Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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lan­gen Weg zu­rück, den er bis hier­her ge­gan­gen war. Von der ers­ten Kar­te an, die er noch mit lä­cheln­der Gleich­gül­tig­keit auf­ge­nom­men hat­te, bis zu die­ser, die nun in sei­ner Hand war. Er dach­te an die an­schwel­len­de Flut der Kar­ten, die sich stän­dig ver­meh­ren­den ro­ten Fähn­chen, er dach­te auch an den klei­nen Enno Klu­ge.

      Wie­der stand er in der Zel­le des Re­viers bei ihm, wie­der saß er mit ihm über dem dunklen Was­ser des Schlach­ten­sees. Dann fiel ein Schuss, und er glaub­te sich für sein Le­ben blind. Er sah sich selbst, zwei SD-Män­ner war­fen ihn die Trep­pe hin­un­ter, blu­tend, ver­nich­tet, wäh­rend ein klei­ner Ta­schen­dieb auf den Kni­en her­um­rutsch­te, sei­ne hei­li­ge Jung­frau Ma­ria an­ru­fend. Ganz flüch­tig dach­te er auch an den Kri­mi­nal­rat Zott – der Arme, auch sei­ne Theo­rie mit den Stra­ßen­bahn­hö­fen hat­te sich als falsch er­wie­sen.

      Dies war die stol­ze Stun­de des Kom­missars Esche­rich. Er fand, es hat­te sich ge­lohnt, ge­dul­dig zu sein und vie­les zu er­tra­gen. Er hat­te ihn, sei­nen Kla­bau­ter­mann, wie er ihn zu­erst im Scherz ge­nannt hat­te, aber er war ein rich­ti­ger Kla­bau­ter­mann ge­wor­den: er hat­te Esche­richs Le­bens­schiff fast zum Schei­tern ge­bracht. Aber nun war er ge­fasst, die Jagd war zu Ende, das Spiel aus­ge­spielt.

      Kom­missar Esche­rich sah wie auf­wa­chend hoch. Er sag­te be­feh­lend: »Die Frau wird mit ei­nem Kran­ken­wa­gen fort­ge­bracht. Zwei Mann Beglei­tung. Sie ste­hen mir für sie, Kem­mel, kein Ver­hö­ren, über­haupt kei­ner­lei Spre­cher­laub­nis. Aber so­fort einen Arzt. Das Fie­ber muss in drei Ta­gen weg sein, sa­gen Sie ihm das, Kem­mel!«

      »Be­fehl, Herr Kom­missar!«

      »Die an­de­ren brin­gen die Woh­nung wie­der in Ord­nung, ta­del­los. In wel­chem Buch hat die­se Kar­te ge­le­gen? Ra­dio­bas­tel­buch? Schön! Wre­de, le­gen Sie die Kar­te ge­nau so hin­ein, wie sie lag. In ei­ner Stun­de muss hier al­les in Ord­nung sein, ich kom­me dann noch ein­mal mit dem Tä­ter hier­her. Kei­ner von Ih­nen bleibt hier. Kein Pos­ten, nichts! Ver­stan­den?«

      »Be­fehl, Herr Kom­missar!«

      »Also ge­hen wir, Herr Ober­grup­pen­füh­rer?«

      »Wol­len Sie der Frau nicht noch die auf­ge­fun­de­ne Kar­te vor­hal­ten, Esche­rich?«

      »Wozu? Jetzt im Fie­ber rea­giert sie doch nicht rich­tig, und mir kommt es nur auf den Mann an. Wre­de, ha­ben Sie ir­gend­wo Schlüs­sel für die En­tree­tür ge­se­hen?«

      »In der Hand­ta­sche der Frau.«

      »Ge­ben Sie her – dan­ke. Also ge­hen wir, Herr Ober­grup­pen­füh­rer!«

      Dr­un­ten, an sei­nem Fens­ter, sah der Kam­mer­ge­richts­rat Fromm den Fort­fah­ren­den nach. Er wieg­te den Kopf hin und her. Spä­ter sah er, wie die Bah­re mit Frau Quan­gel in einen Kran­ken­wa­gen ge­ho­ben wur­de; aber an dem Aus­se­hen der Beglei­ter er­kann­te er, dass die Fahrt in kein üb­li­ches Kran­ken­haus ging.

      »Ei­ner nach dem an­de­ren«, sag­te der Kam­mer­ge­richts­rat a.D. Fromm lei­se. »Ei­ner nach dem an­de­ren. Das Haus wird leer. Ro­sent­hals, Per­sickes, Bark­hau­sen, Quan­gel – ich woh­ne fast al­lein hier. Eine Hälf­te des Vol­kes sperrt die an­de­re ein, das kann nicht mehr lan­ge dau­ern. Nun, ich je­den­falls wer­de hier woh­nen blei­ben, mich wird man nicht ein­sper­ren …«

      Er lä­chelt und nickt.

      »Je schlim­mer, je bes­ser. Umso eher nimmt dies ein Ende!«

      50. Das Gespräch mit Otto Quangel

      Es war dem Kom­missar Esche­rich nicht ganz leicht ge­wor­den, Herrn Ober­grup­pen­füh­rer Prall zu be­stim­men, dass er ihn bei dem ers­ten Ver­hör mit Otto Quan­gel al­lein ließ. Aber schließ­lich war es ihm doch ge­lun­gen.

