Luthers Glaube: Briefe an einen Freund. Ricarda Huch

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Luthers Glaube: Briefe an einen Freund - Ricarda  Huch


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gegen die Liebe; das ist die Sünde, die Gott verdammt.

      Luther unterschied nach den Entwickelungsstufen des Menschen – denn ich sagte dir ja schon, daß er der Sache nach die Idee der Entwickelung schon hatte – drei Stufen der Sünde. Der Teufel, sagt er, versucht den Menschen dreifach, wie er auch Christus tat: durch das Fleisch, durch die Welt und durch den Geist. „Das Fleisch sucht Lust und Ruhe, die Welt sucht Gut, Gunst, Gewalt und Ehre, der böse Geist sucht Hoffart, Ruhm, eigenes Wohlgefallen und anderer Leute Verachtung.“ Die erste betrifft wesentlich die Jugend, die zweite, die mit Reichtum, Ehre, Geltung unter den Menschen lockt, das Mannesalter, die letzte erleiden die alternden, die reifen, die höchstentwickelten Menschen, es ist die Versuchung des Luzifer zur Selbstvergötterung. Wie die Entwickelung der einzelnen ist die der Familien, der Völker und der Menschheit: die Sünde des Luzifer tritt in Zeiten des Verfalls auf. Anfangs verleiht sie wohl eine Schönheit, deren Wirkung sich niemand entzieht; aber allmählich zeigen sich die Folgen des inneren Giftes. Dann kommen die gott- und glaubenslosen Zeiten, wo die Menschen das bißchen Kraft, das ihnen geblieben ist, in sich selbst zurückziehen, um mühsam eine edle Haltung und schöne Gebärden zu tragieren. Es ist eine Verengung, die auf eine starke Erweiterung folgt.

      Es kommt dir vielleicht so vor, als zielte ich mit der Luzifer-Versuchung auf dich; vielleicht sagst du auch, du hättest sämtliche Stufen der Versuchung durchgemacht und machtest sie noch durch, und ich müßte das wissen; warum ich dir denn den Vorwurf machte, du sündigtest nicht? Weil ich, geliebter Luzifer, noch nie eine rechte, ordentliche, greifbare Sünde von dir gesehen habe und auch bestreite, daß du eine begangen hast. Natürlich bist du unendlich selbstsüchtig, unendlich ehrgeizig, unendlich stolz, unendlich begehrend. Du gehörst nicht zu den Guten, von denen die Bibel sagt, daß sie von sich selber gesättigt werden, sondern du zehrst dich von Begierde zu Begierde und wirst durch alle verschlungene Beute nur noch hungriger. Aber du verschlingst nur im Geiste, alle deine Sünden gehen nicht in Taten noch in Worten vor sich, du stehst still, um nicht irrezugehen.

      Treibt dich nun dein Herz nicht zu guten Handlungen, so sollte es dich wenigstens zu bösen treiben, oder man müßte schließen, daß du überhaupt keins hast. Herrgott, eben überläuft es mich ordentlich. Wenn es nun so wäre, und du hättest kein Herz? Wenn du nicht, wie ich bisher angenommen habe, deinen Willen zu sündigen unterdrückt hättest, sondern wenn dieser Wille nur eine Wallung oder Willenszuckung wäre, weil dein Herz zu eng oder zu schwach ist, um einen richtigen, zwingenden Trieb aufzubringen? Nicht einmal zu Worten? Ich weiß, du wärest zu stolz, um etwas zu tun oder zu sprechen, was nicht aus dem Herzen kommt. Du machst nie Redensarten; aber du schweigst auch. Du bist kein Lügner; aber ehrlich bist du auch nicht: du schweigst. Es ist doch nicht möglich, daß du gar nichts zu sagen hättest! Bist du ein lauer Neutralist, der ebensogut das eine wie das andere tun und sagen könnte? Ich gebe zu, bei vielen Dingen, namentlich weltlichen Dingen, ist das natürlich. Aber irgend etwas muß dir doch wichtig sein, wenn sonst nichts, doch du! Gut, wenn du dann nur von dir sprächest, die abscheulichsten, verdammenswertesten, von dir selbst verdammten Gedanken und Wünsche aussprächest, das wäre hunderttausendmal besser, als wenn gar kein Ich da wäre, oder nur so ein fades, schleichendes, tröpfelndes.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Kanzler hält heute seinen Vortrag mit dem frohen Bewußtsein, daß ihm ein gnädiger König zuhört. Du willst wissen, und darin sehe ich das Gnädige, was du eigentlich bei dem Sündigen gewinnst; denn nur um zu beweisen, daß du ein Herz habest, ließest du dich auf eine so heikle und dir ungewohnte Sache nicht ein. Du schreibst, ich müsse doch zugeben, daß Sünde an sich häßlich sei, beflecke, entstelle; wenn nun ein Mensch aus Stolz, um eines großen Namens willen, das Unreine von sich abwehre, warum das Gott nicht sollte leiden wollen? Ob du dir Gott so eifersüchtig vorstellen müßtest, daß er allen Ruhm für sich allein und den Menschen nicht gestatten wollte, aus eigener Kraft göttlich zu werden? und ob es, von Gott ganz abgesehen, nicht groß und schön sei, aus eigener Kraft etwas Vollendetes in sich darzustellen?

