Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski

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Die Geheimbünde - Marco  Frenschkowski


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Ausschlussverfahren Frauen den Zugang zu gesellschaftlichen Machtpositionen verwehren. Männerbünde dienen dann dem Patriarchat bzw. der Hegemonie des Männlichen. Dabei spielten weniger strikte Geheimhaltung eine Rolle, als »stillschweigende« Organisationsformen von Macht und Kommunikation, die Frauen faktisch eine Partizipation unmöglich oder zumindest schwer machen.

      Man kann durchaus von Männer- und Frauenbünden sprechen, da ein geschlechtsspezifisch eingeschränkter Zugang mehr Regel als Ausnahme ist. Geheimbünde in archaischen Gesellschaften definieren sich nicht unbedingt durch äußere gemeinsame Ziele, sondern eher durch Ätiologien, d.h. mythologische Ursprungsgeschichten. Nach außen wird ihre Gemeinschaft durch feste Regeln und Rituale und öfters durch bestimmte Kennzeichen abgegrenzt. Man trägt bestimmte Kleidungsstücke oder symbolische Accessoires, eine bestimmte Haartracht oder bestimmte Tätowierungen oder sonstige Körperveränderungen. Die Beschneidung hat hier eine ihrer Wurzeln. Hierarchie ist häufig, aber es gibt auch egalitäre Gesellschaften. Vor allem gibt es in jedem Fall ein klares »drinnen« und »draußen«, welches das durch Rituale und Aspekte gemeinsamen Lebens geschaffene Gemeinschaftsgefühl noch weiter stärkt. Zugang ist i.A. nur durch eine Initiation möglich (dazu gleich). In Männerbünden sind Frauen meist von der Mitgliedschaft ausgeschlossen (und vice versa). Speziell Männerbünde sehen sich selbst oft als gesellschafts-, ja welterhaltend. Ihre Initiationsriten haben dann nicht selten Bezüge zu kosmogonischen Mythologien. Sowohl in Männer- als auch Frauenbünden erhält die jeweils nächste Generation Unterweisung über das angemessene Verhalten in der Ehe und im Stamm u.ä. Oft verbinden ihre Rituale mit den Ahnen, die in Form von Masken oder noch in einem buchstäblicheren Sinn anwesend sind. Eigene Treffpunkte und Häuser – meist außerhalb der Wohndörfer und Siedlungen – sind häufig; fast immer dürfen sie durch Nichtmitglieder nicht betreten werden.

      Ganz allgemein erfüllen Geheimbünde in vielen Fällen protostaatliche Funktionen: Sie erziehen die Jugend, reglementieren das gesellschaftlich »Schickliche« und bestrafen Devianz, vor allem aber vermitteln sie Beheimatung über die biologischen Bande hinaus. Krieger und Priester besitzen darüber hinaus oft spezielle Bünde, und so auch oft die jungen, noch unverheirateten Männer eines Stammes, die vielfach bestimmte Freiheiten besitzen, die sie später nicht mehr haben. In Männer- und Frauenbünden geschieht geselliges Leben und finden religiöse Riten statt. Ihr z.T. protostaatlicher Charakter führt in kolonialen Situationen und überhaupt im Kontext der Entstehung moderner Staatswesen vielfach zu neuartigen Geheimbünden, die auch von ihren Trägergesellschaften als problematisch, zumindest als ambivalent in ihrem gesellschaftlichen Nutzen gesehen werden. Ein bekanntes Beispiel wäre die Mau-Mau-Bewegung im Kenia der 1940er und 1950er Jahre, die sich an Fragen des Landbesitzes entzündete. Nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 wurden die Mau-Mau als Freiheitskämpfer geehrt, doch hat die neueren Forschung ihre tiefere Verwurzelung in afrikanischen Männerbünden gezeigt, die in Konflikt mit neuen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen gerieten, und darüber zu einer kämpfenden Bewegung wurden. Die britische Armee nahm die Mau-Mau anfänglich als heidnischen, in Zauberei und grausame Rituale verstrickten Geheimbund wahr, dem eher durch Missionare als durch Kriegsführung beizukommen sei – und wurde sich erst allmählich der unentwirrbaren Einheit sozialer und religiöser Motive im gewaltsamen Kampf der Mau-Mau bewusst. Die Aussichtslosigkeit junger Männer, eigenes Land erwerben zu können, führte zu einem Interesse an alten Überlieferungen über Männergeheimbünde und ihre Rituale. Etwa 10 000 Mau-Mau verloren in dem Konflikt ihr Leben, jedoch nur etwa 100 Europäer. Dies ist ein Beispiel für die Entstehung einer politischen Geheimgesellschaft aus der Struktur archaischer Männerbünde.

