Reden an die deutsche Nation. Johann Gottlieb Fichte

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Reden an die deutsche Nation - Johann Gottlieb Fichte


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unwandelbares Sein ihres Zöglings hervorbringen müßte; worauf denn dieses Wohlgefallen durch sich selbst den unwandelbar guten Willen desselben Zöglings als notwendig begründen würde.

      Ein Wohlgefallen, das da treibt einen gewissen Zustand der Dinge, der in der Wirklichkeit nicht vorhanden ist, hervorzubringen in derselben, setzt voraus ein Bild dieses Zustandes, das vor dem wirklichen Sein desselben vorher dem Geiste vorschwebt, und jenes zur Ausführung treibende Wohlgefallen auf sich zieht. Somit setzt dieses Wohlgefallen in der Person, die von ihm ergriffen werden soll, voraus das Vermögen, selbsttätig dergleichen Bilder, die unabhängig seien von der Wirklichkeit, und keineswegs Nachbilder derselben, sondern vielmehr Vorbilder, zu entwerfen. Ich habe jetzt zu allernächst von diesem Vermögen zu sprechen, und ich bitte, während dieser Betrachtung ja nicht zu vergessen, daß ein durch dieses Vermögen hervorgebrachtes Bild eben als bloßes Bild, und als dasjenige, worin wir unsre bildende Kraft fühlen, gefallen könne, ohne doch darum genommen zu werden als Vorbild einer Wirklichkeit, und ohne in dem Grade zu gefallen, daß es zur Ausführung treibe; daß dies letztere ein ganz andres, und unser eigentlicher Zweck ist, von dem wir später zu reden nicht unterlassen werden, jenes nächste aber lediglich die vorläufige Bedingung enthält zur Erreichung des wahren letzten Zwecks der Erziehung.

      Jenes Vermögen, Bilder, die keineswegs bloße Nachbilder der Wirklichkeit seien, sondern die da fähig sind, Vorbilder derselben zu werden, selbsttätig zu entwerfen, wäre das erste, wovon die Bildung des Geschlechts durch die neue Erziehung ausgehen müßte. Selbsttätig zu entwerfen, habe ich gesagt, und also, daß der Zögling durch eigne Kraft sie sich erzeuge, keineswegs etwa, daß er nur fähig werde, das durch die Erziehung ihm hingegebene Bild, leidend aufzufassen, es hinlänglich zu verstehen, und es, also wie es ihm gegeben ist, zu wiederholen, als ob es nur um das Vorhandensein eines solchen Bildes zu tun wäre. Der Grund dieser Forderung der eignen Selbsttätigkeit in diesem Bilden ist folgender: nur unter dieser Bedingung kann das entworfene Bild das tätige Wohlgefallen des Zöglings an sich ziehen. Es ist nämlich ganz etwas andres, sich etwas nur gefallen zu lassen, und nichts dagegen zu haben, dergleichen leidendes Gefallenlassen allein höchstens aus einem leidenden Hingeben entstehen kann; wiederum aber etwas andres, von dem Wohlgefallen an etwas also ergriffen werden, daß dasselbe schöpferisch werde, und alle unsre Kraft zum Bilden anrege. Von dem ersten, das in allewege in der bisherigen Erziehung wohl auch vorkam, sprechen wir nicht, sondern von dem letzten. Dieses letzte Wohlgefallen aber wird allein dadurch angezündet, daß die Selbsttätigkeit des Zöglings zugleich angereizt, und an dem gegebenen Gegenstande ihm offenbar werde, und so dieser Gegenstand nicht bloß für sich, sondern zugleich auch als ein Gegenstand der geistigen Kraftäußerung gefalle, welche letztere unmittelbar, notwendig, und ohne alle Ausnahme wohlgefällt.

      Diese im Zöglinge zu entwickelnde Tätigkeit des geistigen Bildens ist ohne Zweifel eine Tätigkeit nach Regeln, welche Regeln dem Tätigen kundwerden, bis zur Einsicht ihrer einzigen Möglichkeit in unmittelbarer Erfahrung an sich selber; also, diese Tätigkeit bringt hervor Erkenntnis, und zwar allgemeiner und ohne Ausnahme geltender Gesetze. Auch in dem von diesem Punkte aus sich anhebenden freien Fortbilden ist unmöglich, was gegen das Gesetz unternommen wird, und es erfolgt keine Tat, bis das Gesetz befolgt ist; wenn daher auch diese freie Fortbildung anfangs von blinden Versuchen ausginge, so müßte sie doch enden mit erweiterter Erkenntnis des Gesetzes. Diese Bildung ist daher in ihrem letzten Erfolge Bildung des Erkenntnisvermögens des Zöglings, und zwar keineswegs die historische an den stehenden Beschaffenheiten der Dinge, sondern die höhere und philosophische, an den Gesetzen, nach denen eine solche stehende Beschaffenheit der Dinge notwendig wird. Der Zögling lernt.

      Ich setze hinzu: der Zögling lernt gern und mit Lust, und er mag, solange die Spannung der Kraft vorhält, gar nichts lieber tun, denn lernen, denn er ist selbsttätig, indem er lernt, und dazu hat er unmittelbar die allerhöchste Lust. Wir haben hieran ein äußeres, teils unmittelbar ins Auge fallendes, teils untrügliches Kennzeichen der wahren Erziehung gefunden, dies, daß ohne alle Rücksicht auf die Verschiedenheit der natürlichen Anlagen und ohne alle Ausnahme jedweder Zögling, an den diese Erziehung gebracht wird, rein um des Lernens selbst willen, und aus keinem andern Grunde, mit Lust und Liebe lerne. Wir haben das Mittel gefunden, diese reine Liebe zum Lernen anzuzünden, dies, die unmittelbare Selbsttätigkeit des Zöglings anzuregen, und diese zur Grundlage aller Erkenntnis zu machen, also, daß an ihr gelernt werde, was gelernt wird.

