Gesammelte Werke. Henrik Ibsen

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Gesammelte Werke - Henrik Ibsen


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ich mich schon um ein solches Gelübde herumzudrücken wissen; aber heut, am letzten Abend, – nein, das ist nicht ratsam. – Kann ich es denn halten? Heißt das nicht alles aufs Spiel setzen, wofür ich mein ganzes Leben lang gewirkt habe? Wispernd. O, könnt' ich den Bösen nur noch dies einzige Mal prellen! Lauscht. Was ist das? Ruft. Viljam! Viljam!

      Sira Viljam tritt von rechts ein.

      Bischof Nikolas. Was saust und heult da so furchtbar?

      Sira Viljam. Das Unwetter ist's, das zunimmt.

      Bischof Nikolas. Das Unwetter nimmt zu! – Ja, mein Gelübde, das werd' ich sicher halten! Das Unwetter, sagst Du –? Singen sie drinnen?

      Sira Viljam. Ja, Herr.

      Bischof Nikolas. Sag' ihnen, sie sollten sich alle Mühe geben; – Bruder Aslak besonders; er spricht immer so kurze Gebete; er knappt, wo er nur kann; er überschlägt, der Hund! Er stößt mit dem Bischofsstab auf die Diele. Geh hinein und sag' ihm, es wäre die letzte Nacht, die ich noch habe; er solle sich Mühe geben, sonst käm' ich zu ihm als Gespenst!

      Sira Viljam. Herr, soll ich nicht Meister Sigard holen?

      Bischof Nikolas. Geh hinein, sag' ich! Viljam ab in die Kapelle. Es muß gewißlich des Himmels Wille sein, daß ich den König und den Herzog versöhnen soll, da er mir den Brief des Pfarrers Trond jetzt sendet. Ein hartes Stück, Nikolas; mit einem einzigen Ruck alles niederzureißen, was aufzubauen Du Dein ganzes Leben gebraucht hast. Aber es bleibt keine Wahl; den Willen des Himmels muß ich diesmal erfüllen – Könnt' ich nur noch lesen, was in dem Brief steht. Aber ich kann kein Wort mehr sehen! Nebel flattern vor meinen Augen, es flammt und flirrt –; und von keinem andern darf ich es mir vorlesen lassen! So etwas zu geloben –! Ist der Witz des Menschen denn so jämmerlich, daß er über das zweite und dritte Glied seiner eigenen Tat keine Gewalt mehr hat? Ich sprach so lange und so eindringlich zu Vegard Väradal, um den König zu veranlassen, Inga wegzuschicken, bis es schließlich geschah. Die Tat war klug im ersten Gliede; aber hätt' ich nicht diesen Rat gegeben, so wäre Inga jetzt nicht in Vartejg gewesen, der Brief wäre nicht früh genug in meine Hände gelangt, und ich hätte kein Gelübde zu halten gehabt, – also unklug im zweiten Gliede. Hätte ich wenigstens Zeit vor mir; aber nur diese eine Nacht noch, und kaum die ganz! Ich muß, ich will länger leben! Er stößt mit dem Stabe auf; ein Priester tritt von rechts ein. Meister Sigard soll kommen! Der Priester geht; der Bischof zerknittert den Brief in den Händen. Hier, hinter diesem dünnen Siegel liegt Norwegens Geschichte für hundert Jahre! Sie liegt und träumt, wie das Vogeljunge im Ei! O, wer jetzt mehr als Eine Seele hätte, – oder auch keine! Er drückt den Brief wild an seine Brust. O, wäre das Ende nicht so jäh über mir, – und das Gericht und die Strafe, – ich wollte dich ausbrüten zu einem Geier, der grausige Schatten über das ganze Land werfen und seine scharfen Krallen in alle Herzen bohren sollte! Zuckt zusammen. Aber die letzte Stunde ist nah! Aufkreischend. Nein, nein, – du sollst ein Schwan werden, ein weißer Schwan! Wirft den Brief zur Erde und ruft: Meister Sigard, Meister Sigard!

      Meister Sigard von rechts. Wie geht's, ehrwürdiger Herr?

      Bischof Nikolas. Meister Sigard, – verkauft mir drei Tage Leben!

      Meister Sigard. Ich hab' Euch gesagt –

      Bischof Nikolas. Ja, ja; aber das war nicht Euer Ernst; es war eine kleine Strafe. Ich bin ein grilliger Herr gewesen gegen Euch; deshalb wolltet Ihr mir bange machen. Pfui, das war nicht hübsch, – nein, nein, es war wohlverdient! Aber seid jetzt gut und gescheit! Ich werde Euch gut bezahlen; – drei Tage Leben, Meister Sigard, nur drei Tage Leben!

      Meister Sigard. Und wenn ich selbst in gleicher Stunde scheiden sollte, wie Ihr, so könnte ich doch keine drei Tage zulegen.

