Luthers Glaube: Briefe an einen Freund. Ricarda Huch

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Luthers Glaube: Briefe an einen Freund - Ricarda  Huch


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hören, wie um Licht sehen zu können, muß etwas in uns sein, was der tönenden und leuchtenden Kraft entspricht, eine Hörkraft und Sehkraft. Wär nicht das Auge sonnenhaft, sagt Goethe, die Sonne könnt es nie erblicken. Du kannst, als moderner Mensch, statt Glauben auch Vernunft setzen, die geistige Kraft im Menschen, die, weil sie Geist, also Gott wesensgleich ist, Gott vernehmen kann.

      Die Hörkraft und Sehkraft verhält sich zu Schall und Licht wie das Passive zum Aktiven, so daß wir zunächst nicht von einer Kraft, sondern von Schall- und Lichtempfänglichkeit reden sollten. Wie der Schoß der Frau den Samen des Mannes empfängt, so empfangen Auge und Ohr Licht und Schall und bringen durch sie Gesichts- und Gehörsbilder hervor. Die Empfänglichkeit beruht wieder auf der Empfindlichkeit für die betreffende Kraft, sei es Schall, Licht oder die göttliche Kraft selbst. Handelt es sich um diese, müssen wir sagen, daß wir gottempfindlich sein müssen, um Gottes Wort empfangen zu können, und in diesem Sinne läßt sich der Ausdruck Glauben mit Gottempfindlichkeit, Gottempfänglichkeit, Gottverwandtschaft übersetzen. „Gott und Glaube gehören zu Haufe“, sagt Luther. Sie gehören zusammen wie Mann und Weib, und es hat sich deshalb unwillkürlich, um das Verhältnis zwischen Gott und der gläubigen Seele zu bezeichnen, das Bild von Bräutigam und Braut eingestellt.

      Befragen wir die Sprache, so finden wir, daß Glauben mit Geloben, Hören mit Gehören und Gehorchen zusammenhängt. Darin vollendet sich der Glaube, daß man Gott, der uns durch sein Wort ruft, hört und ihm gehorcht: Glaube ist Hingebung und Gehorsam. Der Gläubige hört Gottes Stimme, wie das Schaf die Stimme seines Hirten, wie der Liebende die Stimme der Geliebten hört. Alle Stellen in Luthers Werken, die vom Glauben handeln, sind Gedicht, ja Liebesgedicht, wie im Grunde jedes echte Gedicht Liebesgedicht ist, handle es sich nun um Liebe zu Gott oder zu den Menschen. Zwischen Glauben und Liebe ist der Unterschied, daß sich der Glaube auf das Unsichtbare, die Liebe auf das Erscheinende bezieht; aber es ist ja keins ohne das andere. An Gott glauben wir nicht nur, sondern wir lieben ihn in der Erscheinung, und an alle Menschen, die wir wahrhaft lieben, glauben wir auch, d. h. wir lieben ihre Idee oder Gott in ihnen.

      Die meisten Menschen sind so geartet, daß sie Gott selbst, ohne Vermittlung, nicht gehorchen können, und Gott hat deshalb eine Vertretung in der Welt eingesetzt: im Staate die Obrigkeit, in der Familie Eltern und Ehemann. Wenn die Kinder ihren Eltern, die Frauen ihren Männern, die Männer ihren Vorgesetzten gehorchen, so gehorchen sie Gott, vorausgesetzt daß die Vorgesetzten Gott gehorchen. Der Gläubige, der Gottes Stimme hört und Gott selbst gehorcht, ist von jedem Gehorsam in der Welt frei, jenseit von Gut und Böse; aber er gehorcht auch den Menschen freiwillig, um sich nicht abzusondern. Eine glaubenslose Zeit ist eine Zeit ohne Gehorsam, richtiger gesagt eine Zeit, in der die Menschen nur sich selbst gehorchen wollen.

      Während der Gehorsam der Welt erzwungen werden kann und muß, kann der Glaube, dessen Quelle das Herz ist, nur freiwillig sein. Daß Gott erzwungene Dienste nicht gefallen, wird in der Bibel oft wiederholt. Du kennst vielleicht die berühmte und wundervolle Stelle aus Luthers Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen, wo er vom Glauben als vom Brautring der Liebenden spricht; ich führe sie deshalb hier nicht an. Im Sermon von den guten Werken heißt es so: „Wenn ein Mann oder Weib sich zum anderen Liebe und Wohlgefallen versieht und dasselbe fest glaubt, wer lehrt sie, wie sie sich stellen, was sie tun, lassen, sagen, schweigen, denken sollen? Allein die Zuversicht lehrt sie das alles und mehr denn not ist. Da ist ihnen kein Unterschied in Werken; sie tun das Große, Lange, Viele so gern als das Kleine, Kurze, Wenige, und dazu mit fröhlichem, friedlichem Herzen und sind ganz freie Gesellen. Wo aber ein Zweifel da ist, da sucht jedes, welches am besten sei. Da beginnt es sich einen Unterschied der Werke auszumalen, womit es Huld erwerben möge, und geht dennoch mit schwerem Herzen und großer Unlust hinzu, ist gleich befangen, mehr denn halb verzweifelt, und wird oft zum Narren darüber.“ Dann geht es nach dem Spruche Salomonis: „Wir sind müde geworden in dem unrechten Wege und sind schwere, saure Wege gewandelt, aber Gottes Weg haben wir nicht erkannt, und die Sonne der Gerechtigkeit ist uns nicht aufgegangen.“ Im Gegensatz zu den schweren, sauren Wegen der Werke spricht Luther von dem königlichen Weg des Glaubens.