      Ja, eifersüchtig ist Gott allerdings, wenn du zum Beispiel das eifersüchtig nennst, daß der Mensch den Anspruch erhebt, die Organe seines Körpers selbst zu regieren. Du mußt doch immer daran denken, daß wir Teile Gottes oder in Gott sind. Sehen wir aber ganz von Gott ab, so dürftest du immerhin aus eigener Kraft göttlich oder vollendet werden, wenn du es könntest. Die Frage ist eben, ob du es kannst, und damit komme ich wieder auf deine erste Frage, was du gewinnst, wenn du sündigst, die zugleich einschließt, was du verlierst, wenn du nicht sündigst.

      Durch Sündigen gewinnst du Kraft, und durch gewaltsames Nichtsündigen entkräftest du dich. Es ist eine Kraftfrage, wie überhaupt die Religion eine Kraft- und Lebensangelegenheit ist, da Gottes Wesen in Kraft besteht. Und Kraft zu gewinnen, das ist doch das erste Interesse der Menschen; denn wer Kraft hat, hat alles. Die Alten drückten die Wahrheit, daß man durch Sündigen Kraft gewinnt, in der Sage vom Riesen Antäus aus, der unbesiegbar war, solange er, besiegt, vom Sieger auf die Erde geworfen wurde, denn aus seiner Mutter Erde strömte stets neue Kraft in ihn ein; erst in die Luft gehalten konnte er erwürgt werden. So verendet der Mensch, wenn er in einem naturlos geistigen Klima existieren will, das ein Nichts ist. Nun sind wir zwar nicht mehr in der Lage der Griechen, die Sünde in unserem Sinn noch gar nicht kannten, für die Gott und Natur noch eins waren und die ihre Kraft unmittelbar aus der Natur beziehen konnten; wir können es im allgemeinen nur mittelbar durch den Glauben. Bestimmen wir also zuerst den Begriff des Glaubens.

      Schalte bitte aus deiner Vorstellung aus, was man gewöhnlich unter Glauben versteht, nämlich ein Fürwahrhalten. „Glauben ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten … Das macht, wenn sie das Evangelium hören, so fallen sie daher und machen sich aus eigenen Kräften einen Gedanken im Herzen, der spricht: Ich glaube. Das halten sie dann für einen rechten Glauben. Aber wie es ein menschliches Gedicht und Gedanke ist, den des Herzens Grund nimmer erfährt: also tut er auch nichts und folgt keine Besserung hernach.“ Und an anderer Stelle sagt Luther: „Sie heißen das Glauben, das sie von Christo gehört haben, und halten, es sei dem wohl; wie denn die Teufel auch glauben und werden dennoch nicht fromm dadurch.“

      Das Fürwahrhalten ist eine Tätigkeit des selbstbewußten Geistes, deren der Glaube nicht, die höchstens umgekehrt des Glaubens bedarf.

      Man kann häufig Glauben und Wissen gegenübergestellt lesen, wie wenn das eine das andere ausschlösse, und oft auch wie wenn das Glauben die Sache der Kinder und Träumer, das Wissen die Sache vernünftiger Männer wäre. In Wirklichkeit ist Glauben die Bestätigung und Besiegelung des Wissens, nicht umgekehrt. Was wir wissen, wird uns vermittelst unserer Sinne gelehrt: wir wissen zum Beispiel, daß dort ein Stuhl steht. Was hilft dir das aber, wenn du es nicht glaubst? Deine Sinne können dich ja betrügen. Im Traume kommt es dir oft so vor, als stände da ein Stuhl, wo doch nichts ist. Bevor du nicht glaubst, was du weißt, bleibt dein Wissen unsicher. Gewiß, fest, unerschütterlich, ein Fels, der nicht wankt, ist nur was du glaubst. Mit anderen Worten: das Wissen bezieht sich auf die Erscheinung, der Glaube auf das Sein.

      Luther pflegte den Begriff des Glaubens mit den Worten des Paulus aus dem 11. Kapitel des Briefes an die Ebräer zu erklären: Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet. Sage mir nun bitte nicht, daß das Unsichtbare für dich nicht gelte, daß das Hirngespinste wären, daß du nur deinen Sinnen traust. Das ist ja, wie schon gesagt, Selbsttäuschung. Du traust deinen Sinnen, weil sie sich auf Übersinnliches beziehen. Was heißt es zum Beispiel, wenn du sagst, du glaubst an einen Menschen? Du deutest damit offenbar auf etwas, was deine Sinne, deine Erfahrung dir nicht von ihm mitteilen können, denn sonst würdest du es ja wissen. Du willst damit sagen, daß du im Wesen dieses Menschen eine Kraft voraussetzest, zu der du dich alles Guten und Großen versiehst. Da ja nun alle Kraft, alles Wesen und Sein, wie und wo es auch erscheint, Gott ist, so bezieht sich der Ausdruck Glauben immer auf Gott, wenn wir ihn auch auf Menschen anwenden.

      Nun offenbart sich Gott niemals unmittelbar und kann also nur durch die Sinne wahrgenommen werden, von dem naiven Menschen


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