Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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fast der ganze Rest des Vermögens Rostows in Moskau verlorengegangen sei, und der oft ausgesprochene Wunsch der Gräfin, daß Nikolai die Fürstin Bolkonsky heiraten möchte, sowie auch sein Schweigen und seine Kälte in letzter Zeit hätten sie zu dem Entschluß gebracht, auf sein Versprechen zu verzichten und ihm volle Freiheit zu geben.

      »Der Gedanke wäre mir unerträglich, daß ich die Veranlassung von Kummer und Zwist in der Familie sein könnte, die mir immer so viel Gutes erwiesen hat«, schrieb sie, »und darum bitte ich Sie, Nikolai, sich für frei anzusehen und überzeugt zu sein, daß dennoch niemand Sie stärker liebt als Ihre Sonja.«

      Die beiden Briefe waren aus Troiza, der andere Brief war von der Gräfin. Sie beschrieb die letzten Tage ihres Aufenthalts in Moskau, die Abreise, die Feuersbrunst und den Untergang ihres Vermögens. Die Gräfin bemerkte auch, Fürst Andree sei mit ihnen und den Verwundeten von Moskau abgefahren, sein Zustand sei sehr gefährlich, jetzt aber habe der Arzt erklärt, daß mehr Hoffnung vorhanden sei. »Sonja und Natalie pflegen ihn mit großem Eifer.«

      Mit diesem Brief begab sich Nikolai am andern Tag zur Fürstin Marie. Weder er noch Marie sprachen davon, was die Worte bedeuteten: »Sonja und Natalie pflegen ihn«, aber dieser Brief brachte sie plötzlich einander sehr nahe und in beinahe verwandtschaftliche Beziehungen.

      Am andern Tag verabschiedete sich Rostow von der Fürstin Marie, welche nach Jaroslaw reiste, und nach einigen Tagen begab er sich zu seinem Regiment.

      213

       Inhaltsverzeichnis

      Der Brief Sonjas an Nikolai war durch die Einwirkung der alten Gräfin hervorgerufen worden, die beständig an eine reiche Heirat für Nikolai dachte. Sie wußte, daß Sonja das hauptsächliche Hindernis dafür war und deshalb versäumte sie keine Gelegenheit, Sonja durch eine grausame Anspielung zu beleidigen. Aber einige Tage vor der Abreise aus Moskau hatte die Gräfin Sonja zu sich gerufen und sie unter Tränen gebeten, sich zu opfern und für alles das, was ihr erwiesen worden sei, sich erkenntlich zu zeigen durch einen Bruch mit Nikolai.

      »Ich werde keine Ruhe haben«, sagte sie, »bis du mir dies versprichst.« Sonja beteuerte unter hysterischem Weinen, sie sei zu allem bereit, gab aber noch kein bestimmtes Versprechen und konnte sich zu dem Opfer nicht entschließen. Die Sorge und die wilde Erregung der letzten Tage in Moskau halfen Sonja über die drückenden, düsteren Gedanken fort, und zuweilen erfüllte sie eine freudige, abergläubische Zuversicht, daß Gott sie nicht von Nikolai trennen werde. Sie hoffte, daß Natalie und Fürst Andree, nachdem sie unter so schrecklichen Umständen wieder zusammengeführt worden waren, von neuem einander liebten, und daß Nikolai die Fürstin Marie nicht werde heiraten können wegen der Verwandtschaft, welche eine Ehe zwischen Fürst Andree und Natalie für Nikolai und Marie zur Folge haben würde.

      Im Troizkoikloster wurde zum erstenmal Rast gemacht. Die Familie nahm drei große Zimmer im Gasthause des Klosters ein, von denen das eine für Fürst Andree bestimmt wurde. Er befand sich an diesem Tage viel besser, Natalie war bei ihm, und Sonja wurde im Nebenzimmer von Neugierde gequält, was Andree und Natalie sprachen, deren Stimmen sie durch die Tür hörte. Natalie kam mit erregter Miene heraus und führte Sonja in ein leeres Zimmer.

      »Sonja, wird es sein? Wird er am Leben bleiben?« fragte sie. »Ach, wie glücklich bin ich und wie unglücklich! Sonja, mein Täubchen – es ist alles wieder wie früher, wenn er nur am Leben bleibt!« Natalie brach in Tränen aus.

      »Nun ja, ich wußte es ja, Gott sei Dank!« sagte Sonja. »Er wird am Leben bleiben!« Sonja war nicht weniger erregt als Natalie; küßte sie und suchte sie zu trösten. »Wenn er nur am Leben bleibt!« dachte sie beständig.

      An diesem Tage bot sich eine Gelegenheit, Briefe an die Armee abzuschicken, und die Gräfin schrieb an ihren Sohn.