      Diese eigne Tätigkeit des Zöglings in irgendeinem uns bekannten Punkte nur erst anzuregen, ist das erste Hauptstück der Kunst. Ist dieses gelungen, so kommt es nur noch darauf an, die angeregte von diesem Punkte aus immer im frischen Leben zu erhalten, welches allein durch regelmäßiges Fortschreiten möglich ist, und wo jeder Fehlgriff der Erziehung auf der Stelle durch Mißlingen des Beabsichtigten sich entdeckt. Wir haben also auch das Band gefunden, wodurch der beabsichtigte Erfolg unabtrennlich angeknüpft wird an die angegebene Wirkungsweise, das ewige und ohne alle Ausnahme waltende Grundgesetz der geistigen Natur des Menschen, daß er geistige Tätigkeit unmittelbar anstrebe.

      Sollte jemand, durch die gewöhnliche Erfahrung unsrer Tage irregeleitet, sogar gegen das Vorhandensein eines solchen Grundgesetzes Zweifel hegen, so merken wir für einen solchen zum Ueberflusse an, daß der Mensch von Natur allerdings bloß sinnlich und selbstsüchtig ist, solange die unmittelbare Not und das gegenwärtige sinnliche Bedürfnis ihn treibt, und daß er durch kein geistiges Bedürfnis, oder irgendeine schonende Rücksicht sich abhalten läßt, dieses zu befriedigen; daß er aber, nachdem nur diesem abgeholfen ist, wenig Neigung hat, das schmerzhafte Bild desselben in seiner Phantasie zu bearbeiten, und es sich gegenwärtig zu erhalten, sondern daß er es weit mehr liebt, den losgebundenen Gedanken auf die freie Betrachtung dessen, was die Aufmerksamkeit seiner Sinne reizt, zu richten, ja daß er auch einen dichterischen Ausflug in ideale Welten gar nicht verschmäht, indem ihm von Natur ein leichter Sinn beiwohnt für das Zeitliche, damit sein Sinn für das Ewige einigen Spielraum zur Entwicklung erhalte. Das letzte wird bewiesen durch die Geschichte aller alten Völker, und die mancherlei Beobachtungen und Entdeckungen, die von ihnen auf uns gekommen sind; es wird bewiesen bis auf unsre Tage durch die Beobachtung der noch übrigen wilden Völker, falls nämlich sie von ihrem Klima nur nicht gar zu stiefmütterlich behandelt werden, und durch die unsrer eignen Kinder; es wird sogar bewiesen durch das freimütige Geständnis unsrer Eiferer gegen Ideale, welche sich beklagen, daß es ein weit verdrießlicheres Geschäft sei, Namen und Jahreszahlen zu lernen, denn aufzufliegen in das, wie es ihnen vorkommt, leere Feld der Ideen, welche sonach selber, wie es scheint, lieber das zweite täten, wenn sie sich's erlauben dürften, denn das erste. Daß an die Stelle dieses naturgemäßen Leichtsinns der schwere Sinn trete, wo auch dem Gesättigten der künftige Hunger, und die ganzen langen Reihen alles möglichen künftigen Hungers, als das einzige seine Seele füllende, vorschweben, und ihn immerfort stacheln und treiben, wird in unserm Zeitalter durch Kunst bewirkt, beim Knaben durch Züchtigung seines natürlichen Leichtsinns, beim Manne durch das Bestreben für einen klugen Mann zu gelten, welcher Ruhm nur demjenigen zuteil wird, der jenen Gesichtspunkt keinen Augenblick aus den Augen läßt; es ist daher dies keineswegs Natur, auf die wir zu rechnen hätten, sondern ein der widerstrebenden Natur mit Mühe aufgedrungenes Verderben, das da wegfällt, sowie nur jene Mühe nicht mehr angewendet wird.

      Diese unmittelbar die geistige Selbsttätigkeit des Zöglings anregende Erziehung erzeugt Erkenntnis, sagten wir oben; und dies gibt uns Gelegenheit, die neue Erziehung im Gegensatze mit der bisherigen, noch tiefer zu bezeichnen. Eigentlich nämlich, und unmittelbar geht die neue Erziehung nur auf Anregung regelmäßig fortschreitender Geistestätigkeit. Die Erkenntnis ergibt sich, wie wir schon oben gesehen haben, nur nebenbei, und als nicht außenbleibende Folge. Ob es daher nun zwar wohl diese Erkenntnis ist, in welcher allein das Bild für das wirkliche Leben, das die künftige ernstliche Tätigkeit unsers zum Manne gewordenen Zöglings anregen soll, erfaßt werden kann; die Erkenntnis daher allerdings ein wesentlicher Bestandteil der zu erlangenden Bildung ist, so kann man dennoch nicht sagen, daß die neue Erziehung diese Erkenntnis unmittelbar beabsichtige, sondern die Erkenntnis fällt derselben nur zu. Im Gegenteile beabsichtigte die bisherige Erziehung geradezu Erkenntnis, und ein gewisses Maß eines Erkenntnisstoffes. Ferner ist ein großer Unterschied zwischen der Art der Erkenntnis, welche der neuen Erziehung nebenbei entsteht, und derjenigen, welche die bisherige Erziehung beabsichtigte. Jener entsteht die Erkenntnis der die


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