Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Читать онлайн книгу.Escherich«, fuhr Prall fort, der sehr wohl die Wirkung seiner Worte spürte, »so können Sie doch auch arbeiten. Oder nicht?«
»Ich kann arbeiten, Herr Obergruppenführer!«
»Wenn Sie arbeiten können, Escherich, so können Sie doch auch den Klabautermann fangen! Das können Sie doch?«
»Das kann ich, Herr Obergruppenführer!«
»In kürzester Zeit, Escherich!«
»In kürzester Zeit, Herr Obergruppenführer!«
»Sehen Sie, Escherich«, sagte der Obergruppenführer Prall gnädig und weidete sich an der Angst seines Untergebenen. »Wie gut so ’n kleiner Ferienaufenthalt im Bunker tut! So liebe ich meine Leute! Sie fühlen sich mir nicht mehr sehr überlegen, Herr Escherich?«
»Nein, Herr Obergruppenführer, gewiss nicht. Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«
»Sie denken nicht mehr, dass Sie der allerschlaueste Hund in der ganzen Gestapo sind und dass alle anderen bloß aus Hundedreck gemacht sind – das denken Sie doch nicht mehr, Escherich?«
»Zu Befehl, nein, Herr Obergruppenführer, das denke ich nicht mehr.«
»Sehen Sie, Escherich«, fuhr der Obergruppenführer fort und gab dem angstvoll zurückfahrenden Escherich einen kräftigen, scherzhaften Nasenstüber, »und wenn Sie sich nun mal wieder sehr schlau fühlen oder wenn Sie Eigenmächtigkeiten begehen oder wenn Sie denken, der Obergruppenführer Prall ist bloß ein doofes Aas, dann sagen Sie mir das rechtzeitig. Dann schicke ich Sie gleich, ehe es noch zu schlimm wird, zu einer kleinen Kur in den Keller. Na, na?«
Der Kommissar Escherich sah seinen Vorgesetzten nur starr an. Jetzt konnte es ein Blinder hören, so stark zitterte der Kommissar.
»Nun, was wird, Escherich, werden Sie’s mir rechtzeitig sagen, wenn Sie mal wieder mächtig schlau sind?«
»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«
»Oder wenn die Arbeit nicht vorangeht, damit ich Ihnen ein bisschen Beine mache?«
»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«
»Na, dann sind wir uns ja einig, Escherich!«
Der hohe Herr gab dem genugsam Geduckten plötzlich ganz überraschend die Hand. »Freut mich, Escherich, Sie wieder im Dienst zu sehen. Hoffe, wir werden wieder ausgezeichnet miteinander arbeiten. Was wollen Sie also als Nächstes tun?«
»Mir von den Beamten des Reviers am Nollendorfplatz eine genaue Personalbeschreibung verschaffen. Die werden wir jetzt endlich bekommen! Der Mann, der die beiden Angezeigten vernahm, vielleicht hat er doch noch eine leise Erinnerung an den Namen. Die Suchaktion des Kollegen Zott fortsetzen …«
»Schön, schön. Das ist also jedenfalls ein Anfang. Sie erstatten mir täglich Bericht …«
»Zu Befehl, Herr Obergruppenführer!«
Ja, dies war die zweite Unterredung bei Wiederaufnahme seines Dienstes, die einigen Eindruck auf den Kriminalkommissar Escherich machte. Im Übrigen sah man ihm nichts mehr von seinen Erlebnissen an, nachdem auch die Zahnlücke wieder geschlossen war. Die Kollegen fanden sogar, Escherich sei sehr viel netter geworden seitdem. Das machte, dass er den Ton spöttischer Überlegenheit völlig verloren hatte. Keinem Menschen konnte er sich noch überlegen fühlen.
Kommissar Escherich arbeitet, macht Recherchen, nimmt Vernehmungen vor, fertigt Personalbeschreibungen an, liest in Akten, telefoniert – Escherich arbeitet wie eh und je. Aber wenn ihm auch keiner was ansieht und wenn er auch hofft, eines Tages wieder ohne Zittern mit seinem Vorgesetzten Prall reden zu können, Escherich weiß, er wird nie wieder der Alte. Er ist bloß noch eine Arbeitsmaschine; was er tut, ist Routinearbeit. Mit dem Überlegenheitsgefühl schwand auch die Freude an der Arbeit, der Dünkel war der Dünger, der seine Früchte reifte.
Escherich hat sich immer sehr sicher gefühlt. Er hat immer geglaubt, ihm könne nichts geschehen. Er hat angenommen, er sei ein ganz anderer Mensch als die anderen. Und Escherich hat all diese Selbsttäuschungen aufgeben müssen, eigentlich in den paar Sekunden, als ihm der SS-Mann Dobat die Faust in den Mund schlug und er Angst lernte. Escherich hat in wenigen Tagen so gründlich Angst gelernt, dass er sie in seinem ganzen Leben nicht wieder verlernen wird. Er weiß, er kann aussehen, wie er will, er kann das Unmögliche erreichen, er kann geehrt und gefeiert werden – er weiß, er ist gar nichts. Ein Faustschlag kann ihn in ein heulendes, zitterndes, angstvolles Garnichts verwandeln, nicht viel besser als der kleine, stinkende, feige Taschendieb, mit dem er tagelang die Zelle geteilt hat und dessen eiligst geleierte Gebete ihm jetzt noch im Ohr sind. Nicht so sehr viel besser. Nein, gar nicht besser!
Aber eines hält den Kommissar Escherich noch aufrecht, das ist der Gedanke an den Klabautermann. Den Kerl muss er noch fassen, hinterher kann seinethalben werden, was will. Er muss diesem Mann Auge ins Auge sehen, er muss mit diesem Mann sprechen, der die Ursache seines Unglücks geworden ist. Er will es ihm ins Gesicht sagen, diesem Fanatiker, welch Unheil, Sorge, Not er über viele Menschen gebracht hat. Er wird ihn zerschmettern, diesen Feind im Dunkeln.
Hätte er ihn doch schon!
47. Der verhängnisvolle Montag
An diesem Montag, der den Quangels so verhängnisvoll werden sollte;
an diesem Montag, acht Wochen nachdem Escherich wieder in sein Amt eingesetzt war;
an diesem Montag, an dem Emil Barkhausen zu zwei Jahren Gefängnis, die Ratte Klebs zu einem Jahr verurteilt wurde;
an diesem Montag, da Baldur Persicke endlich aus seiner Napola in Berlin eintraf und seinen Vater in der Trinkerheilstätte besuchte;
an diesem Montag, da Trudel Hergesell auf dem Bahnhof Erkner die Treppe hinunterfiel und dadurch eine Fehlgeburt hatte;
an diesem schicksalsreichen Montag also lag Anna Quangel mit einer schweren Grippe im Bett. Sie fieberte stark. An ihrer Seite saß Otto Quangel, der Doktor war gegangen. Sie stritten sich darüber, ob er heute die Karten austragen sollte oder nicht.
»Du gehst nicht mehr, wir haben das fest ausgemacht, Otto! Die Karten haben auch bis morgen oder übermorgen Zeit, da bin ich wieder auf den Beinen!«
»Ich will die Dinger aus dem Hause haben, Anna!«
»Dann gehe ich eben!« Und Anna richtete sich in ihrem Bett auf.
»Du bleibst liegen!« Er drückte sie in die Kissen zurück. »Anna, sei nicht töricht. Ich habe hundert, ich habe zweihundert Karten eingesteckt