Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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war al­ler­dings nicht im­mer rein und sein Vor­trag nicht in al­len Tei­len des Stückes ta­del­los: aber er wuss­te sich stets durch küh­ne Wür­fe, durch Blit­ze der Auf­fas­sung und Schwung der Be­geis­te­rung wie­der zu he­ben. Er ver­fehl­te man­che Ef­fec­te, wel­che der Kom­po­nist be­ab­sich­tigt hat­te, aber er fand an­de­re, an wel­che noch nie­mand ge­dacht, we­der der Kom­po­nist, der sie vor­ge­zeich­net, noch der Leh­rer, der sie er­läu­tert, noch ei­ner der Vir­tuo­sen, die sie frü­her aus­ge­führt hat­ten. Die­se Kühn­hei­ten er­grif­fen und ent­zück­ten alle Welt. Zehn Un­ge­schick­lich­kei­ten ver­zieh man ihm für eine Neu­heit, zehn Ver­stö­ße ge­gen die Metho­de für eine ei­gen ge­fühl­te Stel­le. So wahr ist es, dass in der Kunst das kleins­te Auf­leuch­ten des Ge­nies, der kleins­te An­lauf zu neu­en Erobe­run­gen die Men­schen mehr blen­det als alle Hilfs­mit­tel und alle Klar­heit der Ein­sicht, die sich in den Schran­ken des Ge­wohn­ten hält.

      Nie­mand gab sich viel­leicht Re­chen­schaft von den Ur­sa­chen und nie­mand ent­zog sich den Wir­kun­gen die­ses En­thu­si­as­mus. Die Co­ril­la hat­te die Un­ter­hal­tung mit ei­ner großen Arie er­öff­net, wel­che sie treff­lich sang und wel­che leb­haft be­klatscht wur­de; der Er­folg des jun­gen De­bü­tan­ten lösch­te nun aber den ih­ri­gen so ganz aus, dass sie dar­über im In­nern wü­tend war. Je­doch als An­zo­le­to, mit Lob­sprü­chen und Lieb­ko­sun­gen über­häuft, wie­der an das Kla­vier trat, wo sie saß, und zu ihr nie­der­ge­beugt mit ei­ner Mi­schung von Un­ter­wür­fig­keit und Kühn­heit sag­te: »Und Sie, Kö­ni­gin des Ge­san­ges, Kö­ni­gin der Schön­heit, ha­ben Sie nicht einen Blick der Auf­mun­te­rung für den ar­men Un­glück­li­chem der Sie fürch­tet und Sie an­be­tet?« da be­trach­te­te die Pri­ma Don­na, er­staunt über eine sol­che Dreis­tig­keit, die­ses schö­ne Ge­sicht in der Nähe, wel­ches sie zu­vor kei­nes Blickes ge­wür­digt hat­te; denn wel­che eit­le und sieg­ge­wohn­te Frau wür­de ein dunkles ar­mes Kind ih­rer Auf­merk­sam­keit wert hal­ten? Jetzt end­lich be­ach­te­te sie ihn; sei­ne Schön­heit über­rasch­te sie, sein feu­ri­ges Auge drang in sie ein und ih­rer­seits be­siegt, be­zau­bert, ließ sie auf ihn einen lan­gen Glut­blick fal­len, gleich­sam ein Sie­gel auf das Di­plom sei­ner Berühmt­heit ge­drückt.

      An die­sem merk­wür­di­gen Abend hat­te An­zo­le­to sein Pub­li­kum be­herrscht und sei­nen ge­fähr­lichs­ten Feind ent­waff­net; denn die schö­ne Sän­ge­rin war nicht bloß Kö­ni­gin auf den Bre­tern, son­dern auch in der Ad­mi­nis­tra­ti­on und in dem Ka­bi­net des Gra­fen Zus­ti­nia­ni.

      4.

      Ein ein­zi­ger Zu­hö­rer, wel­cher auf dem Ran­de sei­nes Stuh­les mit ge­kreuz­ten Bei­nen und un­be­weg­lich auf die Knie ge­stütz­ten Hän­den gleich ei­ner ägyp­ti­schen Gott­heit saß, war mit­ten un­ter den ein­stim­mi­gen und so­gar ein we­nig un­sin­ni­gen Bei­falls­be­zeu­gun­gen, wel­che die Stim­me und Ma­nier des De­bü­tan­ten her­vor­ge­ru­fen hat­te, stumm ge­blie­ben wie eine Sphinx und ge­heim­nis­voll wie eine Hie­ro­gly­phe: es war dies der ge­lehr­te Pro­fes­sor und be­rühm­te Kom­po­nist Por­po­ra. Wäh­rend sein ga­lan­ter Kol­le­ge, der Pro­fes­sor Mel­li­fio­re, wel­cher die Ehre von An­zo­le­to’s Er­folg ganz sich al­lein an­eig­ne­te, um­her­ging, sich vor den Frau­en in die Brust wer­fend und sich ge­gen alle Män­ner mit Ge­schmei­dig­keit ver­nei­gend, um sich so­gar für ihre Bli­cke zu be­dan­ken, saß der Leh­rer der hei­li­gen Mu­sik still da, die Au­gen auf dem Bo­den, die Brau­en em­por­ge­zo­gen, den Mund ge­schlos­sen und wie ver­lo­ren in sei­ne Be­trach­tun­gen. Nach­dem die gan­ze Ge­sell­schaft, wel­che die­sen Abend zu ei­nem großen Bal­le bei der Do­ger­es­se ge­be­ten war, sich nach und nach ver­lau­fen hat­te und nur die wärms­ten Di­let­tan­ten mit ei­ni­gen Da­men und den vor­nehms­ten Mu­si­kern am Kla­vie­re zu­rück­ge­blie­ben wa­ren, nä­her­te sich Zus­ti­nia­ni dem stren­gen Mae­stro.

