Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.lassen können«! Er war da, mit dem besten Appetit für alle Freuden und Herrlichkeiten der Residenz und mit dem größten Wohlwollen in betreff all ihrer Bewohner; seinen Leutnant hatte er noch nicht zu Gesicht bekommen.
Der Vetter Wassertreter fasste zuerst den Afrikaner in die Arme, dann aber auch den Professor, welchen er mit seinem alten Burschennamen »Pilz« jauchzend begrüßte, worauf Professor Reihenschlager, der mit genauer Not dem Erdrücktwerden entgangen war, ebenso freudig jauchzte:
»Hurra, Schaumlöffel! Ohne dich wär’s auch nicht gegangen! Es ist wacker von dir, dass du gekommen bist.«
»Und hier stelle ich dir meinen Freund Bumsdorf vor, Pilzchen! Leonhard kennt ihn, ein Biedermann und rationeller Landwirt ersten Ranges. Weißt du, Pilz, Bumsdorf, uraltes Geschlecht, wird dich sehr interessieren!… Bumsdorf, hier haben Sie den Professor Reihenschlager, meinen guten Freund und Korpsbruder – gelehrtes Lumen, Abhandlung über die ägyptische Finsternis, koptisch-grammatikalischer Lexikonswüterich! Muss Sie unmenschlich freuen, Bumsdorf! Mach die Tür zu, Leonhard, wir bringen einen harten Winter von Nippenburg mit.«
»Halt, offenlassen!« schrie der Dynast, die Hand des Professors halb abgeschüttelt freigebend und mit Energie sich der Pforte zuwendend:
»Sievers, rück ’r herein, lad Er ab!«
Und Sievers, ein breitschultriger, kurzbeiniger, stiernackiger Vasall des Bumsdorfer Feudalsitzes, stapfte in das Gemach, mit einem Flaschenkorbe und einem Viktualienkober beladen, setzte beides auf den Boden, scharrte den Herren einen schönen guten Morgen und zog sich, fortwährend den staunenden Täubrich-Pascha im Auge haltend, rückwärts schreitend an die Wand zurück.
»So, jetzt können wir die Klappe mit gutem Gewissen schließen!« sprach der Herr von Bumsdorf. »Jetzt sind wir komplett. – Die Viktualien schickt heimlich die Mama Hagebucher, Leonhard, die Flüssigkeiten liefre ich; frühstücken wir also vor allen Dingen gut bumsdorfisch, nachher können wir dann mit umso größerem Gusto an die Tabeldehot im Hotel de Prusse denken.«
»Rücken Sie den Tisch heran, Täubrich!« rief der Vetter Wassertreter, und der Jerusalemer Schneider, welcher sich bis jetzt noch immer nicht satt an dem Bumsdorfer Vasallen gesehen zu haben schien, wurde unter diesem Anruf auf einmal höchst munter und lebendig. Um elf Uhr war die Sache ungeheuer gemütlich geworden; die vier Herren taten dem improvisierten Frühstück alle Ehre an; der Pascha und der Vasall warteten ihnen und sich selber mit dem lobenswürdigsten Eifer auf, und selbst Leonhard Hagebucher vergaß auf eine kurze Stunde das dunkle Gewölk über seinem Haupte. Von Bumsdorf und Nippenburg brachte der Vetter unbegreiflicherweise nicht die kleinste Neuigkeit mit. Jedermann befand sich wohl, aber jedermann wusste immer noch, was er sich schuldig war, und hielt seinen Standpunkt mit dem löblichsten Selbstgefühl fest. Was das Haus Hagebucher im besondern betraf, so vergrunzte der Alte freilich noch immer seine Tage und machte den Hausgenossen das Leben sauer und dunkel genug; aber der Vetter Wassertreter sah auch hier heiter in die Zukunft und hoffte das Beste von einem Fackelzug und einer Deputation mit Musik, welche dem zürnenden Greis vor die Türe rücken und ihn mit allen Ehren in den Goldenen Pfau zurückholen sollte.
