Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Übrigens kennt er die Gegend aus dem Grunde, und ich werde unbedingt diese Bekanntschaft nicht kaltwerden lassen; sobald ich daheim nur einigermaßen in Ruhe bin, werde ich ihm nochmals meinen Besuch machen. Und sein Buch muss ich doch auch mal wieder lesen.«
»Hoffentlich findest du noch ein Exemplar in einer Leihbibliothek, lieber Ewald; und wahrscheinlich werden seine Provinzgenossen dasselbe seit dem Jahre achtzehnhundertneunundfünfzig durch ihre Randglossen und Fußbemerkungen noch um ein bedeutendes lesenswerter gemacht haben.«
»Man trifft doch überall in diesem närrischen Deutschland – auch wo man es nicht vermutet – auf recht verständige, achtungswerte und spaßhafte Menschen«, schloss der jetzige Besitzer von Schloss Werden diesen Abschnitt unserer Reiseunterhaltung. Der Doppelkirchturm von Finkenrode verschwand bei einer Biegung des Flusses hinter einem bewaldeten Höhenzuge; ich aber steckte nun einmal in den Kindern von Finkenrode, und ich blieb darin stecken, und es erschien mir doch fast unbegreiflich, dass der Verfasser heute so wenig Verständnis mehr für die Wahrheit und Wirklichkeit dessen hatte, was er vordem niederschrieb. Im Halbtraum musste er geschrieben haben, wie wach und munter er dann auch späterhin das Ding in den Druck geben mochte!…
Es ist kein ander Näherkommen, wenn es sich um die langentbehrte, halbvergessene Heimaterde handelt, dem zu Schiffe zu vergleichen. Nicht die Fußwanderung und noch viel weniger der Wagen bieten dies freie, leichte Getragenwerden. Wir wollen uns keine Illusionen machen über unsere Stärke in der Welt: es ist bei allen Dingen die Mühelosigkeit, die wir zuerst wollen und die im großen wie im kleinen bei jeglicher Erhebung über den dahinschleichenden Tag und die dahingeschlichenen Tage das Willkommenste ist. An einen Schiffsrand gelehnt stehend, einst so vertraute und seit Jahren wie versunkene Bergesgipfel von neuem auftauchen, wachsen und sie immer deutlicher und immer bekannter sich in den Gesichtskreis schieben zu sehen: was geht darüber?! Und wenn ich vorhin gesagt habe, dass wir erst auf der Reise von unseren Verhältnissen zu der Heimat und vor allem von denen des Freundes Ewald Sixtus gesprochen hätten, so war das im vollen Sinne des Wortes erst auf diesem Schiffe und nachher auf dem Fußwege nach Schloss Werden der Fall.
»Lache mich nicht aus, Fritz«, murmelte der Irländer, »ich wollte, wir wären erst acht Tage älter! Du kannst da gleichmütig genug sitzen und die liebe Gegend näher kommen sehen; aber ich – och faix, woran es eigentlich liegt, kann ich nicht sagen, aber ich versichere dich, ich fange allmählich an, Angst zu kriegen wie ein Schuljunge, der erst die Schule geschwänzt hat und dann noch zu spät zum Essen kommt. Ich wollte, by Jove, wir hätten noch den Stadtrat bei uns, ich fange an einzusehen, dass er noch etwas mehr war als eine bloße Reisezerstreuung. An diese Stimmung habe ich, weiß Gott, in der Fremde nicht gedacht, und ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn ich sie mir vom Leibe und aus der Seele ferngehalten hätte! Fritz, ich weiß nicht, wie’s zugeht, aber ich gäbe jetzt viel für einen tüchtigen Landregen mit obligatem Verkriechen in der Kajüte. Das Wetter ist mir heute zu schön und die alten Berge dort in der Ferne viel zu blau!… Da ist der Pastor von Dölme, und da der Kirchturm von Pegestorf! – Der Werder hier im Fluss war vor fünfzehn Jahren auch schon vorhanden. O Langreuter, Langreuter, der Pastor von Dölme! Er schneidet noch dieselbe Sandsteinfratze wie – zu unserer Zeit; was ich aber jetzt für ein Gesicht ziehe, das weiß ich nicht und verlange auch nach keinem Spiegel. Langreuter, ich wollte, die Gegend wäre nicht ganz so sehr dieselbige geblieben! Wie alt mag wohl der Alte geworden sein?