Perry Rhodan Neo 181: Der Mond ist nur der Anfang. Kai Hirdt

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Perry Rhodan Neo 181: Der Mond ist nur der Anfang - Kai Hirdt


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Jahre nach dieser Nacht und an völlig anderer Stelle fragte sich Perry Rhodan, wann und wie sein Leben so furchtbar aus dem Ruder gelaufen war.

      Er hatte in einer mehr schlecht als recht zusammengebastelten Rakete den Mond erreicht. Er hatte als erster Mensch Kontakt mit einer außerirdischen Spezies aufgenommen. Er hatte geholfen, Invasionen abzuwehren, hatte mehrere Galaxien und den Leerraum dazwischen bereist, hatte die entführte Menschheit gerettet und zur Erde zurückgebracht.

      Womit also hatte er verdient, nunmehr in einer ermüdenden Vollversammlung der Terranischen Union festzuhocken, die einfach kein Ende nehmen wollte?

      »Und deshalb müssen wir, unter Erwägung aller relevanten Faktoren, zu der Erkenntnis kommen, dass bereits eine umfassende Bewertung aller Risiken ein ganz eigenes Risiko birgt, nämlich irgendwann zu erkennen, dass man bei der Analyse den Zeitpunkt zum Handeln ungenutzt hat verstreichen lassen.«

      Um Sdelo Willem, den Vertreter Belgiens, schien sich seit Kurzem eine isolationistische Bewegung zu formieren. Der von ihm aktuell eingebrachte Antrag war krude, aber niemand würde eine freie Diskussion unterbinden. Rhodan am allerwenigsten.

      Willems jüngstes Agitationsziel war NATHAN, jene fremdartige Intelligenz, die seit einigen Jahren auf dem Mond wuchs und gedieh. Bisher wurde NATHAN in einem gemeinsamen Projekt von Terranischer Flotte und einem Zusammenschluss renommierter Universitäten erforscht. Willem wollte das beenden und stattdessen dem Geheimdienst die Verantwortung übertragen – inklusive der Bewertung, ob NATHAN eine Gefahr darstellte, auf die man frühzeitig adäquat reagieren sollte. Was nichts anderes hieß, als das von NATHAN beanspruchte Areal großflächig zu bombardieren.

      Es war ein Rückfall in die Angstpolitik nach dem Erstkontakt mit den Arkoniden. Die Fürsprecher äußerten sich in epischer Breite, und Administrator Ngata hatte frühzeitig klargemacht, dass er niemanden in seiner Redezeit beschränken würde. Vier Stunden waren bereits verstrichen, und die Rednerliste war erst bei der Hälfte angelangt. Jeder war bestrebt, dem anderen keinen Vorteil einzuräumen. Der Streit um die Sache war längst zu einem gruppendynamischen Vorgang geworden.

      Rhodan fixierte Willem. Bislang hatte der charismatische Belgier nicht in die Debatte eingegriffen. Sein Lächeln erreichte scheinbar die blitzblauen Augen, seine dunkelblonde Tolle hing ihm lässig in die Stirn. Er wirkte durch und durch sympathisch. Selbst Rhodan war bei den ersten Begegnungen auf ihn hereingefallen. Mittlerweile traten Willems Ressentiments jedoch immer deutlicher hervor.

      Rhodan blickte auf die Uhr. Noch zwei Stunden bis zu seinem Termin im Lakeside Institute, dem terranischen Forschungszentrum für Mutantengaben. Eine halbe Stunde würde er dorthin brauchen. Falls die Debatte nicht deutlich anzog, würde Rhodan seine vorbereitete Abschlussrede nicht mehr halten können. Sein Plädoyer für ein offenes Miteinander. Dann würde sich möglicherweise Willem bei der abschließenden Abstimmung durchsetzen. Wenn das ganze Forschungsprojekt NATHAN dem Geheimdienst unterstellt würde, konnte sich Rhodan das Ergebnis ausrechnen. Seit der Rückkehr der Menschheit zur Erde zeigten sich viele unangenehme Tendenzen; das schloss die Sicherheitsbehörden leider mit ein.

      Rhodan erwog, den Lakeside-Termin abzusagen. Das wäre jedoch sehr unfair gegenüber seiner Tochter Nathalie. Und ihm graute davor, was er sich von seiner Frau Thora würde anhören dürfen.

      Erneut betrachtete er Willem. Rhodan beschlich der Verdacht, dass der Mann die Debatte von seinen Gleichgesinnten in die Länge ziehen ließ. Als Protektor der Terranischen Union hatte Rhodan viele Verpflichtungen. Sein Terminplan war kein Staatsgeheimnis. Willem würde von Rhodans geplantem Besuch im Lakeside Institute wissen. Was der Belgier indes sicherlich nicht wusste: Rhodans Besprechung dort hing keinesfalls mit der aktuellen Mutantenkrise zusammen, sondern war rein privater Natur.

