Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Und was haltet ihr mir den Bauer auf dem Steinhofe noch mehr von der Arbeit ab? Soweit meine Besinnung reicht, haben sie zwarst alle, vom Vater zum Sohn, hier auf dem Hofe ’nen Vogel im Kopfe mit in die Welt gebracht, aber solch ein nichtsnutzig ganzes Nest wie dieser doch keiner! Du lieber Himmel, was daraus werden wird, weiß ich; und doch liege ich Nacht für Nacht wach und bitte, dass einer kommt und es mir sagt, gerade als ob ich es wie das höchste Glück nie genug hören könnte! O ihr junges Volk sollt es nur auch erst einmal erfahren haben, wie es dem Menschen zumute ist, wenn er sich so an seine Sorge anklammern muss und um seinen Willen gar nicht gefragt wird dabei!«
Das war gerufen und doch nur über den Tisch geächzt – »der Leute wegen«; – als ob die nicht schon längst Bescheid und den Vetter Just zu nehmen gewusst hätten, wie sie ihn gebrauchen konnten. Ihnen war es ganz bequem so, wie er war; und Jule Grote hatte recht, vollkommen recht in ihrem Jammer und Ingrimm: der Steinhof musste zugrunde gehen unter einem Bauer wie der Vetter Just Everstein.
Doch der Vetter Just ist eben mit dem Glase klaren Wassers aus seinem Ziehbrunnen für die Komtesse Irene zurückgekommen. Er hat fein ein Klettenblatt darunter gelegt, und ein Bär könnte es nicht zierlicher präsentieren. Endlich sind wir alle satt – sogar der Junge vom Hofe ist satt und äußert es durch einen klagevollen Laut, der aber nicht allein Seufzer ist und auch nicht bloß aus der Tiefe seines Busens sich emporringt. Ein jeder geht, mehr oder weniger gutwillig, wieder an seine Arbeit; nur der Vetter Just nicht, der doch am gutwilligsten gehen sollte. Und wir nicht; denn dazu sind wir wahrhaftig nicht vom Schloss Werden durchgebrannt!
Wir liegen, wie wir es uns auf jeder schattenlosen Stelle unseres Weges lockend ausgemalt haben, im hohen Grase, im Grasgarten des Steinhofes unter dem großen Kirschbaum; der Vetter Just Everstein aber sitzt in unserer Mitte am Stamm des Kirschbaumes und hält die Knie mit den langen Armen umschlungen. In der Küche hält Jule Grote die Kaffeemühle im Schoße und schüttelt die Haube und wirft bedenkliche Blicke durch das kleine Fenster nach ihren Gästen und ihrem in aller Welt nichts nützen jungen Herrn und Meister. Dieses aber gehört besser in ein ander Kapitel, und ich beginne das sofort.
Neuntes Kapitel
Es war nicht der erste Everstein mit einem Nagel oder Vogel im Kopf, den der Steinhof erzeugte. Es hatten schon mehrere des Namens die Umgegend in Erstaunen gesetzt; und dieser Freund Just war auch nicht der erste, den die Gegend »Vetter« nannte und von dem sie nach jedem Nachbarschaftsbesuche mit der Hand im Haar oder mit dem Knöchel des Zeigefingers vor der Stirn Abschied nahm und sich auf dem Heimwege fragte:
»Ist denn das ’ne Möglichkeit?«
Der Vetter Just musste es aber doch wohl in der Absonderlichkeit allen seinen Ahnen zuvortun; und was zu viel ist, das ist zu viel! »Vieles hat er von seinem Großvater und seinem Vater, aber nicht alles«, sagte Jule Grote.