      – Das heißt doch zu sehr ge­gen die Neue­ren schmol­len, mein lie­ber Pro­fes­sor, sag­te er zu ihm, und euer Schwei­gen täuscht mich nicht. Ihr wollt vor die­ser welt­li­chen Mu­sik und die­ser neu­en Gat­tung, an de­nen wir uns ent­zücken, eue­re Sin­ne bis aufs Äu­ßers­te ver­schlos­sen hal­ten. Euer Herz hat sich nun euch zum Trot­ze ge­öff­net und eure Ohren ha­ben das Gift der Ver­füh­rung auf­ge­nom­men.

      – Wis­sen Sie, Sior Pro­fe­sor, sag­te im Dia­lek­te die rei­zen­de Co­ril­la, in­dem sie ge­gen ih­ren al­ten Leh­rer den Kin­des­brauch der Scuo­la wie­der­auf­nahm, Sie müs­sen mir einen rech­ten Ge­fal­len tun …

      – Fort von mir, Un­se­li­ge! rief der Meis­ter halb la­chend und halb noch ver­drieß­lich die Lieb­ko­sung sei­ner ab­trün­ni­gen Schü­le­rin ab­weh­rend. Was für Ge­mein­schaft ist noch zwi­schen dir und mir? Ich ken­ne dich nicht mehr. Brin­ge bei an­de­ren dein lieb­li­ches Lä­cheln und dein treu­lo­ses Ge­zwit­scher an.

      – Sie sind sehr stren­ge ge­gen mich ge­we­sen, Herr Pro­fes­sor, sag­te An­zo­le­to, sich mit ei­ner et­was spöt­ti­schen Be­schei­den­heit ver­beu­gend; in­des­sen ist es seit vier Jah­ren mein ein­zi­ger Ge­dan­ke, Ih­nen die Zu­rück­nah­me ei­nes sehr har­ten Ur­teilss­pru­ches ab­zu­nö­ti­gen; und wenn es mir heut Abend nicht ge­glückt ist, so weiß ich nicht, ob ich den Mut ha­ben wer­de, wie­der vor dem Pub­li­kum auf­zu­tre­ten, be­la­den wie ich bin mit ih­rem Ana­the­ma.

      – Kna­be, sag­te der Pro­fes­sor, in­dem er mit ei­ner Leb­haf­tig­keit sich er­hob und mit ei­ner Kraft der Über­zeu­gung sprach, wel­che ihn edel und groß er­schei­nen lie­ßen, wäh­rend er sonst ge­krümmt und un­ge­schickt aus­sah, über­las­se den Wei­bern die ho­nig­sü­ßen und treu­lo­sen Wor­te. Nie­mals er­nied­ri­ge dich zu der Spra­che der Schmei­che­lei, selbst nicht vor dei­nem Vor­ge­setz­ten, wie viel we­ni­ger vor dem, des­sen Bei­fall du in dei­nem In­nern ver­ach­test. Es war eine Zeit, wo du dort un­ten in dei­nem Win­kel lagst, arm, un­ge­kannt, voll Furcht; dei­ne gan­ze Zu­kunft hing an ei­nem Haa­re, an ei­nem Tone dei­ner Keh­le, an ei­nem au­gen­blick­li­chen Ver­sa­gen dei­ner Mit­tel, an ei­ner Gril­le dei­ner Zu­hö­rer. Ein Un­ge­fähr, ein Kraft­auf­wand, ein Au­gen­blick ha­ben dich reich, be­rühmt, un­ver­schämt ge­macht. Dei­ne Bahn ist of­fen, du darfst auf ihr nur lau­fen, so­weit dich dei­ne Kräf­te tra­gen wer­den. Höre mich an, denn du wirst zum ers­ten und viel­leicht zum letz­ten male die Wahr­heit hö­ren. Du bist auf ei­nem schlech­ten Wege, du singst schlecht und du ge­fällst dir in der schlech­ten Mu­sik. Du kannst nichts, und hast nichts gründ­li­ches ge­lernt, du be­sit­zest nichts als Übung und Fer­tig­keit. Du set­zest dich um nichts in Feu­er; du kannst nur gir­ren und zwit­schern gleich den nied­li­chen, ko­ket­ten Däm­chen, de­nen man ihr Ge­zie­re nach­sieht, weil sie vom Sin­gen nichts ver­ste­hen. Aber du ver­stehst nicht mit dem Atem um­zu­ge­hen, du sprichst schlecht aus, hast einen un­ed­len Aus­druck und einen falschen, ge­mei­nen


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