Von der Welt und den Elementen. Plinius
Читать онлайн книгу.Jahren der Regierung des Nero6, wo die Tyrannei jede freiere und erhabenere Art von Studien gefährlich machte.
Einunddreißig Bücher einer Fortsetzung der von Aufidius Bassus begonnenen Geschichte7.
Siebenunddreißig Bücher einer Naturgeschichte, ein umfassendes, gelehrtes Werk und so mannigfaltig als die Natur selbst8.
Wirst Du nicht erstaunen, dass ein mit Geschäften überhäufter Mann so viele Bücher schreiben und in manchen derselben so schwierige Gegenstände behandeln konnte? Dein Erstaunen wird sich noch vermehren, wenn ich hinzufüge, dass er eine Zeitlang Rechtsgeschäfte trieb, dass er im sechsundfünfzigsten Jahre starb, und dass ihm die Zwischenzeit teils durch die wichtigsten Ämter, teils durch die Freundschaft der Fürsten zerstreut und in Anspruch genommen wurde. Aber er besaß einen lebhaften Geist, unglaublichen Fleiß und seine Wachsamkeit war von größter Ausdauer. Mit den Vulkanalien9 fing er bei Einbruch der Nacht an zu arbeiten, nicht des Herkommens wegen, sondern aus Eifer, im Winter aber von der siebenten, spätestens achten, oft aber schon von der sechsten Stunde an.10 Er war sehr sparsam mit dem Schlafe, der ihn daher auch zuweilen beim Arbeiten überfiel, doch auch wieder verließ. Vor Anbruch des Tages ging er zum Kaiser Vespasian11, der ebenfalls bei Nacht arbeitete, dann zu den ihm obliegenden Geschäften. Nach Hause zurückgekehrt widmete er die übrige Zeit den Studien. Nach dem Mittagsmahl, das, wie bei den Alten, aus leichten Speisen bestand, legte er sich oft im Sommer zur Erholung in die Sonne, las in einem Buche, notierte und exzerpierte, denn aus allem, was er las, machte er Auszüge. Auch pflegte er zu sagen, es sei kein Buch so schlecht, dass es nicht etwas nützen könne. Nach dem Sonnen nahm er meistens ein kaltes Bad, aß etwas und schlief ein wenig. Dann studierte er, als ob ein neuer Tag angebrochen sei, bis zur Zeit des Abendessens.12 Während der Tischzeit las er in einem Buch und machte Bemerkungen, jedoch nur flüchtig. Ich erinnere mich, dass, als einst der Vorleser etwas unrichtig ausgesprochen hatte und ein gleichzeitig anwesender Freund den Satz wiederholen ließ, mein Oheim fragte: >Du hattest es doch verstanden?<, und, als jener dies bejahte, fortfuhr: >Warum ließest Du es denn wiederholen? Durch Dein Zwischenreden haben wir nun schon zehn Zeilen verlore<. So karg war er mit seiner Zeit.
Im Sommer erhob er sich noch bei Tage von der Abendtafel, im Winter bei einbrechender Nacht, und diese Ordnung beobachtete er wie ein Gesetz. So hielt er es mitten unter Geschäften und im Geräusche der Stadt. Auf dem Lande war bloß die Badezeit von gelehrter Tätigkeit frei; doch meine ich damit nur die Zeit, wo er sich im Bad selbst befand, denn während des Entkleidens und Abtrocknens ließ er sich vorlesen oder diktierte etwas. Auf Reisen, gleichsam von jeder Sorge entbunden, war dies seine einzige Beschäftigung. Zur Seite saß ihm dann ein Schreiber mit Buch und Schreibtafel, der im Winter Handschuhe trug, damit selbst die Rauigkeit der Witterung ihm keine Zeit zur Tätigkeit rauben möchte. Aus diesem Grunde ließ er sich auch zu Rom in einem Stuhlwagen fahren. Als ich einmal spazieren ging, tadelte er mich mit den Worten: >Du solltest diese Stunden besser anwenden.< Er hielt nämlich alle Zeit, die nicht zur Tätigkeit verwendet würde, für verloren. Auf solche Weise war es ihm möglich, jene Anzahl von Schriften zu vollenden; mir hinterließ er noch 160 Erläuterungen auserlesener Bücher, welche auch auf der Rückseite des Papiers und sehr klein geschrieben waren, sodass sich ihre Zahl eigentlich verdoppelt. Er selbst sagte, er habe als Prokurator in Spanien diese Erläuterungen dem Largius Licinius13 für 400000 Sesterzen verkaufen können, und damals waren ihrer doch weit weniger.
Dünkt Dich nicht, wenn Du bedenkst, wie viel er gelesen und geschrieben hat, er könne weder öffentliche Ämter bekleidet noch der Kaiser Freundschaft genossen haben? Ferner, wenn Du hörst, welchen Fleiß er auf Amtsarbeiten verwendet, er könne weder zum Schreiben noch zum Lesen die nötige Zeit gehabt haben? Denn, was kann nicht durch jene Abhaltungen vereitelt, was hingegen durch solche Beharrlichkeit ermöglicht werden? Ich pflege daher zu lachen, wenn man mich fleißig nennt, denn mit ihm verglichen gehöre ich zu den Untätigsten. Tue ich aber nur so viel, wie teils meine öffentlichen, teils meine Pflichten gegen die Freunde mir erlauben? Wer von denen, welche ihr ganzes Leben den Wissenschaften weihen, möchte nicht, ihm zur Seite gestellt, als ein dem Schlafe und dem Müßiggange Ergebener erröten?
