Luthers Glaube: Briefe an einen Freund. Ricarda Huch

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Luthers Glaube: Briefe an einen Freund - Ricarda  Huch


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kurz in allerlei Übungen zum Zwecke der Selbstüberwindung; Luther fand aber, daß er sich, je ernstlicher er in ihrer Ausführung war, desto weiter von dem ersehnten Ziel entfernte. Je tadelloser, je heiliger er am Maße der Werke gemessen wurde, desto dunkler, kälter und leerer fühlte er sein Inneres. Was er auch tat, um sich gewaltsam Gott zu nähern, das Ergebnis war, daß er ihm immer ferner rückte, bis an den Rand der Hölle. Unter Verzweiflungsqualen machte er die Erfahrung, daß man zugleich in seinen Handlungen gut und in seinem Innern unselig sein kann; daß zwischen Handeln und Sein eine unüberbrückbare Kluft besteht, solange die Handlungen aus dem bewußten Willen fließen, daß ein Zusammenhang zwischen Handeln und Sein nur da ist, wenn die Handlungen aus dem unbewußten Herzen, eben aus dem Sein entspringen, kurz, daß nur die Taten der Seele zugute kommen, die man tut, weil man muß. Alles Guthandeln, das nicht mit Notwendigkeit aus dem Innern fließt, sondern das der bewußte Wille macht, rechnete Luther unter die Werkheiligkeit, eine Vollkommenheit, die nur Schein ist, weil sie auf das Sein des Menschen gar keinen Bezug hat. Er wies alle derartige Handlungen als ungöttlich, d. h. nicht aus dem Sein fließend, aus dem Gebiet der Religion in das Gebiet der Moral, womit nur die Welt, aber nicht Gott zu tun habe; ja, er trennte nicht nur die Moral vom Reiche Gottes ab, sondern behauptete und wies nach, daß sie in einem feindlichen Gegensatz zu Gott steht.

      Daß sogenannte Zeremonien, nämlich kirchliche Vorschriften, als Wachen, Fasten, Beten, Kasteien und ähnliches, die Seligkeit nicht geben können, leuchtet den meisten Menschen ein; man könnte indes bezweifeln, ob moralische Handlungen unter denselben Begriff gehören. Auch hat schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche ein kirchlicher Denker es bestritten; aber Augustinus stellte fest, daß Paulus durchaus nicht nur die Zeremonien, sondern auch die moralischen Handlungen, diese sogar vor allen Dingen, zu den Werken rechnete, die vor Gott nicht rechtfertigen oder gerecht machen.

      Unter Guthandeln versteht jeder Mensch ein Handeln, welches das Wohl des Nächsten, nicht das eigene Wohl bezweckt; gut ist gleichbedeutend mit selbstlos, böse gleichbedeutend mit selbstsüchtig. Luther sagt nun, der Wille des Menschen sei nicht imstande, von sich aus etwas anderes anzustreben als das eigene Wohl, das Gute wirke nur Gott im Menschen; jeder also, der seine Handlungen so einrichte, als ob er das Wohl des Nächsten anstrebe, sei ein Heuchler und Gleisner. Er nahm damit den Kampf gegen die Pharisäer wieder auf, den Christus gekämpft hat.

      Es versteht sich, daß es auch zu Luthers Zeit Pharisäer in Menge gab, die sich über seine Lehre moralisch entrüsteten. Es entspann sich der berühmte Streit um den freien Willen, von dem Luther, auf Augustinus und Paulus sich stützend, behauptete, daß er der Sünde oder dem Teufel verknechtet sei, und aus dieser Knechtschaft nur durch die Gnade Gottes befreit werden könne. Es ist höchst interessant nachzulesen, wie sich Luthers Gegner wanden und drehten, um ihn in diesem Punkte zu bekämpfen. Auf dem Tridentiner Konzil bemühte sich jeder, eine Formel zu finden, durch welche der freie Wille des Menschen gerettet und doch Gott nicht zunahe getreten würde. Denn man mußte zugeben, daß Gott, wenn überhaupt Gott sei, allmächtig, allwissend, allumfassend sein, daß folglich jede menschliche Kraft von ihm ausgehen müsse; trotzdem glaubte man um jeden Preis an der freien Selbstbestimmung des Menschen festhalten zu müssen, wenn man es auch nur so ausdrückte, daß der Mensch der göttlichen Gnade ein klein wenig entgegenkommen könne, ohne daß ihm das aber als Verdienst anzurechnen sei. Solche Ausflüchte in Worten waren Luthers Sache nicht, da er eine klare und unerschütterliche Überzeugung hatte. Seine Meinung war, daß Gott, Teufel und Mensch im tiefsten Grunde eins sind, Teufel und Mensch von Gott ausgehend, in Gott wurzelnd, und so versteht es sich von selbst, daß alles von Gott, dem einzig wahrhaft Seienden, abhängt, und daß, soweit der Mensch eine Selbsttätigkeit hat, auch diese von Gott verliehen sein muß und nur von Gott wieder zurückgenommen werden kann. Luthers Gegner hingegen hatten die dunkle Vorstellung, als wäre der Mensch eine selbständige Person, die von zwei mächtigeren selbständigen Personen, Gott und dem Teufel, vielmehr die nur von einer mächtigeren Person, Gott, beeinflußt oder beherrscht würde; denn an den Teufel glaubten die wenigsten so recht. Jetzt würde vielleicht mancher sagen, daß das Sein des Menschen, im allgemeinen Sein wurzelnd, verschiedene Entwickelungsphasen mit verschiedenen Bewußtseinsgraden durchläuft; aber diese Begriffe fehlten Luther, obwohl er die Idee hatte. Übrigens blieb er auch absichtlich bei den alten, geläufigen Symbolen und mied die Begriffe, die sich so leicht verflüchtigen, wie er von den Scholastikern wußte. Andererseits trennen sich die Symbole leicht von den Ideen, die sie decken, und sinken zu Hülsen herab; darum ist es in unserer Zeit, so scheint es mir, notwendig festzustellen, was wir uns eigentlich bei Luthers Worten denken können und sollen.