      Als er mit dem Werk­meis­ter die Trep­pen zur Woh­nung hin­auf­stieg, war es schon dun­kel ge­wor­den. Licht brann­te auf den Trep­pen, Licht schal­te­te Quan­gel ein, als sie in die Stu­be ge­tre­ten wa­ren. Er wand­te sich zum Schlaf­zim­mer.

      »Mei­ne Frau ist krank«, mur­mel­te er.

      »Ihre Frau ist nicht mehr hier«, sag­te der Kom­missar. »Sie ist fort­ge­bracht. Set­zen Sie sich hier­her zu mir …«

      »Mei­ne Frau hat viel Fie­ber – Grip­pe …«, mur­mel­te Quan­gel.

      Es war ihm an­zu­se­hen, dass die Nach­richt von der Ab­we­sen­heit sei­ner Frau ihn stark er­schüt­tert hat­te. Die star­re Gleich­gül­tig­keit, die er bis­her zur Schau ge­tra­gen hat­te, war ge­wi­chen.

      »Ein Arzt sorgt für Ihre Frau«, sag­te der Kom­missar be­ru­hi­gend. »Ich den­ke, in zwei, drei Ta­gen wer­den wir das Fie­ber fort ha­ben. Ich habe für den Ab­trans­port einen Kran­ken­wa­gen be­or­dert.«

      Zum ers­ten Mal sah Quan­gel den Mann da vor sich ge­nau­er an. Lan­ge ruh­te sein star­res Vo­gel­au­ge auf dem Kom­missar. Dann nick­te Quan­gel. »Kran­ken­wa­gen«, sag­te er. »Dok­tor – das ist gut. Ich dan­ke Ih­nen. Das ist rich­tig. Sie sind kein schlech­ter Mann.«

      Der Kom­missar nütz­te sei­ne Ge­le­gen­heit. »Wir sind nicht so schlimm, Herr Quan­gel«, sag­te er, »wie wir oft ge­macht wer­den. Wir tun al­les, um den Ver­haf­te­ten die Lage zu er­leich­tern. Wir wol­len ja nur fest­stel­len, ob eine Schuld vor­liegt. Das ist un­ser Ge­schäft, wie es Ihr Ge­schäft ist, Sär­ge zu tisch­lern …«

      »Ja«, sag­te Quan­gel mit har­ter Stim­me. »Ja, Sarg­tisch­ler und Sarglie­fe­rant, so ist das!«

      »Sie mei­nen«, ant­wor­te­te Esche­rich leicht spöt­tisch, »ich lie­fe­re den In­halt der Sär­ge? Se­hen Sie Ihren Fall denn so schwarz an?«

      »Ich habe kei­nen Fall!«

      »Oh, doch schon, ein biss­chen. Se­hen Sie zum Bei­spiel ein­mal die­se Fe­der an, Quan­gel. Ja, es ist Ihre Fe­der. Die Tin­te dar­an ist noch ganz frisch. Was ha­ben Sie heu­te oder ges­tern mit die­ser Fe­der ge­schrie­ben?«

      »Ich muss­te was un­ter­schrei­ben.«

      »Und was muss­ten Sie denn un­ter­schrei­ben, Herr Quan­gel?«

      »Ich habe einen Kran­ken­schein aus­ge­schrie­ben, für mei­ne Frau. Mei­ne Frau ist näm­lich krank, Grip­pe …«

      »Und Ihre Frau hat mir ge­sagt, Sie schrei­ben nie. Al­les, was bei Ih­nen ge­schrie­ben wird, schreibt sie, hat sie ge­sagt.«

      »Das ist auch ganz rich­tig, was mei­ne Frau ge­sagt hat. Die schreibt al­les. Aber ges­tern muss­te ich, weil sie Fie­ber hat­te. Sie weiß da­von nichts.«

      »Und se­hen Sie ein­mal, Herr Quan­gel«, fuhr der Kom­missar fort, »wie die Fe­der spießt! Es ist eine ganz neue Fe­der, aber schon spießt sie. Das macht, weil Sie solch schwe­re Hand ha­ben, Herr Quan­gel.« Er leg­te die bei­den in der Werk­statt ge­fun­de­nen Kar­ten auf den Tisch. »Se­hen Sie, die ers­te Kar­te ist noch ganz glatt ge­schrie­ben. Aber bei der zwei­ten, se­hen Sie – hier – und hier – und da das B auch –, da hat die Fe­der ge­spießt. Nun, Herr Quan­gel?«

      »Das sind die Kar­ten«, sag­te Quan­gel gleich­gül­tig, »die ha­ben in der Werk­statt auf dem Bo­den ge­le­gen. Ich habe dem mit der blau­en Ja­cke ge­sagt, er soll sie auf­he­ben. Da hat er’s ge­tan. Ich habe einen Blick auf die Kar­ten ge­wor­fen, dann habe ich sie gleich dem Ver­trau­ens­mann von der


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