Ich habe diesen Brief sehr ausgedehnt, obgleich ich nur, Deinem Wunsche gemäß, schreiben wollte, welche Werke mein Oheim hinterlassen hat. Ich glaube jedoch, dass Dir die übrigen Nachrichten von ihm nicht weniger angenehm sein werden als die Bücher selbst, weil sie Dich nicht nur zum Lesen derselben, sondern auch zu ähnlichen Ausarbeitungen anregen können. Lebe wohl.«
C. Plinius Caecilius an seinen Freund Tacitus14 (VI. Buch. 16. Brief)
»Du wünschest, dass ich Dir über den Tod meines Oheims schreibe, damit Du ihn der Nachwelt umso getreuer berichten kannst. Ich danke Dir dafür, weil ich sehe, dass seinem Tode, wenn er von Dir verherrlicht wird, ein unsterblicher Ruhm bevorsteht. Denn, obgleich er bei dem Untergange der schönsten Gegenden, gleichwie Städte und Völker durch einen denkwürdigen Umstand als ewiger Sieger gestorben ist; obgleich er sehr viele und eine feste Dauer versprechende Werke geschaffen hat, so wird doch die Unsterblichkeit Deiner Schriften seinem steten Andenken das größte Gewicht geben. Zwar halte ich diejenigen für glückselig, denen die Götter verliehen haben, entweder so zu handeln, dass es schreibenswert, oder so zu schreiben, dass es lesenswert ist; jedoch scheinen mir diejenigen die Glückseligsten zu sein, denen beides zu Teil wurde. Unter die Zahl der Letzteren wird mein Oheim durch seine und Deine Schriften gehören; umso freudiger empfange, ja fordere ich Deinen Auftrag.
Er befand sich zu Misenum15 und befehligte die kaiserliche Flotte. Am 24. August um 1 Uhr mittags meldete ihm meine Mutter, es zeige sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt. Er hatte kurz zuvor ein kaltes Bad genommen, kaltes Wasser getrunken, lag wie gewöhnlich in der Sonne und studierte, forderte aber sogleich seine Schuhe und bestieg eine Anhöhe, von wo aus er jene merkwürdige Erscheinung am besten beobachten konnte. Eine Wolke (es war nicht genau zu unterscheiden, von welchem Berge sie kam; erst später erfuhr man, dass es der Vesuv war), welche einem Baume, und zwar einer Fichte, nicht unähnlich schien (denn sie zeigte gleichsam einen hohen Stamm, der sich in mehrere Äste ausbreitete), stieg auf. Wie mir schien, wurde sie durch einen starken Wind herbeigeführt, dann zerteilte sie sich, als dieser schwächer werdend sie verließ, infolge ihres eigenen Gewichts in die Breite, an einigen Stellen weiß von Farbe, an anderen schmutzig und fleckig, je nachdem sie Erde und Asche mit sich führte. Dem gelehrten Manne schien es der Mühe wert, sie näher kennenzulernen. Er ließ ein leichtes Schiff16 in Bereitschaft setzen; mir stellte er es frei, ihn zu begleiten. Ich erwiderte, ich wolle lieber studieren, und zufälligerweise hatte er mir gerade etwas zu schreiben gegeben. Als er aus dem Hause trat, empfing er einen Brief von den Marinesoldaten zu Retina, welche durch die drohende Gefahr erschreckt (denn dieses Landgut lag am Fuß des Berges17 und bloß zu Schiff war die Flucht möglich) ihn dringend ersuchten, sie dem herannahenden Unglück zu entreißen. Er änderte daher seinen Entschluss und unterzog sich nun dem, was er mit dem Eifer eines Gelehrten begonnen hatte, mit dem größten Mut. Er ließ die Vierruderer in See bringen und bestieg sie selbst mit, um nicht nur jenen, sondern auch vielen anderen (denn die Küste war wegen ihrer angenehmen Lage stark bevölkert) zuhilfe zu kommen. Er eilt dahin, von wo andere fliehen, steuert geraden Laufs auf die Gefahr los und so unerschrocken, dass er alle Bewegungen und Gestalten jener furchtbaren Erscheinung diktierte und aufzeichnen ließ.
Schon fiel die Asche, je mehr er sich näherte, desto heißer und dichter in die Schiffe; schon stürzten selbst Bimssteine, schwarze, verbrannte und durch die Hitze geborstene Steinmassen herab; schon machten ihm das plötzlich seicht gewordene Wasser und ein Einsturz des Berges die Küste unzugänglich. Da war er einige Augenblicke unschlüssig, ob er umkehren sollte, sprach aber bald darauf zu dem zur Rückkehr ratenden Steuermanne: >Den Kühnen begünstigt das Glück; fahre zu Pomponianus!< Dieser war zu Stabiae18 und durch einen dazwischen liegenden Meerbusen getrennt, denn das Meer dringt hier durch eine allmähliche Schwenkung und Krümmung der Küste ins Land. Jener19 hatte, obgleich noch