      Sobald der Glaube schwer und sauer fällt, ist es gar kein Glaube; Glaube ist nur, was frei aus dem Herzen kommt. Etwas im Glauben tun heißt etwas tun, weil man nicht anders kann, und du begreifst nun, welchen lieblichen Sinn die Worte des Paulus haben, daß, was nicht im Glauben geschieht, Sünde ist. Allerdings der, dem nichts von Herzen kommt, der Ungläubige, der kein Herz hat, dem ist es leichter, Brandopfer als sein Herz darzubringen.

      Um dem Begriff des Glaubens noch näher zu kommen, laß uns auch seinen Gegensatz, den Unglauben, ins Auge fassen. Luther sagt gelegentlich: der Ungläubige, der nur sich selbst anbetet; und das scheint mir das deutlichste Licht auf das Wesen des Unglaubens zu werfen. Ferner: „Gott ist den Sündern nicht feind, nur den Ungläubigen, das sind solche, die ihre Sünde nicht erkennen, klagen, noch Hilfe dafür bei Gott suchen, sondern durch ihre eigene Vermessenheit sich selbst reinigen wollen.“ Und: „Das muß wohl folgen aus dem Unglauben, der da keinen Gott hat und will sich selbst versorgen.“

      Der Ungläubige ist also mein Freund Luzifer, der, weil er sich an Gottes Stelle setzt, sich selbst lenkt, für sich selbst sorgt, selbst Gesetze gibt, denen seine passive, sinnliche Hälfte gehorchen soll. Natürlich muß diese auch alle Kraft aus seinem Ich, seiner aktiven Hälfte, beziehen, die aber beschränkt, endlich ist, und wenn sie sich nicht aus Gott ersetzt, sich bald erschöpft. Beständiges Selbstwollen muß zu vollständiger Entkräftung führen, wenn es sich nicht im Zustande des Nichtwollens erholen kann. Glauben ist Nichtselbstwollen, statt dessen Gott in sich wollen lassen. Die Überspannung der eigenen Kraft zeigt sich in unserer Zeit in der großen Anzahl von Menschen mit überspanntem Nervensystem; sie gehen an ihrer Eigenwilligkeit, an ihrer Unfähigkeit, durch vorübergehende Selbstaufgabe Kraft zu schöpfen, zugrunde. Es wäre ja gegen den schönen Luzifer nichts einzuwenden, wenn er glücklich wäre; aber sein Selbst ist ihm keine Freuden- und Kraftquelle, kein Herrscherthron, sondern ein Marterpfahl, an den er gebunden ist. Die Frucht des Glaubens ist der Friede, heißt es im Evangelium des Johannes; daraus folgt, daß die Frucht des Unglaubens Unfriede ist, innere Zerrissenheit, Kraftlosigkeit. Die Frage: Wie werde ich selig? Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? läßt sich auch so fassen: Was verschafft mir inneren Frieden und damit Kraft? Die Antwort lautet: Aufgabe deines Selbst und Hingabe an Gott. Nicht nur selbstbewußt, sondern zugleich gottbewußt oder unbewußt leben.

      Was der Mensch durch vollständige Aufgabe des Selbstbewußtseins vermag, das hat die Hypnose gezeigt. In dem seines Selbstwollens beraubten Menschen wirkt der Hypnotiseur Wunder: er verfügt über seinen Körper nach Belieben, über das Vermögen des Selbstwollenden hinaus. Fast erschrak man über diese Entdeckung, weil man meinte, sie könne von bösen Menschen zu gräßlichen Verbrechen benutzt werden. Aber erstens gibt es in unserer Zeit sehr viel Nervöse, und die Nervösen können ihr Selbst nicht hingeben und darum auch nicht hypnotisiert werden; und dann gibt es ebensowenig Teufelsgläubige, also im Bösen kraftvolle Menschen, wie Gottgläubige. In früheren Zeiten wurde die Hypnose von Bösen und Guten als schwarze und weiße Magie ausgeübt.

      Im Hinblick auf die ihm durch den Glauben zu Gebote stehende Kraft war der Christ für Luther wesentlich der starke, freudige, trotzige Held. „Ein solcher Mann muß der Christ sein, der da könne verachten alles, was die Welt beides, Gutes und Böses, hat, und alles, damit der Teufel reizen und locken oder schrecken und drohen kann, und sich allein setzen gegen alle ihre Gewalt, und ein solcher Ritter und Held werden, der da wider alles siege und überwinde.“ Es ist der Ritter, den Dürer gemalt hat, der gelassen, des Sieges gewiß, an Tod und Teufel vorüberreitet. Luther übersetzte das Wort „Israel“ mit Herr Gottes: „Das ist gar ein hoher, heiliger Name und begreift in sich das große Wunder, daß ein Mensch durch die göttliche Gnade gleich Gottes mächtig wurde, also daß Gott tut, was der Mensch will … Da tut der Mensch, was Gott will, und wiederum Gott, was der Mensch will; also daß Israel ein gottförmiger und gottmächtiger Mensch ist, der in Gott, mit Gott und durch Gott ein Herr ist, alle Dinge zu tun und vermögen.“

      Es war Luthers feste Überzeugung, daß der Mensch Berge würde versetzen können, daß ihm nichts unmöglich wäre, wenn er nicht zu schwach im Glauben wäre. Über Schwäche des Glaubens klagt er oft schmerzlich; er hatte Zeiten, wo sein Selbst sich dafür rächte,


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