      »Sonja«, sagte sie, als ihre Nichte vorüberging, »Sonja, du schreibst nicht an Nikolai?« Ihre Stimme zitterte und in dem Blick ihrer müden Augen las Sonja Flehen und Furcht vor einer Weigerung, aber auch Beschämung darüber, daß sie bitten mußte, und drohenden, unversöhnlichen Haß im Falle der Weigerung.

      Sonja ging auf die Gräfin zu, ließ sich vor ihr auf die Knie nieder und küßte ihr die Hand.

      »Ich werde schreiben!« sagte sie.

      Sonja war weich gestimmt durch alles, was an diesem Tage vorging, und jetzt, wo sie wußte, daß im Falle einer Erneuerung der Beziehungen Natalies zum Fürsten Andree Nikolai die Fürstin Marie nicht heiraten konnte, empfand sie mit freudigem Gefühl wieder jene Bereitschaft zur Selbstaufopferung, an die sie seit langen Jahren gewöhnt war, und unter strömenden Tränen, im freudigen Bewußtsein, daß sie eine edle Tat vollbrachte, schrieb sie jenen rührenden Brief an Nikolai.

      214

       Inhaltsverzeichnis

      Auf der Hauptwache, wohin Peter geführt wurde, benahmen sich der Offizier und die Soldaten feindlich gegen ihn, zugleich aber auch rücksichtsvoll, solange sie noch im Zweifel waren, ob er nicht vielleicht eine wichtige Persönlichkeit sei.

      Aber als am folgenden Morgen die Ablösung kam, wurde Peter eine Veränderung fühlbar. Die Leute sahen in diesem großen, dicken Menschen im Bauernrock nicht mehr jenen energischen Mann, der so verzweifelt mit dem Marodeur und der Patrouille gekämpft und die feierlichen Worte über die Rettung des Kindes gesprochen hatte, sondern sie sahen in ihm nur noch den siebzehnten der auf Befehl verhafteten Russen. Nur durch sein schüchternes, nachdenkliches Wesen und seine Kenntnis der französischen Sprache war er von den anderen verschieden. Aber an demselben Tage wurde er zu den übrigen Gefangenen verwiesen, da das besondere Zimmer, das er einnahm, für den Offizier nötig war.

      Alle verhafteten Russen waren Leute der niedrigsten Stände, alle erkannten in Peter einen Barin (Herrn) und hielten sich von ihm fern, um so mehr, weil er Französisch sprach. Am andern Tage erfuhr Peter, daß alle wegen Brandstiftung vor Gericht gestellt werden sollten. Am dritten Tage wurde Peter mit den anderen in ein benachbartes Haus geführt, wo ein französischer General mit weißem Schnurrbart, zwei Obersten und andere Franzosen saßen. Man stellte an ihn in scheinbar herablassendem Tone die gewöhnlichen Fragen, wer er sei, und so weiter, welche nur den Zweck hatten, die Schleuse zu öffnen, durch welche nach dem Willen der Richter die Antworten der Angeklagten herausfließen sollten, um zu dem erwünschten Ziel, das heißt zur Überführung zu führen. Peter empfand dasselbe, was alle Angeklagten vor irgendeinem Gericht empfinden, nämlich Verwunderung darüber, warum man ihm diese Fragen stellte. Er wußte, daß er sich in der Gewalt dieser Leute befand, daß nur die Gewalt ihn hierhergeführt hatte, daß nur die Gewalt ihnen das Recht gab, Antworten auf Fragen zu verlangen, deren einziger Zweck war, ihn zu überführen, und deshalb waren diese Fragen unnötig, da doch nun einmal der Wunsch, zu überführen, und auch die Gewalt dazu vorhanden waren. Auf die Frage, was er gemacht habe, als er ergriffen worden sei, erwiderte Peter in tragischem Ton, er sei im Begriff gewesen, den Eltern das Kind zu bringen, das er aus den Flammen gerettet habe. Warum er sich mit dem Marodeur geschlagen habe, fragte man, und Peter antwortete, er habe eine Frau verteidigt, und es sei die Verpflichtung jedes Mannes, eine beleidigte Frau zu verteidigen, und … Er wurde unterbrochen, das gehöre nicht zur Sache. Auf die Frage, warum er in dem Hof des brennenden Hauses gewesen sei, wo ihn Zeugen gesehen hätten, erwiderte er, er wollte nur sehen; was in Moskau vorgehe. – Wer er sei, fragte man wieder, und er antwortete wie zuvor, das könne er nicht sagen.

      »Schreiben Sie das nieder! Das ist verdächtig!« sagte der General mit dem weißen Schnurrbart.

      Am vierten Tage begann die Feuersbrunst am Subowschen Wall.

      Peter wurde mit den dreizehn anderen nach der Krimschen Furt geführt, in die Wagenscheune eines Kaufmannshauses. Auf dem Wege dahin atmete Peter den Rauch ein, der über der ganzen Stadt lag. In verschiedenen Richtungen sah man Feuersbrünste. Peter begriff noch nicht die Bedeutung dieser Feuersbrünste,


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