Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski

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Die Geheimbünde - Marco  Frenschkowski


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zu einer Kultur- und Geistesgeschichte des Freimaurertums. Wien u.a. 3. Aufl. 1999, 44f.). Wer erlebt hat, wie eine unsensible und überhebliche Fernsehberichterstattung über religiöse Rituale und Erfahrungen durch Großaufnahmen zu unpassender Zeit Menschen lächerlich machen kann, wird solchen Erwägungen nicht leichtfertig widersprechen. Öffentlichkeit ist sicher nicht immer angemessen. Es sind freilich auch ganz andere Gründe für Geheimhaltung vorstellbar, und in der Tat sind nicht alle davon ehrbar. Auch kriminellen Geheimbünden werden wir begegnen, und einen kurzen Einblick in ihre innere Welt versuchen, sofern sie aus Mitgliederberichten, verdeckten Ermittlungen u.ä. bekannt geworden ist. Eine zu enge oder puristische Definition würde sicher in einer kulturgeschichtlichen Betrachtung nur schaden.

      Nicht nur nach Art, Inhalt und Funktion ihrer Geheimhaltung lassen sich Geheimbünde typologisch gliedern, sondern auch nach ihrer gesellschaftlichen Einbindung und v.a. nach dem Grad ihrer »Realität« in dem breiten Spektrum zwischen geschichtlich manifester Existenz und gesellschaftlicher Imagination. Weiter ist natürlich zwischen »guten« und »bösen« Geheimbünden zu unterscheiden, wenn auch eine solche Unterscheidung nur bei den fiktionalen Bünden Sinn macht. Was die realen Geheimbünde betrifft, so besitzen selbstverständlich auch die aus einer Außenperspektive kriminellen Bünde eigene Legitimationsszenarios (z.B. solche nationalistischer oder wertekonservativer Art). Zwischen »guten« und »bösen« Gesellschaften wird daher nur bei den ausschließlich imaginierten Gruppen unterschieden. Eine solche Typologie kann etwa – wieder erst einmal sehr schlicht – so aussehen:

      1 Reale Gesellschaften mit durchgehender bzw. weitgehender Arkandisziplin

      2 Reale Gesellschaften bzw. Gruppen mit partieller Arkandisziplin

      3 Reale Gesellschaften mit marginaler bzw. eher symbolischer Arkandisziplin

      4 Reale Gesellschaften, deren Charakter als Geheimbund auf gesellschaftlicher Projektion beruht

      5 Imaginierte ideale geheime Orden u.ä., an deren Realität doch geglaubt wird

      6 Imaginierte verschwörerische, kriminelle geheime Gruppen, an deren Realität ebenfalls geglaubt wird

      7 Nur literarisch, cineastisch etc. existierende ideale Geheimgesellschaften ohne Wirklichkeitsansprüche

      8 Nur literarisch, cineastisch etc. existierende kriminelle Geheimgesellschaften ohne Wirklichkeitsansprüche

      Eine kulturgeschichtliche Typologie muss immer auch die verschiedenen Konstellationen bedenken, in denen Geheimbünde innerhalb ihrer jeweiligen Gesamtgesellschaften begegnen. Sie sind ja in mehrerlei Hinsicht Gegenstand von Fantasien, Hoffnungen und Befürchtungen, überhaupt von gesellschaftlichen Projektionen. Das gilt nun in besonderer Weise auch für die rein fiktiven »bösen« Geheimbünde. Wenn es wahr sein sollte, dass jede Gesellschaft die Schrecken und Monster erfindet, die sie verdient hat, was besagt es dann für das Psychogramm einer Gesellschaft oder eine Gruppe, wenn sie sich als unterwandert, als gefährdet durch geheime Gesellschaften und Bünde erlebt? Die «Geheimgesellschaft” als Bild und Projektionsort von Furcht und Faszination reicht zwar vielleicht nicht so dicht an unsere Person, an unsere Vitalität heran wie Dämonen, Hexen, Massenmörder, Vampire und andere traditionelle Ikonen der Furcht, sie ist aber dafür um so stärker auf die Gesellschaft selbst, nicht nur auf das Individuum ausgerichtet. Sie stellt damit eine grundsätzliche und tiefsitzende Angst der Moderne dar, dass die überschaubare, rational geordnete (eventuell – in der jüngeren Vergangenheit – demokratisch verantwortete) Gesellschaft nur eine Maske für andere »Machtverhältnisse« sein könnte. Wo die Mechanismen der Macht undurchschaubar werden, stellen sich Verschwörungsfantasien ein. Diese sind also eine bestimmte Art und Weise, Ohnmachtserfahrungen zu verarbeiten, und offenbar nur für bestimmte Typen von Menschen reizvoll. Es ist daher nicht überraschend, dass sie in den USA, wo der Staat in mancher Hinsicht weiter entfernt vom Bürger ist als in den überschaubareren und kleineren europäischen Ländern, eine besondere Rolle spielen. Nicht wenige US-Bürger können sich ihren Präsidenten oder sonstige hohe Funktionäre als Mitglieder finsterer Geheimbünde vorstellen: In Deutschland ist schon die bloße Vorstellung kaum nachvollziehbar. Dies selbst in ein kulturelles Faktum, das der Erklärung bedarf und mit dem imaginativen Spielraum zusammenhängen muss, den die unterschiedlichen politischen Systeme ermöglichen. Umgekehrt haben sich in der Geschichte Amerikas und Europas immer wieder utopische Hoffnungen auf geheime Gesellschaften gerichtet, denen möglich sein sollte, was die Gesellschaft als ganze so offensichtlich nicht zustande bringt: umfassende Aufklärung, Erziehung und »Besserung des Menschengeschlechts«. Neben die »gefährlichen« treten also immer die »idealen« Geheimgesellschaften. Die Präsenz dieser imaginierten Geheimbünde ist zu unterschiedlichen Epochen ganz verschieden und trägt nicht wenig zum kulturellen Profil dieser Epochen bei. Ein ganz wesentliches Thema gesellschaftlicher Imagination waren sie z.B. in der Epoche der deutschen Klassik, d.h. in der Zeit Goethes und Schillers, und man muss fragen, warum dies so gewesen ist (sowohl Goethe als auch Schiller haben ausführlich zum Thema geschrieben).