      »... allein schon, weil diese Wesenheit sich ohne Einladung, Ankündigung oder Genehmigung auf dem Mond ausgebreitet hat. Die Ressourcen, die für ihre Eindämmung aufgewendet werden, sprengen jetzt schon jeglichen rechtfertigbaren Rahmen, insbesondere wenn man die schleppenden Wiederaufbaubemühungen ...«

      Rhodans Kommunikationsarmband blinkte dezent. Eine eingehende Textnachricht – wie aufs Stichwort meldete sich Ras Tschubai, der Leiter des Lakeside Institute und Rhodans Weggefährte fast seit dem ersten Kontakt mit den Arkoniden vor zweiundzwanzig Jahren. Rhodan sah, dass Tschubai mit gleicher Post auch Thora angeschrieben hatte.

      »Protestaufmarsch vor dem Lakeside«, stand in der Nachricht. »Kein guter Zeitpunkt, Nathalie vorbeizubringen. Stattdessen morgen Vormittag? 10 Uhr?«

      Das Lakeside Institute war in den vergangenen Monaten immer wieder Ziel feindseliger Kundgebungen geworden, nicht nur wegen der xenomedizinischen Forschungen, die dort betrieben wurden. Einige Radikale hatten auch die menschlichen Mutanten zu Nichtmenschen erklärt, die angeblich eine Gefahr darstellten. Das Thema vermischte sich auf verhängnisvolle Weise mit den latenten Vorbehalten gegen Außerirdische. Die Spannungen waren so angewachsen, dass Rhodan als Protektor irgendwann würde eingreifen müssen.

      Er hatte schon lange den Verdacht, dass Willem und dessen Leute diese Kampagne guthießen oder sogar heimlich förderten. Wahrscheinlich nahm Willem an, der Termin im Lakeside hätte mit dem Problem der Mutantenanfeindungen zu tun. Und eine aktuelle Demonstration mochte die Dringlichkeit von Rhodans Anwesenheit dort verschärfen. Es war zumindest ein ungewöhnlicher Zufall, dass die Parolengröler ausgerechnet an diesem Tag aufmarschierten.

      »In Ordnung«, schrieb Thora zurück. »Danke für die Warnung. Perry, klappt das?«

      Rhodan gönnte sich ein schmales Lächeln. Plötzlich hatte er alle Zeit der Welt.

      Er sendete seiner Frau und dem Institutsleiter das kleine Symbol eines erhobenen Daumens.

      »Kommst du dann heute Nachmittag nach Hause?«, fragte Thora weiter, nachdem Tschubai sich aus der Konversation verabschiedet hatte. »Du müsstest jetzt ja freihaben.«

      »Leider nein«, schrieb er zurück. »Ich hänge in der Vollversammlung fest.«

      Eine Antwort kam nicht, aber die brauchte Rhodan nicht. Er wusste auch so, dass seine Frau nicht begeistert war. Ein weiterer dieser unzähligen Tage, wo er sich zwischen der Erde und seiner Familie entscheiden musste.

      Zwei Minuten später ging doch noch eine Nachricht ein. Er war gespannt, an welcher spitzzüngigen Bemerkung Thora so lange formuliert hatte. Überrascht stellte er fest, dass sie nicht von ihr stammte, sondern von Pete Roofpitter, dem ehemaligen Sicherheitschef der LESLY POUNDER, die damals noch unter dem Namen CREST geflogen war. Von Roofpitter hatte er seit Jahren nichts gehört. Rhodan hatte nicht einmal gewusst, dass der Mann noch seine Kontaktdaten besaß.

      »Café Orion, Desert Gardens. Sofort. Wichtig.« Das war der ganze Text.

      Rhodan grübelte. Er kannte Roofpitter als intelligenten, bodenständigen Mann. Diese Charaktereigenschaften hatten sich gewiss nicht geändert, seit er den Dienst bei der Flotte quittiert hatte – trotz dieser kryptischen Nachricht.

      Desert Gardens war in zwanzig Minuten erreichbar. Hin, eine Stunde für das Treffen, zurück, zwanzig Minuten Puffer für unerwartete Entwicklungen. Rhodan konnte rechtzeitig zurück sein, um seine Rede zu halten. Und es blieb ihm erspart, weiter der ausufernden Diskussion zu lauschen. Seine zwischenzeitliche Abwesenheit würde zwar keinen guten Eindruck machen, aber damit konnte er leben, solange er nur rechtzeitig für seinen Einsatz zurück war.

      Um das sicherzustellen, musste Rhodan lediglich dafür sorgen, dass die Debatte nicht auf einmal rasant voranschritt. Rhodan winkte Isatraub Merriner heran, die als Vertreterin Panamas die Redebeiträge gegen Willems Antrag koordinierte, und informierte sie über seinen neuen Zeitrahmen.

      Merriner würde dafür sorgen, dass Rhodans Planung nicht über den Haufen geworfen wurde. Er mochte solche Spiele nicht, aber er beherrschte sie ebenso gut wie Sdelo Willem.

      Perry Rhodan stand auf, lächelte in die Runde und ging.

      2.

      Perry Rhodan sah auf die Uhr: Er hatte nur siebzehn Minuten nach Desert Gardens gebraucht. Er hatte


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