Letzte Fahrt. Robert Falcon Scott

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Letzte Fahrt - Robert Falcon  Scott


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3. Dezember. Gestern Abend nahm der Wind langsam ab, und die Schöpfarbeit wurde mit zweistündiger Ablösung ununterbrochen fortgesetzt. Es war eine unheimliche Nachtarbeit, bei dem heulenden Sturm, der Dunkelheit, den alle paar Minuten über das Schiff hinrollenden ungeheuren Sturzseen, ohne Maschinen und ohne Segel, die Männer der Wissenschaft zum Teil unten im Maschinenraum, schwarz vom Maschinenöl und Schlagwasser, die überlaufenden Eimer weitergebend, ohne Rücksicht auf die Köpfe der Tieferstehenden; dabei nass bis auf die Haut, so nass, dass einige es vorzogen, nackt wie chinesische Kulis zu arbeiten, während die anderen in Trikotjacken, Schifferhosen und Seestiefeln hantierten. Alle zwei Stunden eilten die Abgelösten in ihre Koje, um dort im Regenrock eingewickelt zu ruhen; aber nach zwei Stunden wurden sie wieder geweckt, schlüpften in das triefend nasse Zeug und eilten wieder an die Arbeit. Und sie blieben Sieger: Das Hin- und Herrauschen der Wellen auf dem Boden des Maschinenraumes bei dem trüben Licht zweier Petroleumlampen wurde von Stunde zu Stunde geringer. Um 10 Uhr abends war das Loch im Schott des Maschinenraumes gebrochen – Leutnant Evans kletterte über die Kohlen hinüber und fand seinen Weg zu dem Pumpenschacht und in ihn hinein. Bald hatte er den Ansauger gereinigt, und mit Freudenrufen wurde der erste tüchtige Wasserstrahl aus der Pumpe begrüßt. Von diesem Augenblick an waren wir gerettet. Alle Mann mussten nun abwechselnd an der Pumpe arbeiten, und obwohl sie sich noch mehrere Male wieder verstopfte, sank das Wasser im Maschinenraum gleichmäßig, und heute Morgen konnte man sich wieder darin aufhalten. Am Vormittag wurde wieder geheizt, die Ventile sind gereinigt und jetzt segeln und dampfen wir bereits wieder in bester Ordnung südwärts, zwei Striche von unserem Kurs. Mit einem Schlag sind wieder alle voller Hoffnung, die gestern Abend noch, wie sie mir heute gestanden, im Stillen an unserer Rettung verzweifelten.

      Unser Verlust ist nicht so groß, wie ich befürchtete, aber doch immer ernst genug. Abgesehen von der Zertrümmerung der Reling, haben wir zwei Ponys, nur einen Hund, 300 Liter Petroleum, 10 Tonnen Kohlen und einen Spiritusbehälter des Biologen eingebüßt. Das dritte Pony hat sich wieder erholt; es sieht ein wenig steifbeinig aus, wird aber wohl durchkommen, wenn wir keinen neuen Sturm bekommen. Osman, unser bester Schlittenhund, war heute früh sehr elend.

      See und Wind scheinen wieder stark zu werden und wir haben schwere, südliche Dünung.

      Montag, 5. Dezember. 56° 40’ südlicher Breite. Wir haben noch immer Dünung aus Südwest, wenn auch nicht mehr so heftig wie gestern, aber ich wünsche von Herzen, dass sie endlich ganz aufhören möge, und ich bete, dass keine Stürme mehr kommen! Auch die vier Ponys an der Backbordseite sind von dem furchtbaren Wetter sehr mitgenommen und es hängt so viel, ja alles von gutem Wetter ab.

      Dienstag, 6. Dezember. Die Dünung hat weiter abgenommen und wir kommen bei ruhigem Wetter tüchtig weiter. Ich bin hauptsächlich der Tiere wegen dafür aufrichtig dankbar. Noch ein Tag und wir sind aus dem Bereich der Weststürme heraus.

      Mittwoch, 7. Dezember. 61° 22’ südlicher Breite, 179° 56’ westlicher Länge. Ein scharfer Südwestwind trieb uns drei Striche aus unserem Kurs heraus, aber die See blieb ruhig, ein Zeichen, dass das Eis nicht mehr fern ist. Am Nachmittag betrug die Luft- und Wassertemperatur 1 Grad Celsius und ein günstiger Wind hat uns wieder in unseren Kurs hineingetrieben. Viele Vögel umflattern das Schiff; die ersten Eissturmvögel und die ersten Raubmöwen erscheinen und gestern Abend zeigten sich Delfine in der Nähe; dunkle, finster blickende Albatrosse und Seeschwalben begegnen uns unaufhörlich.

      Nach dem Sturm hatte das Hauptdeck unter dem Packraum, wo die Ponys untergestellt sind, ein böses Leck, und der Stallschmutz tropfte auf Hängematten und Bettstücke, ohne dass einer von der Mannschaft ein Wort darüber gesagt hätte. Mit Segeltuch und Ölleinwand suchten sie sich die Plage vom Leib zu halten; es war schon sowieso im Mannschaftsraum ungemütlich genug. Alles war durcheinandergeworfen, allenthalben hatte das Wasser seinen Weg dorthin gefunden, dabei Mangel an Luft, die nur durch die kleine Vorluke hereinkam, kein Tageslicht, sondern nur Lampenlicht, das allerhand Scherereien machte, die Männer alle nass bis auf die Haut, ohne Gelegenheit ihr Zeug zu trocknen – kurz, ihre fröhliche Standhaftigkeit ist geradezu bewundernswert.