      Die Spannung zwischen »guter« und »böser« Geheimgesellschaft, vor allem im Fall fiktionaler Bünde, wird immer wieder in den Blick zu nehmen sein. Zwei Polaritäten überschneiden sich also bzw. bilden ein komplexes Koordinatensystem, in das die zu besprechenden Geheimbünde einzuzeichnen sind: jene zwischen weltverschwörerisch-gefährlichen und aufklärerisch-erzieherischen Geheimgesellschaften einerseits, und jene zwischen rein literarisch imaginierten Gruppen und realen Gruppen, die zur Projektionsfläche für Fantasien unterschiedlichster Art werden, andererseits. Insofern aus Angst Aggression und aus dem Gefühl der Gefährdung Verfolgung werden kann, ist unser Thema von erheblicher politischer Brisanz, auch wenn wir ausschließlich politisch motivierte Gruppen hier gar nicht behandeln. Das Szenario potentieller Verschwörungen z.B., das eine Gesellschaft prägt, durchdringt alle Bereiche des kulturellen Lebens, wozu man nicht erst an den impliziten Einfluss der RAF auf die BRD der 1970er oder der Al-Qaida auf die USA der Gegenwart denken muss. Energisch muss in jedem Fall daran erinnert werden, dass Phänomene von Geheimhaltung, Nichtöffentlichkeit, Bundes- und Ordensbildung auch in gänzlich harmlosen Zusammenhängen eine Rolle spielen. Das Thema darf nicht zu sehr im Sog von Verschwörungsfantasien oder kriminellen Vereinigungen und ihrer Entlarvung oder Analyse verschwinden, um solide behandelt werden zu können.

      Von Geheimbünden (»secret societies«) wird v.a. in den USA auch z.B. in Hinsicht auf Studentenverbindungen (»collegiate fraternities«, »fraternal organizations«) gesprochen, von denen immerhin eine (Skull & Bones) in den letzten Jahren in einen Mittelpunkt gesellschaftlichen Interesses gerückt ist. Andere studentische Verbindungen, die in gewissem Umfang Geheimhaltung praktizieren, waren bzw. sind der Flat Hat Club (gegründet 1750) und Phi Beta Kappa (gegründet 1776) sowie Phi Gamma Delta (1848). Der dritte Präsident der USA, Thomas Jefferson, war Mitglied im Flat Hat Club, bezeichnete diesen Verein aber später als nutzlos. Tatsächlich besitzen nach wie vor die meisten amerikanischen Universitäten Studenten- und Studentinnenverbindungen, die in gewissem Umfang Geheimhaltung praktizieren, ein dem deutschen Universitätsleben völlig fremdes Phänomen, das mit den Korporationen und ähnlichen Verbänden kaum zu vergleichen ist. Wir sehen hier den ganz unterschiedlichen Stellenwert des Themas in verschiedenen nationalen und kulturellen Kontexten und Traditionen.

      Alexandra Robbins, Pledged. The Secret Life of Sororities. New York 2004 * Alexandra Kurth, Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Frankfurt u. New York 2004.

      Wir lassen in lockerer Folge einige Beispiele für Geheimbünde meist fiktionaler Art Revue passieren, um die immense Faszination und das erzählerische und cineastische Potential des Themas in den Blick zu nehmen, eher wir uns den genauer zu beschreibenden realen Beispielen zuwenden. Erfolgsbücher, wie die Romane Dan Browns, wären nicht vorstellbar ohne die Funktion, welche Illuminaten und Opus Dei, die (vollständig fiktive) Prieuré de Sion und andere Geheimbünde in ihnen spielen. Das kaum entwirrbare Ineinander von Fakten und Fiktionen macht hier offenbar gerade den Reiz der Sache aus. Jede Leserin, jeder Leser versucht herauszubekommen, was real, was erfunden ist. Solche Bücher laden zu Spekulation


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