      Gegenüber älteren Forschungen hat es neben der Infragestellung des eurozentrischen Blickwinkels in der Ethnologie zwei weitere wesentliche Verschiebungen gegeben, welche u.a. das Verständnis von Geheimbünden betreffen. Sehr plakativ lassen sich diese so beschreiben, dass diachrone Fragestellungen gegenüber synchronen zurückgetreten sind, und dass der phänomenologische Ansatz radikal dislegitimiert wurde. Man kann dies sehr schön im Blick auf eine populäre, nach wie vor vielfach nachgedruckte Darstellung wie die von Will-Erich Peuckert, Geheimkulte (Heidelberg 1951. Nachdruck z.B. Hildesheim u.a. 1988) sehen. Peuckert (1895-1969) – ein angesehener Volkskundler, der z.B. zur Einbeziehung der Lebenswelt von modernen Arbeitern in die volkskundlichen Arbeit Wichtiges geleistet hat, und der auch ein Erforscher der frühen Neuzeit gewesen ist – stellt ein breites Spektrum an Bünden, Vergemeinschaftungen und Gruppenbildungsphänomenen in zahlreichen Gesellschaften vor. Dabei ist sein Ansatz hermeneutisch: Gemeinsame Grundstrukturen werden in den verschiedenen Gesellschaften geringfügig variiert und können im kulturübergreifenden Blick erklärt werden. Ziel ist ein Verstehen der Phänomene des Geheimbundwesens in Kategorien unserer Kultur. Dazu werden die einzelnen Phänomene in ein evolutionistisches, diachrones Schema geordnet. »Zauberwesen« z.B. gelten »älter« als Religion. Es gibt daher ein erkennbares Vorher und Nachher der Einzelerscheinungen, der Rituale und ihrer Funktion. Dieses Vorher und Nachher ist allerdings fast immer nur spekulativ zu gewinnen; die ethnologische empirische Feldarbeit liefert ja nur Momentaufnahmen. Peuckert interessiert sich auch für nationale und kulturelle Unterschiede, z.B. notiert er, dass die in Südeuropa und Afrika immens wichtigen sexuellen Konnotationen der Initiationen Jugendlicher (welche dann zur Hochzeit legitimieren) bei nordamerikanischen Indianern völlig fehlen, wo aber extrem schmerzhafte Mutproben und überhaupt das Element des Schmerzes im Mittelpunkt stehen. Das ist vereinfacht, aber nicht falsch. Manche Völker haben kaum oder nur sehr verkümmerte Pubertätsriten, z.B. viele arktische und nord­asiatische Völker. Gewisse Geheimbünde mit ihren Initiationen erfüllen spezifische Aufgaben in ihrer Gesellschaft, z.B. waren die Arioi auf Tahiti wandernde Schausteller mit stark erotisch konnotierten Darbietungen, die intern als Geheimgesellschaft organisiert waren .

      Nun ist es unbestritten, dass es Entwicklungen gegeben hat und gibt. Ob diese sich aber in einem übergreifenden evolutionistischen Schema, das weltweit konstant und quasi naturgesetzlich wirkt, beschreiben lassen, ist fraglich geworden. Es scheint heute angemessener, die einzelnen Rituale in ihren jeweiligen Gesellschaften detailliert zu verstehen als übergreifende, pauschale Theorien zu formulieren, die im Einzelnen doch nur wenig tragfähig sind. Dennoch bleibt Peuckerts Buch eine anregende, materialreiche Lektüre, gerade zu solchen Aspekten, die hier nur stichwortartig angeschnitten werden können (z.B. zur Geschichte von Beschneidungsriten).

      Weniger diachronisch, sondern eher phänomenologisch geprägt ist dagegen der Ansatz des großen rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade (1907-1986), der auch über wissenschaftliche Kreise hinaus weite Beachtung gefunden hat. Er sieht Initiationen als allgemeinmenschliches Phänomen: In der Gegenwart hätten sie zwar ihre ontologische Geltung verloren (sie verändern nicht mehr das menschliche Sein), werden aber weiter praktiziert und wirken auf einer psychologischen Ebene. Eliade unterscheidet zwei Grundtypen: Pubertätsriten, welche jungen Menschen Zugang zum Heiligen, zur Erkenntnis und zur Sexualität vermitteln, und andererseits spezielle Initiationen, welche Menschen auf sich nehmen, um ihre Lage, ihren Status zu verändern bzw. in Kontakt mit übernatürlichen Wesen zu kommen. Das Symbol- und Motivinventar der beiden Typen sei nun aber auffälligerweise weitgehend identisch. Eliade listet einige rekurrierende Elemente auf: a. Trennung von der Mutter, der Erde u.ä.; b. Beschneidungen u.a. Prüfungen und Torturen, die zu einem Tod mit nachfolgender Auferstehung gehören; c. Initiation als neue Geburt, die auf eine Schwangerschaft folgt; d. Rückzug in den Busch und Suche nach einem Schutzgeist; e. die »heroische Initiation«, deren Akzent auf einem »Sieg« liegt und die z.B. das Motiv der Verwandlung in ein wildes Tier kennt; f. die Schameneninitiation mit Körperzerstückelung, Seelenaufstieg und Katabasis in das Totenreich; g. paradoxe Prüfungen (oft folklorisiert und aus dem rituellen Kontext gelöst). Verschiedene Symbolismen und Initiationsszenarien können nebeneinander in einer Kultur bestehen. Viele Initiationen sind nach Eliade Wiederholungen eines kosmogonischen und anthropogonischen Urdramas, das also den Initianden in Kontakt mit einem weltbegründenden Geschehen der mythischen Zeit bringt. Ein häufiges Muster eines solchen Urdramas erzählt z.B., ein übernatürliches Wesen habe versucht, den Menschen durch Tötung radikal zu erneuern, was misslungen sei. Dann sei dieses übernatürliche Wesen selbst getötet worden: Die Initiation wiederholt Elemente dieses Szenarios. Durch Teilnahme am Tod gelingt dann doch Überwindung des Todes, wenn auch in paradoxer Weise. Die Botschaft der Initiation besteht darin, dass das wahre Menschsein auf einer Transzendierung des natürlichen


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