Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.du mir mit deinen Spinnen im Kopfe auf deinem angeerbten höchst realen väterlichen Dünger und in der Gesellschaft von Jule Grotes Ferkeln und Küken auf. Nachher werden wir weitersehen und den Kerlen mit ihren Systemen beweisen, dass doch auch in unserem Durcheinander und Kopfüber-Kopfunter ein gewisses System vorhanden ist! Bitte, geniere dich ja nicht, du Tropf! Rede mir nur drein und zappele dich ab, um dir und mir meine Widersinnigkeit zu beweisen. Es haben mich schon ganz andere Völkerschaften und Herrschaften als du für absolut ungereimt erklärt und das mir sogar auch schriftlich gegeben; ich habe aber zuletzt immer doch noch einen ziemlich passenden Reim auf sie zu finden gewusst. Nur schade, dass ich nicht wie ihr sagen kann: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
Zehntes Kapitel
»Wie süß das Mondlicht auf dem Hügel schläft!«
Es schläft auf allen Hügeln in der Ferne der Erinnerung für den rechten Menschen: die Sonne mag ihm noch so häufig hell und scharf aufgegangen sein im Leben.
Und Porzia sagt:
»Das Licht, das wir da sehen, brennt im Saal:
Wie weit die kleine Kerze Schimmer wirft!«
Und Porzia sagt:
»Horch, Musik!«
»Es sind die Musikanten Eures Hauses«, antwortet Nerissa; und – one touch of nature makes the whole world kin: wer möchte nicht immer so nach Hause kommen bei Mondenlicht und wenn der Schein der heimatlichen Lampe durch die Bäume flimmert und des Hauses Musik dem Heimkehrenden, der den heißen Tag mit seinen Freuden, Nichtigkeiten und Widerwärtigkeiten durchwanderte, leise und wehmütig, aber süßer und herzlösender als alles, was der Tag zu bieten hatte, von fernher entgegenklingt?
Das ist nicht bloß in Belmont so gewesen, das war lange vorher so, ehe Venedig existierte, und wird hoffentlich auch wohl noch so sein, wenn es längst wieder in dem Sumpfe, aus dem es emporstieg, versunken ist.
Wie oft sind wir so heimgekommen, wir glücklichen Kinder damals?! Aus den grünen Wäldern und aus den bereiften Wäldern. Aus der Maiblumenzeit und aus dem Herbststurm. Von der Johanniswürmerjagd und vom Eislauf. Sie behaupteten dann jedes Mal, dass sie sich recht sehr um uns geängstigt hätten; aber dieses gehörte ja ganz und gar zu der Musik, mit der uns die Heimat empfing, und wer möchte in späteren Jahren einen Ton der besorgten Liebe, die früher auf ihn achtete, in der Erinnerung vermissen?
Sie haben es uns nicht merken lassen, oder aber wir haben auch wohl nicht darauf geachtet, dass viel grimmigere Sorgen als unser spätes Nachhausekommen das Schloss Werden ängstigten. Der Herr Graf hat es seiner Tochter nicht mitgeteilt, welch einem schlimmen Shylock mit Messer und Waagschale seine Existenz verpfändet war. Er hat seine Lebensnot für sich behalten, wie meine Mutter ihre Ahnungen davon gleichfalls nicht laut werden ließ. Selbstverständlich haben doch viele Leute darum gewusst; wir aber nicht, denn zu den »Leuten« gehörten wir eben damals noch nicht. Es gehört erst das richtige Alter dazu, ehe man zu seinem eigenen Schaden von der Welt unter jenes Sammelwort mit einbegriffen wird.
Dass es schlecht um den Steinhof stand, wussten wir; denn Jule Grote tat ihrer Zunge keinen Zwang an in ihren Warnungen und Vorwürfen, mit denen sie ihn (den Vetter Just einbegriffen) immer noch zu retten oder, wie sie sich ausdrückte, »herauszureißen« hoffte; – aber wie schlimm es um Schloss Werden stand, das haben wir erst erfahren, als nichts mehr herauszureißen war. Die Leute hatten eben viel zu viel Respekt vor dem Herrn Grafen, um ihm mit ihren Warnungen, Redensarten, gutem Rat und Vorwürfen zu kommen.