»Du kennst und würdigst mich immer noch nicht gänzlich, Leonhard!« rief der Vetter. »Der ganze Apparat ist längst beisammen. Morgen um zehn Uhr fahren wir heim, um drei Uhr nachmittags sind wir in Nippenburg, und das Experiment kann auf der Stelle gemacht werden. Ich tanze wie Demokrit vor dem Zuge der Abderiten; ich halte eine Rede, und nachher ist Festessen im Pfau. Der Onkel Schnödler tut Abbitte, der Alte bekommt eine Ehrenpfeife, und sämtliche Klubmitglieder lassen sich später fotografieren und werden ihm in einem kalbledernen Album mit Goldschnitt überreicht. Wenn das nichts hilft, so werde ich freilich meine Kenntnis des menschlichen Herzens in die nächste Trödelauktion geben und mich keineswegs verwundern, wenn kein Nippenburger drauf bietet.«
Um zwölf Uhr klang man zum letztenmal die Gläser für den Erfolg des Abends an. Der Professor Reihenschlager hielt eine kleine Ansprache, in welcher er den Afrikaner ermahnte, den freien, heitern Blick des gegenwärtigen Augenblicks ja für die kommende große Stunde festzuhalten, was Leonhard versprach, leider aber nicht hielt. Der Vasall und der Pascha, welche um diese Stunde einander besser kennen- und schätzengelernt hatten, tranken Brüderschaft, und gegen ein Uhr erschien der Leutnant Hugo von Bumsdorf zum zweiten Mal in Hagebuchers Wohnung, wurde zärtlich in die väterlichen Arme gezogen und warf über die Schulter des ahnungslosen Alten einen gerührten und dankbaren Blick im Kreise der Anwesenden umher.
»Die Laune wäre schon recht!« flüsterte er dem Afrikaner zu. »Jetzt führ ich ihn ins Hotel de Prusse und nachher – – ah!«
Und sie gingen zum Hotel de Prusse, aber Leonhard ging nicht mit ihnen. Die lichte Stunde war nur allzu schnell vorübergeflogen, und mit dem vollen Bewusstsein seiner Lage stand der Redner vor den Flaschen und Tellern des Frühstückstisches und hob von neuem an zu memorieren. Täubrich-Pascha aß weiter und schien die Absicht zu haben, sich vollständig durch den Tag durchzufressen.
»Es ist einzig und allein die Aufregung!« seufzte er beschönigend und stellte dadurch sein treffliches Verdauungssystem doch ein wenig zu sehr in den Schatten.
Was hilft es, die Sanduhr vor Ablauf der Stunde umzukehren, man hält die Zeit dadurch ebensowenig auf, als man sie dadurch beschleunigt, wenn man das Glas ungeduldig schüttelt. Gegen ein Uhr klopfte und bürstete Täubrich seinen eigenen Frack in seinem eigenen Gemache, und gegen vier Uhr klopfte es abermals an die Tür Leonhard Hagebuchers, und wiederum fuhr er zusammen, wie unter der Peitsche von Abu Telfan.
Diesmal trat der Major Wildberg herein, der einzige, auf welchen der Redner, infolge des Billetts der Frau von Glimmern, mit einiger Ungeduld gewartet hatte und welchen er freudig in der Voraussetzung begrüßte, dass er ihm etwas Förderliches mitzuteilen haben werde. So war es auch, aber doch nicht gerade so, wie der Mann aus dem Tumurkielande es sich vorgestellt hatte. Der Herr Major brachte die schönsten Grüße und besten Wünsche von seiner Frau Emma, allein er brachte sie mit einer sehr bedenklichen Miene, und nach einigen allgemeinen und gleichgültigen Redensarten kam er schnell zur Sache. Wir aber können uns begnügen, einen Auszug seines Vortrages mitzuteilen; denn jeder verständige Mensch kann bei einigem Nachdenken sich selber sagen, was er zu sagen hatte.
Es gab allerlei Stimmen und Stimmungen in der Residenz. Es gab eine