      Gestern Abend trieb weit hinten im Westen der erste Eisberg vorüber und glänzte hin und wieder auf, wenn die Sonne aus den Wolken hervortrat.

      Donnerstag, 8. Dezember. Der Wind wuchs über Nacht zu einem mäßigen Sturm an, und heute haben wir den ganzen Tag hindurch gegen eine steife Brise und hohen Seegang anstampfen müssen. Am Abend hielten wir ein wenig ostwärts von unserem Kurs und konnten so wenigstens Vorder- und Achtersegel gefüllt bekommen. Aber dieser Gegenwind stellt meine Geduld sehr auf die Probe, zumal unser Kohlenverbrauch größer ist, als ich berechnet hatte.

      Das Stampfen und Schlingern des Schiffes störte mich die ganze Nacht hindurch, und bei jedem Stoß musste ich an die armen Ponys denken. Wie lange mögen sie wohl die Erinnerung an diese entsetzlichen Tage bewahren? Die Hunde sind wieder obenauf; für sie ist die Nässe das Schlimmste. Sie hätte uns beinahe unseren besten Leithund Osman gekostet. Er lag nach dem letzten Sturm so erschöpft da, dass er kaum noch ein wenig zitterte und sein Leben an einem Haar zu hängen schien. Er wurde in Heu warm eingepackt und lag so vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung, die er beharrlich zurückwies; dann aber zeigte sich die wunderbare Zähigkeit seiner Rasse: Er war hinterher wieder so kräftig wie zuvor.

      Freitag, 9. Dezember. 65° 8’ südlicher Breite, 177° 41’ westlicher Länge. Heute früh 6 Uhr wurden Eisberge und Packeis gemeldet; anfangs glaubte ich, das Packeis bestehe nur aus Bruchstücken der Berge, aber dann fuhren wir in einen Eisstrom von kleinen, abgezehrten Eistafeln hinein, die nicht mehr als 60 bis 90 Zentimeter dick waren. Wir steuerten deshalb nach Süden und Westen und konnten im offenen Wasser ziemlich geraden Kurs halten, obgleich wir fünf oder sechs weitere Eisströme durchquerten, von denen keiner mehr als 300 Meter breit war.

      Wir fuhren heute an mehreren schönen, meist tafelförmigen Eisbergen vorüber, deren Höhe bis zu 25 Metern ging. Einer kam so dicht heran, als ob er gefilmt werden wollte, und schien ziemlich frisch gekalbt zu sein. Zwischen den oberen Teilen des Eisbergs und den unteren war eine Verschiedenheit des Ursprungs deutlich erkennbar, als ob ein Landgletscher von einer Lage periodischen Schnees nach der anderen bedeckt worden sei. Zwischen diesen waagerechten Schichten harten, weißen Firnschnees zeigten sich eingesprengte Lagen aus blauem Eis.

      Ein anderer Eisberg zeichnete sich durch unzählige senkrechte Risse aus, die kreuz und quer liefen, sodass die einzelnen Klötze sich willkürlich bogen und formten, wodurch der ganze Berg ein überaus zerfetztes Aussehen erhielt.

      Wir beobachteten in diesen Tagen zahlreiche Walfische von der Art der Riesenwale (Balaenoptera Sibbaldi), die als die größten Säugetiere gelten. Zuerst sieht man einen kleinen dunklen Höcker auftauchen, und gleich darauf spritzt eine Fontäne grauen Nebels ungefähr zwei Meter hoch senkrecht in die kalte Luft empor. Wilson ist mehrmals von diesen Wasserstrahlen erreicht worden; sie hinterlassen einen Übelkeit erregenden Geruch nach ranzigem Öl. Dann verlängert sich der Höcker und empor wälzt sich ein ungeheuer großer, schwarzgrauer runder Rücken mit einem schwachen Wulst längs des Rückgrates, auf dem eine kleine hakenähnliche Rückenflosse erscheint. Dann verschwindet das Tier wieder in der Tiefe. Auch Vögel zeigen sich, antarktische Sturmschwalben, ein Eissturmvogel und heute Morgen Kaptauben.

      Es ist ganz unerklärlich, dass das Packeis uns so viel nördlicher begegnet, als wir erwartet haben. Wir haben den Tag über gute Fortschritte gemacht, aber am Abend verdichten sich die Eisströme zu beiden Seiten des Schiffes mehr und mehr, und das Packeis zeigt sich in bedenklich großen Feldern. Noch immer begegnen uns viele Eisberge, teils tafelförmig, teils fantastisch zernagt. Der Abendhimmel war wundervoll, mit jeder möglichen Wolkenform und mit jeder Art Licht und Schatten; die Sonne trat von Zeit zu Zeit aus den Wolkenlücken hervor und beleuchtete mit blendendem Glanz irgendein Eisfeld, einen steil abfallenden Eisberg oder ein Fleckchen blauer See, und Sonnenlicht und Schatten jagten sich beständig über unsere Bahn, die das Schiff auf glattem Kiel und gleichmäßig durchstrich, nur hin und wieder poltern treibende Eisschollen dagegen.

      Sollte das Packeis dick werden, so lasse ich das Feuer unter den Kesseln ausgehen und warte, bis sich das Eis wieder öffnet. Lange kann es auf diesem Meridian nicht geschlossen bleiben.

      Sonnabend,


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