»Der verfluchte Junge. Totschlagen könnte ich ihn alle Tage ein paar Male!« pflegte sein seliger Vater zu seufzen. »Und totgeschlagen hätte ich ihn auch schon längst, wenn mir da nicht immer sein Großvater in das Gedächtnis käme, Nachbar, und ich mir denken müsste, was kann er denn eigentlich dafür, wenn’s ihm einmal im Blut steckt?! Mich hat’s wohl gottlob übersprungen; aber seinen Großvater hättet Ihr kennen sollen, Nachbar. Na, richtig, Ihr habt ihn ja gekannt, und so müsst Ihr doch auch sagen, dass so ’ne Weisheit, als der prästierte, auch nicht allenthalben und immer für Geld und gute Worte zu haben ist. – So nehme ich ihn denn am Kragen und schüttle ihn in der hellen Wut, und er sieht mich dumm an und sagt nichts oder sagt: ›Ja, Vater!‹, und dann muss ich ihn wieder laufen lassen; – denn, Herr Amtmann, Sie sagen wohl, das müssen Sie eben nicht tun, Everstein, sondern Sie müssen sich und dem Bengel einen Zwang antun, aber nun ist denn dieses wieder nicht in meiner Natur. Ich kann leider Gottes den Grimm und die Wut über den Nichtsnutz nicht festhalten über dem Nachdenken über ihn. Es ist eben unsere Natur! Was für die anderen Bauern der Mist ist, das sind für uns hier auf dem Steinhofe die Hirngespinste und Spintisierereien; und seit Olims Zeiten ist das so mit uns gewesen. – Ja, Sie haben recht, Base, dass das nicht so weitergehen kann, wenn der Steinhof nicht zugrunde gehen soll, wenn ich mal die Augen zutue; aber Sie sind ein verständig Frauenzimmer, Base, und so will ich Ihnen denn meinen letzten Trost nicht vorenthalten. Sehen Sie mal, was hat uns auf dem Steinhofe seit mehr denn hundert Jahren immer wieder ’rausgerissen? Die gütige Vorsehung! So ist das bei meinem Vater gewesen und bei dem seinen und so weiterfort rückwärts. Immer hat sich noch, wenn die Not am größten war, – ein vernünftig Weibsbild gefunden, dem das Elend jammerte und das also ein gut Werk an uns tat und – uns nahm. Von meiner will ich nicht reden; aber seit sie auf dem Kirchhofe liegt, vermisse ich sie doch auch recht sehr! Aber meine Mutter, als was Justs Großmutter nun ist, das war eine Frau! Wenn ich da an meinen seligen Vater denke, so kann ich nur die Hände zusammenlegen und sagen: Uh jemine!… Und sehen Sie, Base, auf so eine hoffe ich denn auch zum Besten von meinem Strick von Jungen da, und bei allem, was nach uns kommt auf dem Steinhofe. Die Weibsleute haben uns noch immer aus dem blauen Nebel und allen Dummheiten herausgeholt. Denn was Sie auch sagen mögen, Base, angewiesen seid ihr ja doch allesamt mit eurem ganzen Interesse auf uns, wenn ihr uns mal genommen habt, eure uneigennützlichen Gefühle beim Jasagen ganz unbesehen. Sie brauchen da nur an den Ihrigen und sich selber zu denken, wenn Sie es mir erlauben, Frau Base.«
Für die Richtige war es wohl noch ein wenig zu früh am Tage.
»Wenn die Zeit kommt, werde ich mich nach ihr schon auf die Lauer legen, wie es mein Vater für mich getan hat und den sein Vater für ihn«, pflegte der Alte einer jeden solchen sorgenvollen Erörterung als Schluss anzuhängen. Leider erging es ihm wie den meisten Erdenbewohnern: er starb an einer Erkältung in der Heuernte, ehe er sich nach der Rechten auf die Lauer gelegt hatte; und der Junge hatte dann auch nicht weiter nach ihr gesucht, sondern die Tage und sein Wachstum in ihnen hingenommen, wie’s ihm kam, unter staatlicher Obervormundschaft und unter der Pflege und Vormundschaft von Jule Grote.
Die Sommersonne scheint auf den dichtbelaubten Kirschbaum, und Licht und Schatten halten ihren flimmernden Tanz auf dem weichen Grase unter ihm. Irene hat ihren blonden Kopf in Evas Schoß gelegt und ist dem Schlafe näher als dem Wachen. Ewald liegt lang ausgestreckt auf dem Bauche, hält seinen Kopf auf beide Fäuste gestützt und starrt blinzelnd auf den Vetter und zuckt mit den Ellenbogen, als ob er die ganze Welt in die Seite stoßen und sie gleichfalls auf ihn aufmerksam machen möchte. Auch ich halte in der grünen Kühle die Augen nur mit Mühe offen; aber annähernd horche ich doch auf alles, was hin und wieder gesagt wird, und gebe auch wohl mein Wort mit drein.
»Wenn du lange genug nachgedacht hast, so darfst du meinetwegen dreist sagen, was du denkst, Just. Wenn ich satt bin und weich liege, kann ich allen