Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Ehe gelebt.«
»Ja so… richtig… das habe ich!« sagte der Gelehrte etwas sehr gedehnt. »Also, wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie wissen, wie der denkende Mensch sich in einem solchen anormalen Verhältnisse zurechtfinde? O Hagebucher, Hagebucher, Sie betrüben mich sehr: ich blicke in diesem Momente tief in Ihre Zukunft und sehe nichts Erfreuliches! Wie undankbar sind Sie doch gegen Ihre Moira, die Sie bis jetzt so trefflich leitete und Ihnen alles aus dem Wege räumte, was Sie hinderte, ein Licht in der innerafrikanischen Sprachennacht zu werden, vom Koptischen gar nicht zu reden! O lassen Sie sich warnen, Hagebucher, heiraten Sie nicht! Der Nutzen ist gering und die Auslage an eleatischer Euthymia für den philosophischen Menschen viel zu bedeutend! Spreizen Sie die Beine auseinander, stemmen Sie die Füße fest, sperren Sie sich, sträuben Sie sich; o Hagebucher, Hagebucher, gehen Sie mir, gehen Sie sich, gehen Sie uns nicht auch verloren wie so viele andere, die ich kannte und welche der reinen Wissenschaft schnöde den Rücken wandten, um der angewandten Nichtigkeit unaufhaltsam in die Arme zu fallen!«
Die Lauscherin hinter dem Busch seufzte ebenso tief wie der Papa, jedoch aus einem anderen Grunde; Hagebucher aber sagte gerührt:
»Nur die reine Wissenschaft ist’s, die mich auch auf dieses, wie ich zugebe, nicht ungefährliche Feld der menschlichen Forschung treibt; die praktische Anwendung des Erforschten liegt sicherlich noch weitab. Es ist damit wie mit allem, was ich bis jetzt zusammenraffte: ich hab es nur, um es zu haben.«
»Das lässt sich hören; und zuletzt ist das auch der einzig richtige Standpunkt des wahren Gelehrten«, meinte der Professor lächelnd. »Was aber soll ich Ihnen sagen? Meine Erfahrungen sind so subjektiver Natur, und auch meine Therese halte ich für eine so spezifische Erscheinung, dass Sie unmöglich durch eine Schilderung derselben zur objektiven Anschauung des ganzen Geschlechtes gelangen werden.«
»Mehr als in einem anderen Falle bilden in diesem viele Tropfen einen Wasserfall«, sprach Leonhard mit allem dem Thema angemessenen Ernst. »Was könnte der Mann über das Weib anders als Subjektivitäten zutage schaffen?«
»Sie, nämlich meine Selige, hat sich für mich und mein Wohlbehagen aufgeopfert«, seufzte der Professor, das Hauskäppchen vom rechten Ohr auf das linke schiebend. »Sie sagte das mir zwar täglich; aber eingesehen hab ich es leider erst, als sie nicht mehr war. Ach, lieber Freund, da sitzt man als Jüngling in seiner Einsamkeit und denkt an nichts und lässt es sich zwischen seinen Büchern und seinen vier Wänden so wohl sein, wie man kann. Niemand kümmert sich um einen und man kümmert sich ebenfalls wenig um die Welt; sein Mittagessen findet man im Kaffeehaus, und einen abgesprungenen Knopf näht man sich selbst wieder an – man weiß gar nicht, wie glücklich man ist und wie gut man’s hat! Es hindert einen niemand, in den Tag oder die Nacht hineinzuträumen, und man hat seine Träume – nicht wahr, lieber Hagebucher, man hat sie? Ich habe sie jedenfalls gehabt, und das ist grad das beste dran, dass man sich Zeit dazu nehmen kann im Hellen wie im Dunkeln, dass man sie von seinem Schreibtisch hinaus in die Gasse oder das freie Feld und von dort zu seinem Schreibtisch zurücktragen kann, ohne Rechenschaft darüber ablegen zu müssen! Das war ein angenehmer Tag, an welchem ich sie, das heißt meine Therese, fragte, ob sie die Meinige, das heißt meine Frau werden wolle, eine