Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski

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Die Geheimbünde - Marco  Frenschkowski


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um die Jahrtausendwende herum, d.h. in unserer Gegenwart, eher auf »gefährliche« Geheimbünde: Die Fiktion wohltätiger, tatsächlich an einer Besserung der Menschheit interessierter Orden scheint aus Literatur, Kino und Fernsehen weithin verschwunden. Sie ist allenfalls noch in der Esoterikszene anzutreffen. Oft »kippt« das Szenario, d.h. eine geheime Gesellschaft, die als Träger sozialer Unterstützung und eines guten Gemeinsinnes auftritt, entpuppt sich in Film und Buch als etwas durchaus Sinistres. Dieses auf den ersten Blick sehr schlichte Motiv verkörpert offenbar ein tiefsitzendes Misstrauen der Moderne gegenüber Geheimbünden, überhaupt gegenüber undurchsichtiger Macht. Lange vorbei sind die Tage, wo sich wie in den Tagen der Rosenkreuzermanifeste (ab 1614) auf die (vollständig fiktionale) Erklärung eines Bundes der edlen Wissenden halb Europa auf den Weg macht, diesen Bund zu finden. In der Gegenwart ist das allenfalls Gegenstand der Parodie. Wir nähern uns unserem Thema locker-assoziativ, um nicht durch zu frühzeitige Systematisierung unseren Blick einzuschränken.

      Vor allem im »Mystery«-Bereich ist das Thema allgegenwärtig. »Twin Peaks« hatte seine »Bookhouse Boys«, »Alias« hatte die »Alliance of 12«, »SD-6« und natürlich »The Trust«, »Get Smart« hatte »KAOS«, »Millennium« hatte die besonders düstere »Millennium Group«, und selbst die »Gilmore Girls« haben ihre »Life and Death Brigade«. Es fällt wie gesagt ein starkes Übergewicht »böser«, gefährlicher, machtversessener Gruppen in diesen Produkten der v.a. amerikanischen und britischen Populärkultur auf. Die zahlreichen kriminellen Verbindungen der James Bond-Filme gehen letztlich auf »SPECTRE« in den Romanen Ian Flemings zurück. Im deutschen Sprachraum wird man an Dr. Mabuses »Herrschaft des Verbrechens« denken, die durch die bekannte Filmreihe Fritz Langs aus der Romanform in den Film transponiert wurde (vgl. weiter in Kap. 15). Auch die »Sith« bzw. »Sith Lords« der Episoden I-III von »Star Wars« (USA 1999-2005) inszenieren offenbar kulturelle Ängste. Die ihrem Ende entgegengehende Republik dieser Filme ist ja eine Karikatur einer UNO-ähnlichen, umfassenden aber letztlich machtlosen Bürokratie, wie sie sich aus amerikanischer Sicht darstellt. Sie hat der anwachsenden Stärke des »Imperiums« nichts entgegenzustellen. »Star Wars« hat damit in den Episoden I-III (die ja viel später als die Episoden IV-VI von 1977-1983 entstanden sind) eine sehr amerikanische, populäre Wahrnehmung von politischer Welt mit den Themen Dekadenz, Untergang einer Republik, Totalitarismus und neuer Hoffnung aus uramerikanischen Werten und Leitbildern heraus inszeniert. Das historische Rahmenmuster erinnert nicht zufällig an das Ende der römischen Republik und den Beginn der Kaiserzeit, wird aber zum Vehikel für eine durchaus neue und für Europäer nicht sofort wahrnehmbare Inszenierung eines sehr amerikanischen Weltbildes. Die »Täter-Opfer«-Symbolik bzw. die Thematisierung von »Stärke« und »Schwäche« in diesen Filmen kann nahezu bruchlos als untergründige Bearbeitung der Eigenarten amerikanischer Selbstwahrnehmung mit ihrem extremen Schwanken zwischen Opfer- und Täterrollen gesehen werden.

      Neben bedrohlichen, gefährlichen Geheimgesellschaften produziert die Populärkultur immer wieder auch die Idee uralter Bünde, die ein wertvolles Geheimnis bewahren (den Gral o.ä.). Ein bekanntes Beispiel wäre der Film »Indiana Jones and the Last Crusade« (USA 1989) mit seiner »Brotherhood of the Cruciform Sword«. Selbst die studentischen Verbindungen sind Gegenstand populärkultureller Klischees (oft mit beherrschenden Verschwörungselementen) geworden, so die Yale Society »Skull & Bones« in den Filmen »The Good Shepherd« (Robert de Niro, USA 2006) und »The Skulls« (USA 2000, mit zwei Fortsetzungen). Der chinesische Film »The House of Flying Daggers« (2004) des Regisseurs Zhang Yimou thematisiert die Geheimgesellschaft aus den Tagen der Tang Dynastie (die Handlung spielt im Jahr 859 n. Chr.), nach der er in seiner amerikanischen Version benannt ist, ebenso »The League of Extraordinary Gentlemen« (USA 2003), um auch an einem eher naiven Beispiel nicht vorbeizugehen. Und Stanley Kubricks »Eyes Wide Shut« (1999, sehr frei nach der Erzählung »Traumnovelle« von Arthur Schnitzler, 1926) ist die faszinierende Geschichte eines Mannes (im Film Tom Cruise), der in einer Ehekrise in den Bann einer sexualmagischen Geheimgesellschaft gerät, wobei für ihn diese Erfahrung in ihrer traumhaft-albtraumhaften Ambiguität eine kathartisch-läuternde Wirkung hat. Dieser Film darf als eine der bedeutendsten neueren künstlerischen Umsetzungen des Themas »Geheimgesellschaft« gelten, gerade weil er sich jeder klischeehaften Etikettierung entzieht.