Aber aus Kindern werden Leute. Die Zeit steht nicht still – weder in dem grünen Walde noch im entblätterten, weder über der Weizensaat noch über dem Stoppelfelde, nicht auf dem Flusse noch diesseits und jenseits desselben, weder in Bodenwerder noch auf dem Steinhofe und auf Schloss Werden.
Wir sind vier oder fünf Jahre älter geworden und, was uns Knaben anbetrifft, eben dem Gymnasium entwachsen. Ich habe mich der Philologie gewidmet und treibe die dahin einschlägigen Studien in der großen Stadt Berlin; was daraus werden wird, ist mir augenblicklich noch recht dunkel; ich habe eigentlich nicht gerade viel Lust, später einmal den gelehrten Schulmeister zu spielen und meinesgleichen wiederum heranzubilden und großzuziehen. Ewald Sixtus befindet sich auf einem süddeutschen Polytechnikum. Er hat die Absicht, Baumeister, Ingenieur oder dergleichen zu werden, und kostet vorderhand seinem »Alten« in dem »billigen Süden« ein Erkleckliches.
»Unser römischer Namensvetter würde wohl andere Saiten gegen seinen Jungen aufgezogen haben, wenn die Wechsel nie reichen wollten«, brummt der Alte in dem Försterhause. »Aber der Wildkater weiß es einem immer so plausibel zu machen, Herr Graf; – und dann ist da jedes Mal, wenn die Ferien kommen, seine Schwester für ihn da, Frau Langreuter, und geht einem um den Bart; und so ein gutes Kind wie das Mädchen, Frau Langreuter, das hat die Gegend hier herum noch nicht weiter aufgezogen; die gnädige Komtesse ist natürlich ganz anders ein nettes, vornehmes Frauenzimmer. – Ei, sieh mal, Fritze, bist du auch mal wieder da? Jaja, der alte Kessel! Nicht wahr, es rudelt sich doch immer wieder ganz gut daselbsten? Na, morgen kommt auch mein Junge; da werden ja denn wohl das stille Leben und die Friedlichkeit für anderthalb Monate ihr Ende haben.«
Ich sollte nun auch wie der Papa Sixtus von den zwei jungen Damen oder den beiden Mädchen, Irene und Eva, in zwei Worten ein Charakterbild geben. Und dies wunderbare Thema lässt sich im Grunde auch wirklich so abmachen. Sie waren Fräulein, die eben zu Jungfräulein geworden waren; und sie übersahen uns weit.
»Sie können einen verrückt machen mit ihrer klassisch großartigen Süffisance«, sagte Meister Ewald und meinte hauptsächlich die Komtesse Irene. »Ho, ich glaube wahrhaftig, man muss sie erst geheiratet haben, um ganz genau zu erfahren, was eigentlich hinter ihnen steckt!«
Großartige Selbstgenügsamkeit hatte ich Even in ihrem Verkehr mit mir nicht vorzuwerfen; aber es kam ziemlich auf dasselbe hinaus, wenn ich dann und wann ihr Betragen für höchst sonderbar und sie für ein merkwürdig unberechenbares Frauenzimmer erklärte. Dass man ein »Frauenzimmer« heiraten könne, war mir in dem Kreise meiner Vorstellungen als etwas Mögliches und vielleicht auch zu Erstrebendes noch nicht deutlich und fasslich. Die geniale Äußerung Ewalds in dieser Beziehung überhörte ich zuerst ganz, dachte dann am nächsten Tage zufällig wieder daran und schrieb sie mir erst in der folgenden Nacht als eine kolossale Frechheit und als – etwas ungemein Interessantes fest ins Gedächtnis.
Gewachsen