… Und die Eva? Und – – – na ja, und ich habe es auch nicht gewusst bis jetzt, um wie viel ich selber älter geworden bin!… Da sollte man sich doch wirklich in den grauesten Sumpf vom grünen Erin hineinwünschen bis an den Hals. O Fritz, Fritze, o – Fritz Langreuter, der Tag ist mir heute zu schön, und die Nachtfahrt und die angenehme Unterhaltung, das Frühstück des Stadtrats Bösenberg sind wahrhaftig nicht allein schuld daran. O, der Vetter Just vom Steinhofe! Du brauchst es ihm weiter nicht auf die Nase zu binden, Fritz; aber ich wollte –«
Er brach ab, schüttelte den Kopf und sagte es nicht, was er in betreff des Vetters Just und seiner selbst jetzt lieber anders gewünscht hätte. Nur mit Mühe gewann er das alte drollige Zucken um die Mundwinkel noch einmal wieder, als ich ihn fragte: »Sie wissen es doch wenigstens, dass du in diesen Tagen nach Hause zurückkehrst?« und er mir die Antwort schuldig bleiben zu wollen schien.
»Sie wissen es nicht, Ewald? Und sie wissen auch nicht, dass du heute der Herr von Schloss Werden bist?!«…
Alle alte Knabenkomik und Verschmitztheit verschwand aus den wirklich hübschen und doch zugleich mannhaften Zügen des Ingenieurs:
»Weiß Gott, da ist Rühle und sieht auch noch geradeso aus als damals, wo wir hier die Welt allein zu haben glaubten! Ja, es ist ein dummer Jugendstreich! Meine Flegeljahre haben sich aber nur ein paar Lustren weiter erstreckt als die anderer Leute, und ich habe das nur bis in diese Stunde hinein nicht gewusst. Bis heute bin ich wie diese nette Gegend der nämliche geblieben, und nun kommt es mir auf einmal vor, als ob von heute an meine Buße darüber recht nachdrücklich ihren Anfang nehmen könne. O Fritz, ich glaube, dass ich, trotzdem dass ich Schloss Werden für – euch alle wiedergewonnen habe, doch nur wenig Dank dafür zu erwarten habe und – ganz mit Recht!… Ob sie zu Hause – ob – ob Irene – ob sie alle über alles genau Bescheid wissen, ist wohl gleichgültig. Ganz mit Recht werden sie verschnupft sein, und ich wollte jetzt, ich hätte etwas Besseres und anderes getan, als die alten Jugendwitze noch einmal und im vergrößerten Maßstabe zu wiederholen! Ja, und du hast es selbstverständlich sofort herausgerochen, alter Verstandesmensch! Es gehörte meiner Meinung nach in Belfast dazu, dass ich nur mit meinem Advokaten in Bodenwerder und niemand sonst über das Geschäft korrespondierte. Wie viel von der Affäre dessenungeachtet unter die Leute durchgesickert ist, kann ich natürlich nicht wissen, aber ich ahne jetzt, es ist genug gewesen, um mir den Empfang nach allen Seiten hin zu gesegnen. Och honey, wie sieht sich das alles von der Fremde aus so ganz anders an! Da hatten wir mal in Dublin einen verrückten jungen Kerl aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, der führte seinen Papa, um ihm eine Geburtstagsfreude zu machen, eines Morgens ans Fenster und sagte: ›Sieh mal, lieber Vater, da habe ich dir einen Elefanten gekauft!‹ Och, Freddy, Freddy, das Gesicht des alten Baumwollenimporteurs Mr. Maloney senior passt ganz und gar in meine dermalige gemütliche Stimmung. Ich bin auch in diesem Moment durchaus nicht mehr darüber im klaren, was ich eigentlich gekauft habe, um meinen Angehörigen und – Irene – Everstein – eine – Freude zu machen! Was sollen sie auf dem Försterhofe mit meinem Elefanten anfangen, und wie – wie wird – Irene Everstein darüber denken?«
Da