      Bischof Nikolas. Einen Tag denn; nur einen Tag! Laßt es hell werden, laßt die Sonne scheinen, wenn ich von hinnen fahren muß! Hört, Sigard! Er winkt ihn zu sich heran und zieht ihn auf die Ruhebank nieder. Ich habe fast all mein Gold und Silber der Kirche vermacht, damit große Messen hinterher gelesen werden. Ich will's widerrufen. Ihr sollt alles zusammen haben! Na, Sigard, wollen wir die da drin foppen ? Hä, hä, hä! Ihr werdet reich, Sigard, und geht aus dem Lande; ich erhalte Frist und kann meine Sachen ein bischen ordnen und brauche weniger Gebete. Na, Sigard, wollen wir –? Sigard fühlt ihm den Puls; der Bischof schreit angstvoll: Nun, warum antwortet Ihr nicht?

      Meister Sigard steht auf. Ich habe keine Zeit, Herr. Ich will Euch einen Trank brauen, der Euch den letzten Augenblick etwas erleichtern soll.

      Bischof Nikolas. Nein, wartet damit! Wartet – und antwortet mir!

      Meister Sigard. Ich hab' keine Zeit; der Trank muß binnen einer Stunde fertig sein. Ab nach rechts.

      Bischof Nikolas. Binnen einer Stunde! Er schlägt wild mit dem Stabe auf. Viljam! Viljam!

      Sira Viljam kommt aus der Kapelle.

      Bischof Nikolas. Nimm da drin mehr zu Hilfe! Die acht reichen nicht!

      Sira Viljam. Herr –?

      Bischof Nikolas. Mehr zu Hilfe, sag' ich! Der Bruder Kolbejn hat fünf Wochen krank gelegen, – er kann nicht viel gesündigt haben während dieser Zeit –

      Sira Viljam. Er ist gestern zur Beichte gewesen.

      Bischof Nikolas eifrig. Ja, der muß gut sein – nimm ihn! Viljam geht wieder in die Kapelle. Binnen einer Stunde! Wischt sich den Schweiß von der Stirn. Puh, wie warm das hier ist! – Der elende Hund, – was nützt all seine Gelehrsamkeit, wenn er nicht eine Stunde zulegen kann. Da sitzt er Tag für Tag in seiner Stube und fügt künstliche Räder und Gewichte und Hebel zusammen; er will ein Werk schaffen, das gehen, gehen und nie stille stehen soll, – perpetuum mobile nennt er's. Weshalb setzt er nicht lieber seine Kunst und seinen Witz daran, den Menschen zu solch einem perpetuum mobile zu machen –? Er hält inne und sinnt nach; es blitzt in seinen Augen. Perpetuum mobile, – ich bin nicht fest im Latein, – aber das bedeutet etwas, was die Fähigkeit hat, ewig zu wirken, durch alle Zeiten hindurch. Könnt' ich wohl selber gar –? Das wär' eine Tat, damit zu enden! Das hieße: seine größte Tat in seiner letzten Stunde tun! Räder und Gewichte und Hebel in der Seele des Königs und des Herzogs in Gang setzen; sie derart in Gang setzen, daß keine Macht der Erden sie zu hemmen vermag; – kann ich das, so leb' ich ja fort, lebe fort in meinem Werk, – und vielleicht läuft das, was man Unsterblichkeit nennt, darauf hinaus. – Tröstliche, erquickende Gedanken, wie wohl tut ihr dem alten Manne! Er atmet auf und streckt sich behaglich auf die Ruhebank. Diabolus hat mir heut abend schlimm mitgespielt. Das kommt davon, wenn man müßig liegt; otium est pulvis – pulveris – na, Latein hin, Latein her, – Diabolus soll keine Macht mehr über mich bekommen; ich will bis zum letzten Augenblicke tätig sein; ich will – Wie sie da drin blöken –! Er stößt mit dem Stabe auf; Sira Viljam tritt ein. Sag' ihnen, sie sollen schweigen; sie stören mich. Der König und der Herzog kommen bald, – ich habe große Dinge zu bedenken.

      Sira Viljam. Herr, soll ich also –?

      Bischof Nikolas. Ihnen gebieten, einstweilen aufzuhören, damit ich in Ruhe denken kann, Sieh da, heb den Brief auf, der dort am Boden liegt. – Gut, gib mir auch die Papiere her –

      Sira Viljam tritt an den Schreibtisch. Welche, Herr?

      Bischof Nikolas. Einerlei – die mit dem Siegel; die, die zu oberst liegen. – So; jetzt geh hinein und heiß sie still sein. Viljam geht. – Sterben, und doch regieren in Norwegen! Sterben, und es so fügen, daß kein Mann sich um Kopfeslänge über alle andern erheben kann! Tausend Wege könnten zu diesem Ziel führen; aber nur einer kann taugen; – den gilt's zu finden, – den gilt's einzuschlagen. – Ha! der Weg liegt ja so nah, so nah! Ja, so soll es sein. Ich halte das Gelübde; der Herzog soll den Brief haben; – aber der König – hm, dem will ich den Stachel des Zweifels ins Herz senken. Håkon ist ehrlich, wie man das nennt; mit dem Glauben an sich selbst und an sein Recht wird viel in ihm zu nichte. Beide sollen zweifeln und glauben, auf und nieder schwanken, niemals festen Grund unter den Fuß bekommen, – perpetuum mobile! – Aber wird Håkon meiner Aussage Glauben schenken? Er wird es; ich bin ja ein


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