein Ermahnen gar nicht anders mehr wollen oder können, denn fliegen.

      Diesen festen und nicht weiter schwankenden Willen muß die neue Erziehung hervorbringen nach einer sichern, und ohne Ausnahme wirksamen Regel; sie muß selber mit Notwendigkeit erzeugen die Notwendigkeit, die sie beabsichtiget. Was bisher gut geworden ist, ist gut geworden durch seine natürliche Anlage, durch welche die Einwirkung der schlechten Umgebung überwogen wurde; keineswegs aber durch die Erziehung, denn sonst hätte alles durch dieselbe hindurch gegangene gut werden müssen: was da verdarb, verdarb ebensowenig durch die Erziehung, denn sonst hätte alles durch sie hindurchgehende verderben müssen, sondern durch sich selber und seine natürliche Anlage; die Erziehung war in dieser Rücksicht nur nichtig, keineswegs verderblich, das eigentliche bildende Mittel war die geistige Natur. Aus den Händen dieser dunklen, und nicht zu berechnenden Kraft nun soll hinfür die Bildung zum Menschen unter die Botmäßigkeit einer besonnenen Kunst gebracht werden, die an allem ohne Ausnahme, was ihr anvertraut wird, ihren Zweck sicher erreiche, oder, wo sie ihn etwa nicht erreichte, wenigstens weiß, daß sie ihn nicht erreicht hat, und daß somit die Erziehung noch nicht geschlossen ist. Eine sichere und besonnene Kunst, einen festen und unfehlbaren guten Willen im Menschen zu bilden, soll also die von mir vorgeschlagene Erziehung sein, und dieses ist ihr erstes Merkmal.

      Weiter — der Mensch kann nur dasjenige wollen, was er liebt; seine Liebe ist der einzige, zugleich auch der unfehlbare Antrieb seines Wollens und aller seiner Lebensregung und -bewegung. Die bisherige Staatskunst, als die Erziehung des gesellschaftlichen Menschen, setzte als sichere und ohne Ausnahme geltende Regel voraus, daß jedermann sein eignes sinnliches Wohlsein liebe und wolle, und sie knüpfte an diese natürliche Liebe durch Furcht und Hoffnung künstlich den guten Willen, den sie wollte, das Interesse für das gemeine Wesen. Abgerechnet, daß bei dieser Erziehungsweise der äußerlich zum unschädlichen oder brauchbaren Bürger gewordene dennoch innerlich ein schlechter Mensch bleibt, denn darin eben besteht die Schlechtigkeit, daß man nur sein sinnliches Wohlsein liebe, und nur durch Furcht oder Hoffnung für dieses, sei es nun im gegenwärtigen, oder in einem künftigen Leben bewegt werden könne; — dieses abgerechnet, haben wir schon oben ersehen, daß diese Maßregel für uns nicht mehr anwendbar ist, indem Furcht und Hoffnung nicht mehr für uns, sondern gegen uns dienen, und die sinnliche Selbstliebe auf keine Weise in unsern Vorteil gezogen werden kann. Wir sind daher sogar durch die Not gedrungen, innerlich und im Grunde gute Menschen bilden zu wollen, indem nur in solchen die deutsche Nation noch fortdauern kann, durch schlechte aber notwendig mit dem Auslande zusammenfließt. Wir müssen darum an die Stelle jener Selbstliebe, an welche nichts Gutes für uns sich länger knüpfen läßt, eine andre Liebe, die unmittelbar auf das Gute, schlechtweg als solches, und um sein selbst willen gehe, in den Gemütern aller, die wir zu unsrer Nation rechnen, setzen und begründen.

      Die Liebe für das Gute schlechtweg als solches, und nicht etwa um seiner Nützlichkeit willen für uns selber, trägt, wie wir schon ersehen haben, die Gestalt des Wohlgefallens an demselben: eines so innigen Wohlgefallens,


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