      Auch die klassischen Romane des Genres Science Fiction bieten Beispiele, so die Bene Gesserit (ein Bund aufgeklärt-mächtiger »Hexen«) und die Bene Tleilax im »Dune Universum« des Frank Herbert, die »Brotherhood« in George Orwells »Nineteen Eighty-Four« (1948), das »Central Anarchist Council« in G. K. Chestertons »The Man Who Was Thursday« (1908), »Cabal« in diversen Romanen Robert A. Heinleins, das »Committee to Unelect the Patrician« und die »Elucidated Brethren of the Ebon Night« in der »Discworld Series« des Terry Pratchett, usw. Ein Geheimbund sind die Talamasca in Anne Rice´ Serie »Witches Chronicles« (1990ff.). Die Beispiele lassen sich nahezu beliebig vermehren. Häufig ist eine vage Anlehnung an reale, geschichtlich vorgegebene Gruppen, so in den Romanen von Dan Brown, aber auch z.B. in Elizabeth Kostovas hochgelobtem neueren Vampirroman »The Historian« (»Order of the Dragon«), der 2005 erschien. Die »Second Foundation« in Isaac Asimovs »Foundation«-Serie ist ursprünglich ein Geheimbund. In den Harry Potter-Romanen der J. K. Rowling spielen zahlreiche Geheimgesellschaften – oft zu einem bestimmten, begrenzten Zweck gebildet – eine tragende Rolle, im Guten wie im Bösen, so der »Order of the Phoenix«, die »Death Eaters« und schließlich »Dumbledore´s Army«. Parodien sind häufig: Wer könnte je die Simpsons-Episode »Homer the Great« (Erstsendung 1.8.1995) vergessen mit ihrer geistreichen, nicht unfreundlichen, aber doch heftigen und in vielem nur für Insider verständlichen Satire auf das Brauchtum der Freimaurer (unter dem Namen »The Stonecutters«)? Schon die Hanna Barbera-Zeichentrick-Serie »The Flinstones« (1960-1966) hatte mit ihren »Wasserbüffeln« eine Parodie auf geheimnistuerische Männerbunde nach freimaurerischem Muster; auch hier war das satirische Element nicht unfreundlich. Kaum erinnern müssen wir an den Klassiker dieses Genres, den Film »Sons of the Desert« (dt. »Die Wüstensöhne«) mit Stan Laurel und Oliver Hardy (USA 1933). Gerade satirische Bearbeitungen sind für die Klischee- und Stereotypforschung oft besonders aufschlussreich.

      In solchen literarischen und filmischen Umsetzungen, in denen der »Geheimbund« zum stabilen Motiv wird, spiegeln sich erwartungsgemäß jeweils konkrete gesellschaftliche Erfahrungen und vor allem öffentliche Diskussionen, die hier nun weitergeführt, radikalisiert, eventuell parodiert werden. Manche scheinbar fantastische Darstellung ist vielleicht erst im Rückblick als Bearbeitung zeitgenössischer Fragestellungen erkennbar. Als John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) plante, eine Fortsetzung zu »The Lord of the Rings« (1954), dem ohne Frage bekanntesten Fantasy-Roman des 20. Jhdts., zu schreiben, wählte er als Thema das Erstarken einer böse Geheimgesellschaft, gewissermaßen einer Untergrundreligion in einer Welt, die einige Jahre nach dem Tod der letzten Figuren des »Lord of the Rings« zu datieren ist. Es ist viel zu wenig bekannt, dass Tolkien eine solche Fortsetzung seines Magnum opus nicht nur geplant, sondern tatsächlich schon seit Ende der 1950er Jahre in mehreren Anläufen angefangen hatte zu schreiben, auch wenn der Text erst 1996 posthum unter dem Titel »The New Shadow« publiziert wurde. Dieses Fragment eines neuen Romans ist in seiner letzten Fassung intensiv durch die breite Diskussion dieser Jahre in Hinsicht auf neue, irritierende Religionen (damals sagte man: »Jugendreligionen«) geprägt. Es sind geheime Kulte unter Jugendlichen, die den Ring-Krieg nicht erlebt haben und Sauron wieder zu Kraft und Einfluss verhelfen wollen: »secret societies practising dark cults, and ‹orc-cults’ among adolescents« nennt sie Tolkien in einem Brief 15 Monate vor seinem Tod. Er schreibt dies zu einer Zeit, als sich die bürgerliche Angst gegenüber neuen Religionen unter Jugendlichen in Großbritannien (und Deutschland) auf einem Höhepunkt befand, Ländern, die zu dieser Zeit erst langsam in die multireligiösen Verhältnisse der Gegenwart hineingewachsen sind. Die verschwörerischen Jugendlichen in Tolkiens Romanfragment tragen schwarze Kleidung und nehmen sich die Orks und ihre Lebensverachtung zum Vorbild. Tolkien benutzt hier die Klischees der Sekten- und Satanismusangst: Es ist sehr schade, dass der Text Bruchstück geblieben ist, obwohl Tolkien mindestens drei Anläufe nahm, ihn fortzuführen. (Als Gründer satanistischer Geheimkulte erscheinen in Tolkiens Briefen übrigens auch die beiden »blauen Zauberer«, von deren Geschick wir in »The Lord of the Rings« nichts erfahren.) Tolkien hat sich in diesem Fragment in der Gestalt des greisen, aber körperlich rüstigen Borlas, der die


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