recht mysteriöse Stunde war’s; aber, mein bester Freund, als sie ja gesagt hatte und ich dann gegen Mitternacht wieder in meinem Junggesellenstübchen allein war und mir die überschwengliche Seligkeit zurechtlegte, da sind mir doch die hellen Tränen in die Augen gekommen: es stand nichts mehr am richtigen Fleck, und jedes Ding, mit welchem ich seit undenklichen Jahren auf dem Du-Komment stand, blickte mich nunmehr mit so fremden Augen an, dass ich mich ordentlich davor fürchtete. Mein Tabakskasten, meine Büchersammlung, mein Stiefelknecht, ja mein alter Schlafrock, welche sämtlich bis jetzt meine Freunde und mein Eigentum gewesen waren, waren jetzt mit einem Male zu Fremden, zu Mächten geworden, die mir zwar noch dienten, aber alle schöne Vertraulichkeit strengstens von sich wiesen. Mein neues Glück warf seinen Schatten über mein altes Behagen, und im Anfang hat das denn doch etwas Unheimliches.«
»O dieser Papa!… Das ist ja ganz allerliebst«, murmelte Serena hinter dem Busche; der Professor aber ging ohne Unterbrechung in seinem ihm nunmehr höchst geläufig werdenden Texte weiter:
»Ja, Hagebucher, es ist ohne Frage ein süßer Zustand, wenn man sich so nicht mehr allein in seiner Existenz findet; aber gewöhnen muss man sich dran – sehr, sehr daran gewöhnen. Trotz aller schönen Befriedigung fühlt man sich so kahl, so weichlich wie ein Hummer ohne Schale, und man schämt sich, und nicht allein vor seinen alten Freunden, sondern auch vor dem Stiefelknecht, der Kaffeemaschine und dem Schlafrock.«
»O diese Helden, diese Helden!« murmelte Serena und hatte große Lust, wie Zieten aus dem Busch hervorzuspringen und ihre Meinung kundzugeben; doch jetzt äußerte sich Hagebucher dahin, der erste Eindruck, welchen das europäische Weib auf den Herrn Professor gemacht habe, scheine ziemlich beängstigender Natur gewesen zu sein und die Tatsache verdiene unbedingt ein intensives Nachdenken.
»Sehr beängstigender Natur!« wiederholte mit jedenfalls intensivem Kopfschütteln der Professor. »Warten Sie nur; – da wir einmal die Grammatik beiseite legten, lassen Sie uns unser jetziges Thema weiterverfolgen, es ist merkwürdig, wie die alten Erinnerungen einem bei Gelegenheit zurückkommen! O popoi, wozu wäre man ein philosophisch gebildeter Mann, wenn man sich nicht auch an sein Glück gewöhnen könnte, vorzüglich, wenn man so weich und warm von der Liebe zugedeckt wird! Therese war gut wie ein Engel, und ihre Verwandtschaft war nun auch plötzlich da; die angenehmsten Aus- und Einsichten eröffneten sich auf allen Seiten; die Periode, in welcher man sich fragte, weshalb man eigentlich so lange gezögert habe, so glücklich zu sein, stand in ihrer vollen Blüte, und die Verwandtschaft tat nach Kräften das Ihrige, einem die ganze Größe seines Gewinns klarzumachen. Da war jener rotnäsige zugeknöpfte Herr mit der großen Schnupftabaksdose auf dem Museo. Ich hatte drei Jahre lang dreimal in jeder Woche Domino mit ihm gespielt, ohne seinen Namen zu wissen, geschweige denn danach gefragt zu haben, und nun entfaltete er sich auf einmal als ihr Onkel Pfeffermütze und fragte: Also hat sie dich endlich, mein Sohn?! – Und eine Tante Pfeffermütze trat auch aus dem Nebel hervor, nahm ein genaues Register meiner Leibwäsche und meiner Schulden auf und erwies sich erschrecklich inquisitorisch und höhnisch dabei. O du meine Güte, diese alten, guten, süßen Erinnerungen! Wie oft ist das Gras über ihnen gemäht worden! Jaja, Hagebucher, ich gehe gern auf dem Kirchhofe spazieren und habe längst Bekanntschaft mit dem