      Luther geht davon aus, ganz anders als Rousseau, daß der natürliche Mensch nur sich selbst und sein Wohl wollen kann, und daß, wenn sein Handeln andern zugute kommt, etwa sogar auf seine Kosten, seine Absicht dabei nur auf den Erwerb einer Belohnung oder die Vermeidung einer Strafe gerichtet ist. Ob er den Lohn und die Strafe von Gott in einem vermuteten jenseitigen Leben erwartet, oder ob es ihm um das Ansehen in der Welt zu tun ist, oder ob er die eigene Billigung und Mißbilligung sucht und fürchtet, das eigene Selbst ist immer der Endzweck. Wir unterliegen, solange wir wollend sind, einem inneren Gesetz der Schwere, und Luther gebraucht darum den Ausdruck, daß wir fallen, wie auch, daß wir wohl nach unten, aber nicht nach oben frei sind.

      Du wirst sagen, daß Luther demnach die Freiheit des Willens nicht überhaupt leugne, und vermutlich, daß diese seine Ansicht dadurch erst recht unbegreiflich würde. Nun also, daß alles, was geschieht, notwendig geschieht, ist selbstverständlich, da ja alles geprägte Form ist, die sich entwickelt; aber darum streitet Luther hier nicht. Es fragt sich, ob der Mensch das Gute wollen kann, und dagegen behauptet Luther, daß er wollend stets nur alles auf sein Selbst beziehen könne, das Gute wolle er nur durch Gnade, mit anderen Worten, das Gute wolle er nicht, sondern es werde in ihm gewollt. Ein Ausspruch der Heiligen Schrift, den Luther öfters anführt, heißt: Der Mensch ist wie ein Tier, Gott und Satan können ihn lenken. Vielleicht klingt es dir verständlicher oder sympathischer, wenn ich sage, der Mensch sei Werkzeug in der Hand Gottes oder in der Hand des Teufels. Nun gibt Luther zwar zu, daß der Mensch auch selbst wollen könne, und er grenzt dies Gebiet ab als das der Moral; aber er nennt es auch teuflisch, obwohl es sich dem Teufel gewissermaßen entgegensetzt. „Da ja dies das höchste Streben des freien Willens ist, in moralischer Gerechtigkeit und Werken des Gesetzes sich zu üben, durch die seine eigene Blindheit und Ohnmacht befördert wird.“ Zunächst scheint es allerdings weit verdienstlicher zu sein, das Gute zu tun, weil man will, als weil man muß; ja, wenn man muß, so ist gar kein Verdienst dabei. Das soll es nach Paulus und Luther aber auch nicht; Werke, Verdienste, eigenen Willen vor Gott zu haben ist nach ihnen teuflisch. Was Gott nicht geboten hat, das ist verdammt, heißt es in der Bibel. „Du sollst nicht tun, was dir recht dünkt.“ Luther führt eine Geschichte aus dem Alten Testament an, wo einer aus keinem anderen Grunde von Gott gestraft wird, als weil er etwas Gutes getan hatte, was nicht von Gott geboten war. Das scheint absurd, wenn man nicht bedenkt, daß es sich nur um eine Strafbarkeit vor Gott handelt. Daß Werke und Verdienste vor der Welt nützen, bestreitet Luther nicht; nur daß sie „einen gnädigen Gott machen“.


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